Kommentar

Wie raus aus dem Hamsterrad?

Der notwendige Anstieg der Milchpreise ist nicht absehbar, dazu müsste das System Milch grundlegend verändert werden. Das erinnert an die Quadratur des Kreises!

Wissen Sie noch, wieviel Euro Sie im Jahr 1980 für ein neues Auto bezahlt haben? Im Durchschnitt 8.420 Euro! Aktuell müssen Sie rund 34.000 Euro für einen Neuwagen auf den Tisch legen, also rund den dreifachen Betrag! Das verwundert nicht, denn die Autos von heute sind in Leistung und Komfort den Blechbüchsen aus den 80igern ja schließlich auch deutlich überlegen, die höheren Produktionskosten sind deshalb auch nachvollziehbar.
Nicht nur die Autos haben sich in den vergangenen 40 Jahren verändert, auch das Produktionsverfahren Milch.  Fütterungs- und Haltungskonzepte (u.a. GVO-frei) wurden ebenso mehrfach gemäß den Anforderungen des Handels  angepasst wie Tier- und Umweltschutz. Allerdings ist der Produktpreis nicht gestiegen, aktuell erhalten Milcherzeuger gerade mal so viel Geld für einen Liter Milch wie vor 40 Jahren! Man stelle sich nur mal vor, die Autoindustrie müsste heute Autos zum Ladenpreis von 1980 verkaufen. Die Verluste wären ruinös. Kein Hersteller würde in diesem Fall auch nur noch einen PKW vom Band laufen lassen. 

15 Cent fehlen!

Im Gegensatz zur Autoindustrie können Milcherzeuger unter den Produktionskosten „melken“, weil sie sich selbst ausbeuten und gleichzeitig noch enorme Produktivitätssteigerungen realisieren. Mit dieser Strategie gelang es vielen Milcherzeugern (und gelingt es immer noch), sich gerade so über Wasser zu halten – trotz des Fehlens von 10 bis 15 Cent pro Liter Milch in der Kasse. In Zukunft wird dies aber nicht mehr so ohne weiteres möglich sein. Insbesondere die zunehmende Umweltauflagen verhindern ein „weiter so“. Hinzu kommen die gesellschaftliche Erwartungen bei den Themen Tierwohl und Nachhaltigkeit. Eine weitere Intensivierung des Produktionsverfahrens läuft diesen „Wünschen“ zuwider. Um den Milcherzeugern einen Ausstieg aus diesem Hamsterrad (mehr Kühe, mehr Milch, höhere Intensität, …) zu ermöglichen, müsste der Milchauszahlungspreis um mindestens 15 Cent ansteigen. In diesem Fall wäre es ihnen möglich, auf weitere Leistungssteigerungen und Bestandsaufstockungen weitgehend zu verzichten. Doch ein so deutlicher Anstieg der Milchpreise scheint mir aus drei Gründen utopisch:
  1.  Mitte der 90iger Jahre haben die EU-Staaten beschlossen, den Milchmarkt fast völlig freizugeben. Die Milchpreise werden seitdem im Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage bestimmt. Wird mehr Milch angeboten als nachgefragt, sinkt der Preis. Das ist gerade mal wieder der Fall. In Deutschland und in der EU liegt der Selbstversorgungsgrad zur Zeit bei rund 117 %. 
  2. Noch immer produzieren die deutschen Molkereien in großem Umfang austauschbare Milchprodukte wie Butter und Milchpulver, sogenannte Commodities (nur etwa ein Drittel der in Deutschland erzeugten Milch wird über den Lebensmittelhandel vermarktet), von denen ei Großteil exportiert wird. Diese Commodities werden aber an jeder Ecke angeboten, die Lieferanten sind austauschbar – den Zuschlag erhält in der Regel der günstigste Anbieter (und der produziert oft außerhalb der EU-Grenzen). 
  3.  Viele deutschen Molkereien haben sich in den letzten Jahrzehnten wenig innovativ gezeigt! Sie haben oftmals keine oder nur in geringem Umfang „coole“ Produkte entwickelt und eigene Marken aufgebaut. Immer noch sind zwei von drei Milchprodukten in den Kühlregalen Handelsmarken! Deren Inhalt ist austauschbar! Das rächt sich jetzt bitter: „Wir gehen mit unseren Produkten wegen der Vergleichbarkeit unter“, musste kürzlich der MIV-Vorsitzende, Peter Stahl, zugeben. Das klingt schon fast wie eine Bankrotterklärung! 
Angesichts dieser Entwicklungen erstaunt es nicht, dass sich aktuell keine höheren Milchpreise durchsetzen lassen und dass so heftig über die Spielregeln am Milchmarkt gestritten wird. 

Mehr Solidarität nötig!

Wenn es schon während der wirtschaftlichen Boom-Zeiten (bis zu Ausbruch der Corona-Pandemie brummte die Wirtschaft) nicht gelungen ist, die Milchpreise anzuheben, wie soll es dann jetzt in der Rezession gelingen? Zur Verbesserung der Einkommenssituation bieten sich grundsätzlich zwei Möglichkeiten an:
  1. Die (europäischen) Milchproduzenten nehmen das Rohstoff-Management selbst in die Hand! Sie steuern das Milchvolumen in Eigenregie. Konkret würde das bedeuten, zunächst einmal die Milchmenge in der EU zu reduzieren! Das aber würde eine ungeheure, bislang noch niemals gelebte Solidarität unter den europäischen Milchbauern erfordern. 
  2. Die europäische Milchbranche verabschiedet sich (freiwillig) von der Exportorientierung und setzt stattdessen auf eine mehr oder weniger flächengebundene und weitgehend ökologische Ausrichtung der Milchproduktion. Dazu gehört eine deutliche Begrenzung des Imports von Futtermitteln ebenso wie die Vorgabe von EU-einheitlichen Qualitätskriterien und das Erheben von Strafzöllen auf Milchimporte, die nicht diesen Qualitätskriterien entsprechen. 
Ist ein solches Szenario realistisch? Ich denke leider eher nicht, denn zu einen war die Solidarität unter den Milcherzeugern noch niemals sehr ausgeprägt, zum anderen müssten wohl auch einige internationale Handelsabkommen wieder aufgeschnürt werden.

Bloß nicht so wie die Textilindustrie …

Klar ist aber auch, dass ein starres Festhalten am exportorientierten Milchmarktsystem den Strukturwandel weiter anheizt. Einige wenige, stark unternehmerisch veranlagte Milcherzeuger werden ihre Kuhherden aufstocken, die Mehrzahl der Produzenten aber wird  schon bald der Milchproduktion den Rücken kehren. Irgendwann kommt dann der Zeitpunkt, an dem dann auch einige der „Großen“ den Stresstest nicht mehr bestehen werden … spätestens ab dann wird sich das Milchaufkommen in Deutschland verringern. Milchprodukte wird es zwar auch dann noch in den Supermärkten zu kaufen geben, die Milch wird dann aber vorrangig in Weißrussland oder in noch weiter entfernten Regionen gemolken. Sie glauben es nicht? Andere Industriezweige wie z.B. die Textilindustrie hat genau dieses Schicksaal ereilt (u.a. auch, weil es den Verbrauchern einfach egal war!).
Noch lässt sich dieser Transformationsprozess aufhalten. Es müssten nur endlich mal alle in der Milchbranche aktiven Akteure sich darauf einigen, den Schwarzen Peter aus dem Spiel zu nehmen und sich auf einen Masterplan Milch verständigen - auf ein nachhaltig angelegtes Produktionssystem, das gesellschaftlich akzeptiert wird und dessen Gemeinwohlleistungen honoriert werden! Unmöglich ist ein solches Szenario nicht, auch wenn es fast so unmöglich scheint wie die Quadratur des Kreises. 

Das hohe Milchaufkommen lässt einen Anstieg der Preise nicht zu. Daran ändern weder Demonstrationen noch die Politik etwas, so der Tenor auf dem  Milchpolitischen Frühschoppen in Berlin.


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