Marktbereinigung 2015: Cash gegen Milch?

Die EU-Kommission will Milcherzeuger künftig im Krisenfall für Produktionsverzicht entschädigen. Die Umsetzung ist aber bislang unklar. Eine Blockade wäre nur durch eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten möglich. Bis 2020 erwartet die EU nur einen Anstieg der Milchproduktion drei Prozent.

EU-Agrarkommissar Dr. Dacian Cioloş ist offenbar bereit, im Falle einer erneuten Krise am Milchmarkt den Geldbeutel zu öffnen, um Milcherzeuger für einen freiwilligen Produktionsverzicht zu entschädigen. Das geht aus einem unveröffentlichten Entwurf zum Milchmarktbericht hervor, der derzeit mit anderen Ressorts der Europäischen Kommission abgestimmt und noch vor Jahresende veröffentlicht werden soll.
Eine Ausfallsentschädigung wollen Cioloş und seine Mitarbeiter aber nur als Ultima Ratio anwenden, falls andere Instrumente versagen. Sie rechnen mit einer Milchmenge von 1 % bis 2 % der EU-Gesamtproduktion, die vom Markt genommen werden müsste, damit sich bei einer ernsten Krise erneut ein Gleichgewicht einstellen kann - bezogen auf 2009/10 wären das etwa 1,35 Mio. t bis 2,7 Mio t. Details zur praktischen Umsetzung finden sich in dem Berichtsentwurf nicht. Die ehemalige EU-Agrarkommissarin Mariann Fischer Boel hatte sich im vergangenen Jahr auf dem Höhepunkt der Krise noch ausdrücklich gegen eine Schlachtprämie ausgesprochen. Offen ist, woher das Geld für die Kompensationen kommen soll. Im EU-Haushalt sind entsprechende Mittel bislang nicht vorgesehen.
Die Entscheidung über die Auslösung einer solchen Verzichtskampagne würde der Kommission selbst überlassen bleiben, sie müsste weder Rat noch Parlament um Erlaubnis fragen. Im Zuge der Krise von 2008/09 wurden die Kompetenzen der Kommission zur Einleitung von Marktmaßnahmen im Milchsektor erweitert, um im Ernstfall künftig schneller reagieren zu können. Gemäß dem Artikel 186 der einheitlichen Gemeinsamen Marktordnung (GMO) kann die Kommission seitdem auch am Milchmarkt nicht näher spezifizierte „erforderliche Maßnahmen“ ergreifen, wenn anhaltende Störungen absehbar sind. Die Mitgliedstaaten könnten zwar theoretisch einen entsprechenden Vorschlag im Verwaltungsausschuss blockieren - dazu müssten sie sich allerdings mit qualifizierter Mehrheit dagegen aussprechen.
Wie aus dem Dokument weiter hervorgeht, sehen die Brüsseler Agrarexperten die „sanfte Landung“ beim Milchquotenausstieg nach Plan verlaufend und als weitgehend gesichert. Es wird keine Notwendigkeit gesehen, das Ende der Garantiemengenregelung beziehungsweise die insbesondere von der Bundesregierung immer wieder kritisierte jährliche Quotenerhöhung in Frage zu stellen. Im Zuge der schrittweisen Ausweitung der Garantiemenge bis 2014 „werden die Milchquoten immer weniger relevant“. Die Produktion sei in der Mehrzahl der Mitgliedstaaten nicht länger beschränkt. Die Quotenpreise lägen besonders in jenen Ländern, die zuletzt deutlich unterlieferten, bereits auf sehr geringem Niveau oder gar bei Null.
Die Gefahr von Verwerfungen beim Übergang in eine quotenfreie Zeit erwartet die Kommission lediglich für jene Länder, die es trotz der Lockerung des Produktionsdeckels weiter schaffen zu überliefern. Im abgelaufenen Milchwirtschaftsjahr waren dies die Niederlande, Dänemark und Zypern.

Keine Milchschwemme bis 2020 erwartet

Im Gegensatz zu manchen nationalen Studien gehen die Brüsseler Experten nicht davon aus, dass die EU-Milchproduktion nach 2015 mittelfristig deutlich zulegen wird. Solche Untersuchungen berücksichtigten nicht die Entwicklung im Rest der Gemeinschaft. Insgesamt dürfte die Reaktion auf das Ende der Quoten „sehr bescheiden“ ausfallen. In der Kommission erwartet man gegenüber dem Niveau von 2009 ein Plus von 3 % bis 2020, also eine Zunahme des Milchangebots auf 139,6 Mio. t. Damit bliebe die Gesamtproduktion auch am Ende des Jahrzehnts um mehr als 10 Mio. t unter der angestrebten finalen Quotenmenge von 150,4 Mio. t.
Gleichzeitig wird – zumindest in den alten Mitgliedstaaten – nicht mit einem größeren Abbau der Milchviehbestände gerechnet. Eine weitere Verringerung der Tierzahl dürfte jedoch in der EU-12 (mittel- und osteuropäische Staaten sowie Malta und Zypern) liegen. Die Molkereianlieferungen dürften zu Lasten der Direktvermarktung weiter zulegen. Ferner wird eine weitere Umstellung der Produktion auf Käse und frische Milchprodukte erwartet - also Erzeugnisse mit hohem Mehrwert. Die Herstellung von Frischwaren wie Trinkmilch, Sahne oder Joghurt soll in der EU bis 2020 um 8 % ausgeweitet werden, die Käseproduktion gar um 10 %.
Ende 2012 will die Kommission einen Folgebericht vorlegen.