„Jeder hat bei uns in der Familie sein Lieblings-Milchprodukt. Milch ist für mich und meine Familie alternativlos. Denn als Milcherzeugerin weiß ich ja um die Qualität und Herstellung der Milch“, erläutert Mechthild Frentrup, Mutter von drei Kindern (siehe Kasten). Doch so wie die Milchkuhhalterin sehen es inzwischen nicht mehr alle Verbraucher. Das wird an dem Konkurrenzkampf zwischen Kuhmilch und pflanzlich erzeugten Milchalternativen in den Regalen des Lebensmitteleinzelhandels deutlich. Nicht nur, dass die Fülle und Vielfalt an Milchersatzprodukten zugenommen hat, auch der Absatz steigt stetig an. So ist der globale Einzelhandelsumsatz pflanzlicher Milchalternativen in den letzten Jahren jeweils um acht Prozent jährlich angestiegen und lag damit bei 15,6 Mrd. USD (Euromonitor, Marktforschungsunternehmen). Zwar ist der Absatz pflanzlicher Produkte in Deutschland im Verhältnis zum Konsummilch-Markt (8,3 Mio. l vs. 325,3 Mio. l; ZMB) noch vergleichsweise klein, dennoch gewinnt er an Bedeutung und wächst stärker als der Absatz von Bio-Trinkmilch.
Laut Christian Däumler (GFK, Gesellschaft für Konsumgüterforschung) hat damit jeder vierte Haushalt in Deutschland bereits mindestens einmal Milchalternativen gekauft. Dabei erfreuen sich nicht nur Sojadrinks und Co., sondern auch z. B. vegane Käsealternativen großer Beliebtheit. Hier stiegen Menge als auch Umsatz mit 19 % im vergangenen Jahr deutlich an.
Immer weniger trinken Milch
Für (Flüssig-)Milch stellt sich dementsprechend ein gegenläufiger Trend dar. Zwar wird für die nächsten Jahre weltweit ein Anstieg der Nachfrage nach Milchprodukten um ca. 2,5 % erwartet, der u. a. durch das weitere Wachstum der Weltbevölkerung entstehen wird. In den westlichen Ländern ist der Milch-Konsum jedoch schon jahrelang rückläufig. So ist in Deutschland der Absatz von Trinkmilch in den vergangenen Jahren um 10 % gesunken, wobei aber verarbeitete Milchprodukte wie z. B. Käse stärker nachgefragt wurden.
Ich hoffe, dass die Milchproduktion auch für meine Kinder gesellschaftlich noch möglich sein wird.“
Dr. Mechthild Frentrup (45), Landwirtin und Agrarberaterin aus Steinhagen
Mechthild Frentrup ist Agrarberaterin und führt zusammen mit ihrem Mann einen Milchkuhbetrieb mit 140 Milchkühen in Steinhagen (NRW). Bei ihnen wird auch in Zukunft die Milch nicht aus ihrem Kühlschrank verschwinden. Wenn es um Milch geht, haben alle in ihrer Familie ein Lieblingsprodukt: Während der älteste Sohn (13) gerne Kakao oder Erdbeermilch trinkt, mag der jüngste (7) am liebsten Joghurt. Die Tochter (10) isst fast alles am liebsten mit Käse. Von Milchprodukten erwartet Mechthild Frentrup vor allem, dass sie schmecken. Auf Siegel oder Zertifikate achtet sie nicht. Als Milcherzeugerin ist sie davon überzeugt, dass sie und ihre Berufskollegen ohnehin schon alles tun, damit es den Milchkühen gut geht.
Warum milchfrei?
Wie lässt sich dieses Umdenken beim Milchkonsum erklären? Ein Grund ist sicherlich der Generationenwechsel bei den Konsumenten. Denn für die kaufkräftigen Millennials (Generation Y, geboren zwischen 1980 und 1997) und in einigen Jahren auch für die Generation Z (ab 1998) ist weniger der Preis, dafür vielmehr das Thema Gesundheit und vor allem die nachhaltige Produktion ihrer Lebensmittel wichtig. Mehr noch als die Generation vor ihnen, wollen sie wissen, woraus die Lebensmittel bestehen und unter welchen Bedingungen sie hergestellt wurden.
Hinzu kommt, dass für diese beiden Generationen die Meinung sogenannter Influencer immer wichtiger wird. Influencer, die die vegane Lebensweise in sozialen Netzwerken propagieren, beeinflussen aktiv das Kaufverhalten gerade der sehr jungen Generation. Bekannte, bekennend vegane Instagrammer sind beispielsweise
Ella Woodward oder
Minimalist Baker mit 1,4 bzw. 1,2 Mio. Followern.
Gesundheitlich macht es keinen Sinn, die Muttermilch einer anderen Spezies zu trinken“
Nina Schulte (31), Studentin der Agrarwissenschaften aus Bochum
Nina Schulte studiert Agrarwissenschaften. Die 31-jährige Frau ernährt sich komplett vegan. „Lebensmittel tierischer Herkunft fasse ich nicht an“, sagt sie, aus ethischen Gründen. Sie findet es schlimm, dass männliche Kälber kaum mehr wert sind als eine Packung Zigaretten. Sie setzt auf pflanzliche Alternativen. Pflanzendrinks benutzt sie hauptsächlich, um den Kaffee etwas milder zu machen oder für das Müsli. Sie hält Pflanzendrinks für besser als Kuhmilch. „Aber wahrscheinlich sollte ich mich dazu auch mehr informieren.“
Den Trend, dass gerade die jüngere Generation immer weniger Kuhmilch konsumiert, konnte auch eine Studie des britischen Beratungsunternehmens Mintel bestätigen. So zeigte eine Online-Umfrage mit 2.000 Teilnehmern, dass für einen großen Anteil unter den 16- bis 24-jährigen Briten Kuhmilch als traditionelles Grundnahrungsmittel stark an Bedeutung verliert. Von Dezember 2018 bis Februar 2019 tranken nur noch 73 % der jungen Menschen regelmäßig Kuhmilch, wohingegen im Vorjahr dieser Anteil noch bei 79 % lag. Dabei gaben 37 % der Befragten an, dass sie aus gesundheitlichen Gründen (Laktose-Intoleranz) weniger Kuhmilch konsumieren. Wiederum 36 % erklärten, dass auch Umweltbelange ein Grund dafür seien, dass sie keine Kuhmilch mehr verzehren. Sie sind davon überzeugt, dass sich die Haltung von Milchkühen negativ auf die Umwelt auswirke. Auch für Nina Schulte, bekennende Vegetarierin aus Bochum (siehe Kasten), ist der Umweltschutz ein wichtiger Aspekt, weshalb sie auf Kuhmilch verzichtet: „Auf der Erde gibt es dreimal so viele Nutztiere wie Menschen, diese Relation passt einfach nicht. Für Futtermittel wird Regenwald gerodet, das verurteile ich.“ Sie setzt deshalb auf Alternativen zur Kuhmilch.
Sicherlich denken nicht alle Konsumenten so extrem. Für Christian Gerdes, IT-Entwickler aus Münster (NRW) sowie Martin Wingenbach und Nora Kuhlmann (Ingenieur und Betriebswirtin, leben auf dem Land) gehört Milch nach wie vor zu einer ausgewogenen Ernährung dazu. So ist dem Familienvater und seiner Frau sehr wichtig, dass die beiden Kinder (drei und ein Jahr alt) jeden Tag Milch bzw. Milchprodukte essen. Doch auch diese drei Verbraucher machen sich Gedanken darüber, unter welchen Bedingungen Milch hergestellt wird. Bei Milch sei es deutlich schwieriger als z. B. bei Eiern abzulesen, unter welchen Haltungs- und Produktionsbedingungen die Milch erzeugt wurde.
Milch gehört für mich zu einer ausgewogenen Ernährung dazu.“
Christian Gerdes (36), IT-Produktentwickler
Produktentwickler Christian Gerdes aus Münster treibt gerne Sport. Milch ist ihm in seiner Ernährung wichtig, verarbeitete Milchprodukte verzehrt er dabei häufiger als Trinkmilch. „Ich habe tatsächlich schon öfter darüber nachgedacht, wie Milch produziert wird“, sagt er, „aber als Verbraucher bekommt man das ja kaum raus, das ist viel schwieriger als zum Beispiel bei Eiern, wo man auf einen Blick sehen kann, aus welchem Haltungssystem die Produkte kommen.“ Einen Sojadrink hat er schon probiert, der schmeckt ihm aber nicht so gut wie Milch. Von Milchprodukten erwartet er in erster Linie, dass sie gut schmecken und dass sie möglichst nachhaltig sind. Dafür kauft er nach Möglichkeit regionale Produkte in Mehrwegverpackungen.
Ernährungsgewohnheiten ändern sich
Wenn eine Generation also langsam aber stetig damit aufhört, Kuhmilch aus vermeintlich gesundheitlichen und umweltschützenden Gründen zu verzehren, steigt auch die Wahrscheinlichkeit , dass sie ihre Verzehrsgewohnheiten an ihre Kinder weitergeben. Die Milchbranche sollte sich nicht darauf verlassen, dass Jugendliche diese Ernährungsgewohnheit mit Mitte zwanzig ablegen, so wie es etwa in den 80er- und 90er-Jahren bei den Vegetariern zu beobachten war, denn das könnte sicherlich fatale Folgen haben.
Ein kleiner Wehrmutstropfen im Konkurrenzkampf um die Konsumenten ist vielleicht das Urteil des EuGH (europäischer Gerichtshof), das 2017 entschied, dass geschützte Molkereibezeichnungen wie „Milch“ oder „Joghurt“ nicht als Bezeichnungen rein pflanzlicher Produkte verwendet werden dürfen. Damit kann zumindest den Konsumenten nicht mehr suggeriert werden, dass Soja- oder Haferdrinks vergleichbare Eigenschaften zu Milch aufweisen.
Milchprodukte müssen emotionaler aufgeladen werden
Welche Strategien könnte die Milchbranche entwickeln, um die Umsatzverluste abbremsen bzw. umkehren zu können? Große Konzerne wie Danone oder Valio haben darauf bereits ihre eigene Antwort gefunden und in Hersteller von Milchersatzprodukten wie WhiteWave (Marke Alpro) oder Oddlygood (Haferprodukte) investiert. Doch das allein kann nicht die Lösung sein. Vielmehr müssen die Molkereien von der Entwicklung rund um die Milchalternativen lernen, so Tom Bailey (Rabobank). So sollten nicht Produkte geschaffen werden, bei denen man erst später überlegt, wie man sie vermarkten kann. Vielmehr sollte zuerst geschaut werden, welche Wünsche der Verbraucher an Milch stellt, um daraus neue Produkte entwickeln zu können. Ein gutes Beispiel dafür, dass ein Produkt zugeschnitten auf Verbraucherwünsche entwickelt wurde, ist Skyr. Proteinreich und fettarm ist es besonders beliebt bei Sportlern. Denkbar wären auch Produkte, die die von den Verbrauchern empfundenen positiven Eigenschaften sowohl der Kuhmilch (Geschmack, reich an Nährstoffen) als auch der pflanzlichen Produkte (Nachhaltigkeit) vereinen.
Ohne Milchprodukte würde uns etwas fehlen, besonders der Käse fürs Butterbrot.“
Martin Wingenbach, Nora Kuhlmann, Marius und Adrian (40, 39, 3 und 1) aus Werl
Martin Wingenbach und Nora Kuhlmann ist es wichtig, ihre beiden Söhne (3 und 1) mit ausreichend Nährstoffen zu versorgen. Deswegen wollen sie auf Milch nicht verzichten. „Wir verzehren viel Käse“, sagt Nora Kuhlmann, „wir essen auf dem Brot mehr Käse als Wurst.“ Auch Fruchtjoghurts mögen Marius und Adrian gerne. Trinkmilch hingegen trinkt nur Nora. „Ich bin kein Tee- oder Kaffeetrinker, morgens trinke ich immer ein Glas Milch. Ich wüsste gar nicht, was morgens besser wäre als ein Glas Milch.“ Auch Familie Wingenbach-Kuhlmann ist es bei Milch und Milchprodukten am wichtigsten, dass es gut schmeckt. Einen Bedarf für Pflanzendrinks sehen sie für sich nicht, denn: „Warum sollten wir auf eine Alternative setzen, wenn uns Milch doch schmeckt?“
Daneben können die Molkereien auch von der Kommunikation der Hersteller von Milchersatzprodukten lernen. Denn sie haben es perfektioniert, weniger mit Zahlen und Fakten, dafür aber auf einer sehr emotionalen Ebene mit den Konsumenten zu kommunizieren und ihre Produkte zu platzieren. Milcherzeuger und Molkereien könnten das auch, indem sie z. B. verstärkt auf regionale, nachhaltige Kreisläufe hinweisen (Verzicht auf Soja, hohes Maß an Tierwohl, …). Das ist umso wichtiger, da die nachhaltige Produktion einiger Milchalternativen fraglich ist. Denn laut Albert Schweizer Stiftung stammen beispielsweise 80 % der weltweit verarbeiteten Mandeln aus Kalifornien. Dort herrschen Monokulturen vor und es ist viel Wasser für den Mandelanbau nötig.
Fazit: Milch besser vermarkten
Der Absatz von pflanzlichen Milchersatzprodukten steigt, vor allem in der jüngeren Generation, an. Dabei verliert Kuhmilch als wichtiges Nahrungsmittel langsam an Bedeutung. Die Milchbranche darf darauf nicht mit einem „weiter so“ reagieren, sondern muss sich aktiv an den Wünschen der Verbraucher orientieren. Um wieder an Akzeptanz zu gewinnen ist es wichtig, dass die Milchbranche, aber auch die Milcherzeuger, zeigen und werben, wie nachhaltig Milch in Deutschland tatsächlich produziert wird und welchen Stellenwert sie in der Ernährung immer noch hat.