Normalerweise stehen Milchindustrie, Milcherzeuger und der Lebensmitteleinzelhandel nicht in einem harmonischen Verhältnis zueinander. Zu konträr sind die individuellen Interessen der einzelnen Akteure in punkto Milchmarkt und Milchpolitik. Doch Landwirtschaftsminister Cem Özdemir ist das kaum Vorstellbare gelungen, die drei Gruppen zusammenzuschweißen. Wie kommt’s?
Transformation der Tierhaltung wird zum „Rohrkrepierer
Normalerweise stehen Milchindustrie, Milcherzeuger und der Lebensmitteleinzelhandel nicht in einem harmonischen Verhältnis zueinander. Zu konträr sind die individuellen Interessen der einzelnen Akteure in punkto Milchmarkt und Milchpolitik. Doch Landwirtschaftsminister Cem Özdemir ist das kaum Vorstellbare gelungen, die drei Gruppen zusammenzuschweißen. Wie kommt’s?
Transformation der Tierhaltung wird zum „Rohrkrepierer
„Die Milcherzeuger können mit Marktvolatilitäten umgehen. Was uns große Sorgen macht, ist die Politik“, erklärte DBV- Milchpräsident Karsten Schmal. Die Politik zeige keine Wege für die langfristige Ausrichtung der Milchbranche auf, es fehle an Planungssicherheit. Kein Milcherzeuger wolle wegen fehlender Planungssicherheit noch investieren, kritisierte Schmal. Wer keine Sicherheit habe, der würde dann eher zur Aufgabe der Milchproduktion neigen.
Ins gleiche Horn stoßen sowohl der Milchindustrie-Verband (MIV) als auch Aldi. Beide bemängeln in diesem Zusammenhang, dass die notwendige Reform des Baurechts ausbleibt und vor allem, dass keine tragbare Finanzierung für den Umbau der Tierhaltung absehbar ist. Eine schlecht gemachte staatliche Tierhaltungskennzeichnung sei noch lange kein Umbau der Tierhaltung.
So wie die aktuellen Pläne und Gesetzesvorschläge vorliegen, wird die Transformation der Tierhaltung zu einem „Rohrkrepierer“, sprach Karsten Schmal als Warnung aus.
MIV kritisiert Auflagenflut
Der Vorsitzende des Milchindustrie-Verbandes, Peter Stahl, beklagte zudem die Flut von Auflagen, wie Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, Whistleblower-Richtlinie, Datenschutzgrundverordnung oder Arbeitszeitgesetz, „die viel Zeit und Geld kosten“. Molkereien könnten sich von 8 bis 17 Uhr mit diesen bürokratischen Vorgängen beschäftigen, von 17 bis 18 Uhr bliebe dann noch Zeit für die eigentliche Arbeit.
Sehr kritisch sieht der MIV-Vorsitzende auch das geplante Werbeverbot für Kinderprodukte. Selbst ein Naturjoghurt mit 3,5 % Fett dürfte dann gegenüber Kindern nicht mehr beworben werden, geschweige denn wenn im Sommer im Freibad keine Werbung mehr für Eis erlaubt sei. Zudem würde den Molkereien die Vermarktung von Milchprodukten erschwert, eingeschränkt, wenn etwa alle Käsesorten beim Nutriscore in die Klasse D eingestuft würden.
Aldi favorisiert Borchert-Konzept
Gemeinsam sei der Milchbranche die Sorge um die Nutztierhaltung in Deutschland: „Man hat den Eindruck, dass für Cem Özdemir nicht jeder Hof, sondern jede Kuh weniger zählt”, ereiferte sich Stahl.
Kritisch ins Gericht mit der von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir geplanten Tierhaltungskennzeichnung ging auch der Nachhaltigkeitsdirektor bei Aldi-Nord, Marc Sagel. Der Discounter sei ein Befürworter der Borchert-Vorschläge und eines staatlichen Tierhaltungskennzeichens. „So wie es kürzlich angekündigt wurde, sind wir nicht zufrieden“, stellte Sagel klar. So lasse sich das Tierwohl nicht in der Breite verwirklichen. Die Transformation sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Dafür habe die Borchert-Kommission auch bei der Finanzierung einen Weg aufgezeigt. „Da muss jetzt auch von der Politik was kommen.“
Trinkmilch nur noch aus Haltungsstufe 3 und 4
Stephan Schoch, Leiter Corporate Responsibility im Bereich Landwirtschaft von Aldi-Süd bekräftigte seine Pläne, dass Aldi ab 2024 für die Trinkmilcheigenmarken ausschließlich deutsche Herkünfte verwenden werde. Zudem kündigte Schoch an, im Rahmen seines Haltungswechsels das Sortiment bei den Aldi-Eigenmarken der Trinkmilch bis 2030 komplett auf die Haltungsstufen 3 und 4 umzustellen.
„Wir stehen zu unserem Wort, Haltungswechsel ist bei uns ein Gesetz.“ Bei Aldi sei man fest überzeugt, dass mehr Tierwohl den Verbraucherwünschen entspreche. Dafür sprächen auch die Absatzzahlen, bei Trinkmilch liege der Anteil der Haltungsstufe 3 am Umsatz heute bereits bei 45 %.
Milcherzeugung schon bald wieder rückläufig
Derweil berichtete Monika Wohlfarth, die Geschäftsführerin der Zentralen Milchmarkt Berichterstattung (ZMB), dass der Milchmarkt zum Jahresauftakt durch hohe Milchanlieferungen und starke Abschläge beim Milchgeld geprägt sei. Die würden sich in den kommenden Wochen in Richtung 40 Cent/kg bewegen.
Allerdings sei langfristig wieder mit geringeren Milchmengen und höheren Preisen als in früheren Jahren zu rechnen, denn der Strukturwandel werde sich nach der Hochpreisphase wieder beschleunigen und Kühe aus der Produktion genommen. Auch hätten viele Milcherzeuger keinen Hofnachfolger, gab Wohlfarth zu bedenken. Hinzu komme, dass politische Auflagen die Produktion bremsten.
„Der aktuelle Anstieg der Milchproduktion ist keine Wende, sondern kurzfristig durch Mitnahmeeffekte verursacht“, erklärte Wohlfarth. Die Rekordmilcherzeugung des Jahres 2020 werde nicht mehr erreicht. Auch in anderen Ländern werde bei der Erzeugung nicht mehr auf das Tempo gedrückt. Aufgrund der gestiegenen und steigenden Produktionskosten sieht die Expertin die Milchpreise mittelfristig auf einem höheren Niveau.
Das Berliner Milchforum wird alljährlich gemeinsam vom Deutschen Bauernverband (DBV) und Milchindustrie-Verband (MIV) ausgerichtet.
Lassen sich faire Milchpreise nur durch den Gesetzgeber „durchsetzen“ oder können die Marktteilnehmer das untereinander klären?