Zukunft Milch

Jetzt die Weichen richtig stellen!

Tierwohl, Kälberaufzucht, Nachhaltigkeit und Digitalisierung gelten als die großen „Baustellen“ der Milchbranche. Diese müssen schnellstmöglich geschlossen werden, denn sonst droht ein Strukturbruch.

In Mitteleuropa steht die Nutztierhaltung gerade vor gewaltigen Herausforderungen. Viele Menschen wünschen sich einen nachhaltigeren Umgang mit den natürlichen Ressourcen, weniger „industrielle Massentierhaltung“ und im Gegenzug mehr Tierwohl und Nachhaltigkeit (Klimaschutz).
Auch wenn sich die Rinder-/und Milchproduktion nicht ganz so massiv der öffentlichen Kritik ausgesetzt sieht wie die Geflügel- oder Schweineproduktion, dürfte der Druck auf die Milcherzeuger weiter zunehmen, denn mittlerweile fordert auch der Lebensmittelhandel vermehrt ganzheitliche und ökologisch nachhaltige Produktionskonzepte, da Konsumentinnen und Konsumenten, verstärkt Anforderungen auf Regionalität, Tierwohl und Haltungskennzeichnungen an den Handel herantragen. Diese Themen spielen auch im Export eine immer wichtigere Rolle! Hinzu kommt noch, dass der Trend zu einer veganen Ernährungsweise in der jungen Generation an Zuspruch gewinnt - angetrieben durch die Ablehnung von „Tierleid“. Laut aktuellen Umfragen konsumieren bereits 30 % der deutschen Verbraucher gelegentlich pflanzliche Alternativen zu Milch und Milchprodukten, 9 % sogar häufig und 4% ausschließlich.
Um auch in Zukunft handlungsfähig zu bleiben, um einen tiefgreifenden Strukturwandel zu verhindern, sollten alle in der Milchbranche tätigen Akteure schnellstmöglich Strategien entwickeln, mit deren Hilfe sich die vier nachfolgend genannten Baustellen beheben lassen:
  1. Tierwohl (Anbindung, Weide, …)
  2. Kälberaufzucht (Trennung von Mutter und Kalb)
  3. Nachhaltigkeit (Düngung, Energieverbrauch, Co2 Fußabdruck)
  4. Digitalisierung (Automatisierung)

Tierwohl

Der Handel würde gerne den Verbrauchern mitteilen, wie viel Tierwohl in einem Milchprodukt steckt. Dazu soll im ersten Schritt die Haltungskennzeichnung, die sich bislang nur auf Fleischprodukte bezieht, auch auf die Milch zu übertragen. Beabsichtigt ist, künftig mindestens die Haltungsstufe 2 (Stallhaltung Plus: Laufstallhaltung; Tier-Liegeplatzverhältnis 1:1; mind. 4 m² pro Tier) als Standard festzulegen. Aus Diskussionen mit Vertretern des Lebensmittelhandels ist allerdings herauszuhören, dass man Milch aus Betrieben mit Haltungsstufe 3 präferiert (Auslauf und/oder Weidegang). In diesem Fall sähe sich ein nicht unerheblicher Anteil an Milcherzeugern gezwungen, in die Optimierung von Kuhställen zu investieren.

Aus Diskussionen mit Vertretern des Lebensmittelhandels ist allerdings herauszuhören, dass man Milch aus Betrieben mit Haltungsstufe 3 präferiert (Auslauf und/oder Weidegang). (Bildquelle: Ostermann-Palz  | Landwirtschaftsverlag GmbH)

Mal abgesehen von der noch ungeklärten Frage, wie sich diese Investitionen finanzieren lassen, gibt’s noch ein Problem mit dem Bau-/Immissionsrecht. Oft bremst das Bau- und Genehmigungsrecht Investitionen in mehr Tierwohl aus. Denn in den offenen, geräumigen Tierwohl-Laufställen nimmt der Ausstoß an Emissionen zu. Dem lässt sich zwar teilweise vorbeugen, wenn Kot und Harn rasch voneinander getrennt (emissionsarme Böden) und Güllelager abgedeckt werden. Auch durch einen erhöhten Fressplatz mit Trennbügeln (vermindert die emittierende Fläche um 14 %), den Einbau spezieller Gummimatten (Quergefälle) und einer Harnrinne sowie durch eine bodennahe Befeuchtungsanlage lassen sich bei planbefestigten Laufgängen die Immissionen verringern.
Fatalerweise sind beim Baurecht ebenso wie beim Immissions- und Naturschutz die Richtlinien und Grenzwerte in den letzten Jahren verschärft worden. Das führt dazu, dass Ställe, die das Bauamt vor 15 Jahren problemlos durchgewunken hat, heute nicht mehr genehmigt würden. Betroffen sind auch notwendige Umbauten, denn bauliche Änderungen können erhebliche nachteilige Auswirkungen im Sinne des Immissionsschutzrechts hervorrufen. So ist es z.B. nahezu unmöglich, in der Nähe von Naturschutzgebieten Ställe mit Ausläufen für die Kühe zu versehen, da hier die Grenze für den Stickstoffeintrag eine kaum zu überwindende Hürde darstellt. Nur wenn der Gesetzgeber hier nachbessert, sind die vorgesehenen Um- oder Neubauten, die auch bei der Umsetzung des Borchert-Plans (Tierwohlstufe 2) anstehen, flächendeckend realisierbar.
Wichtig: Vor jeder Investitions-Entscheidung sollten die ökonomischen Folgen evaluiert werden. Als Faustregel gilt, dass die Fremdkapitalquote die Schwelle von 50 Cent je kg Milch nicht dauerhaft überschreiten sollte.

Kälberaufzucht

Kein Thema wird so emotional diskutiert wie die Trennung eines Kalbs von seiner Mutter. Auch wenn für die frühe Trennung gute Gründe sprechen, stehen viele Verbraucher dieser Praxis äußerst kritisch gegenüber, denn die ersten gemeinsamen Tage sind bei den Menschen prägend für die Beziehung zwischen Mutter und Kind. Dieser Umgang mit dem eigenen Nachwuchs wird auch gerne auf die Tierwelt übertragen. Aus einer von der Universitäten Göttingen und British Columbia durchgeführten Studie geht hervor, dass 83 % der Befragten eine frühe Trennung von Mutter und Kalb ablehnen bzw. eine späte(re) Trennung befürworten. Grundsätzlich bieten sich zwei Optionen an, um sich etwas aus dem Kälber-Dilemma zu befreien:
  • Ammen- bzw. Mutter gebundene Kälberaufzucht
  • Weniger Kälber erzeugen

Kein Thema wird so emotional diskutiert wie die Trennung eines Kalbs von seiner Mutter. (Bildquelle: Twan Wiermans Fotografie)

Es mag verrückt klingen, aber am einfachsten wäre es die Anzahl der Abkalbungen zu reduzieren. Wenn weniger Kälber geboren werden, müssen weniger Kälber getrennt werden und weniger Kälber vermarktet (transportiert) werden. Wie kann das funktionieren? Viele Milchkühe geben nach 350 Laktationstagen noch sehr viel Milch, in Zukunft wahrscheinlich sogar noch 30 Liter täglich. Warum sollte man bei einer solchen Milchleistung eine Kuh trockenstellen? Warum nicht die Laktation deutlich verlängern und somit weniger Abkalbungen „produzieren“?
Das Verfahren einer Muttergebundenen Aufzucht, das derzeit vorrangig auf einigen wenigen Bio-Betrieben erprobt wird, dürfte hingegen aufgrund der stallbaulichen Gegebenheiten und des hohen Arbeitsaufwands für die große Mehrheit der Milcherzeuger keine Alternative sein. Völlig bei Seite geschoben werden sollte der Gedanke daran aber nicht.
Glücklicherweise nimmt die Kälbermast in Deutschland jährlich noch rund 330.000 (Holstein-)Kälber auf. Weitere 630.000 Kälber werden aus Deutschland zur Ausmast in die Niederlande verbracht. Doch dieses Mastverfahren ist wegen angeblicher Tierwohl-Defizite kürzlich erst im niederländischen Landwirtschaftsministerium in Ungnade gefallen (eine Studie empfiehlt ein Ende der klassischen Kälbermast). Schon bald könnten deshalb eine Million Kälber in den deutschen Kuhställen „über“ sein. 

Nachhaltigkeit

Zunehmend unter Druck gerät die Milchbranche auch wegen der Futtermittelimporte, insbesondere von Soja und Palmfetten. Damit Kunden in europäischen Supermärkten Milchprodukte, Rindfleisch und Kaffee kaufen können, müssen pro Jahr durchschnittlich Tropenwälder von der vierfachen Größe des Bodensees gerodet werden, kritisiert die Umweltorganisation WWF. 

Nicht immer gleich in die modernste Gülleausbringungstechnik oder in einen neuen Stall investiert werden (Bildquelle: C. Stöcker | Landwirtschaftsverlag GmbH)

In Berlin und in Brüssel erhöhen die Gesetzgeber stetig den Druck, die Weichen in Richtung mehr Klima- und Umweltschutz zu stellen (Agrarreform und Green Deal). Zur Umsetzung der neuen Anforderungen muss aber nicht immer gleich in die modernste Gülleausbringungstechnik oder in einen neuen Stall investiert werden. Oft helfen schon kleinere Schritte, um nachhaltiger zu wirtschaften, wie zum Beispiel die Optimierung der Düngung oder Fütterung (Verzicht auf Sojaschrot und Palmfett), ein intensiveres Herdenmanagement (u. a. Einsparung von Antibiotika), Veränderungen der Arbeitsorganisation oder die Umsetzung von Energiesparmaßnahmen. All dies führt am Ende zu mehr Effizienz und schont dadurch letztlich die natürlichen Ressourcen. Auch Weidegang von mehr als sechs Stunden pro Tag kann bei ausreichender Weidefläche die Klimabilanz verbessern, denn hier funktioniert die Trennung von Kot und Harn auf der Weide besonders gut. 

Digitalisierung

Der „Schwund“ an Arbeitskräften zwingt Milcherzeuger sich immer stärker mit dem Thema Automatisierung zu befassen. Durch einen höheren Automatisierungsgrad lassen sich Produktivität und Effizienz der Milchproduktion erheblich steigern. Ziel muss es sein, mittelfristig flexiblere und skalierbare Produktionsstrukturen aufzubauen. Hier kommt die Digitalisierung ins Spiel: Die zunehmende Erfassung tierbezogener Daten (Dairy Precision Farming) erlaubt nicht nur eine höhere Produktivität, sondern auch Verbesserungen im Bereich Tiergesundheit. Künftig werden also vor allem diejenigen Herdenbetreuer erfolgreich sein, denen es gelingt, sich die erforderlichen Fähigkeiten (Technologiekompetenzen) anzueignen und einzusetzen.

Die zunehmende Erfassung tierbezogener Daten erlaubt nicht nur eine höhere Produktivität, sondern auch Verbesserungen im Bereich Tiergesundheit. (Bildquelle: Lely)


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