Risikomanagement ist wichtig. Eine Möglichkeit, den überwiegend volatilen Märkten zu trotzen, ist die Absicherung des Milchpreises. Das geht ohne größeren Aufwand, wenn Molkereien mitziehen.
Die letzte große Milchpreiskrise ist etwas mehr als drei Jahre her. Viele Milcherzeuger sind immer noch dabei, die damals aufgenommenen Darlehen zu tilgen. Wenn der Milchpreis in den nächsten Wochen als Folge der Corona-Pandemie weiter fallen sollte, könnte es in einigen Fällen schwer werden, alle Verbindlichkeiten bedienen zu können.
Soweit hätte es theoretisch nicht kommen müssen. Denn noch im Januar konnten Milcherzeuger einen Teil der Milch bis zum Jahresende für ca. 37ct/kg an der Warenterminbörse absichern. Aber nur wenige nutzten diese Preisabsicherung. Warum?
Vielen Milcherzeugern ist die Absicherung über die Warenterminbörse zu aufwendig. Denn hier werden neben Börsen-Know-how auch Sicherheiten verlangt (die wiederum die Liquidität der Betriebe verschlechtert).
Einige Molkereien haben deshalb nach der letzten Krise reagiert und bieten ihren Lieferanten auf verschiedenen Wegen die Möglichkeit an, Teile des Milchpreises längerfristig und auf einfacherem Wege abzusichern.
Mehr als 1,6ct über dem Durchschnitt
Vorneweg: Eine Milchpreisabsicherung kann sich langfristig lohnen. Das zeigen die Erfahrungen eines Kollektivs aus 200 belgischen und niederländischen Milcherzeugern (Milk Trading Company), die zusammen seit ca. drei Jahren an der Milchbörse (European Energy Exchange, EEX) in Leipzig agieren. Sie konnten im vergangenen Jahr 1,68ct/kg Milch über dem durchschnittlichen Milchpreis erzielen. Auch in diesem Jahr scheinen sie sich frühzeitig richtig entschieden zu haben. Denn sie haben bereits im Januar 95% der Milch für dieses Jahr für Milchpreise zwischen 37 und 38,5ct/kg Milch abgesichert (auf Monatsbasis).
Dass sich eine frühe Absicherung zum Ende vergangenen Jahres gelohnt hätte, lässt sich auch anhand des Kieler Börsenmilchwertindex ablesen. Hierbei handelt sich um einen Rohstoffwert für Milch auf Basis der Börsenkurse für Butter und Magermilchpulver (ife Institut Ernährungswirtschaft, Kiel). Dieser lag z.B. im Dezember 2019 für den Kontraktmonat Dezember 2020 bei 37,9ct/kg Milch, jetzt im Juni jedoch nur noch bei 31,8ct/kg Milch (Übers. 1).
In Belgien und den Niederlanden kam die Initiative zur Milchpreisabsicherung vom Beratungsunternehmen DLV Belgien, das die Kaufaktivitäten der Milcherzeuger bündelt. In Deutschland bieten einige Molkereien ihren Lieferanten eine längerfristige Preisabsicherung über Festpreismodelle (Absicherung über die Milchbörse bzw. Back-to-Back-Geschäfte) an oder agieren für sie an der Warenterminbörse. Zwei erfolgreiche Beispiele:
Übersicht 1: Börsenmilchwert in verschiedenen Monaten
Monatlich Festpreise sichern
Die Hohenloher Molkerei hat vor etwas mehr als einem Jahr ein börsenbasiertes Festpreismodell für Ihre Lieferanten installiert, das in Zusammenarbeit mit dem ife Institut Kiel entwickelt wurde. Hier können die Milcherzeuger max. 30% ihrer monatlichen Milchmenge (mindestens 5.000kg, setzt eine Jahresmenge von mind. 200.000kg voraus) langfristig auf einen Zeitraum von drei bis zwölf Monaten absichern. Das Angebot ist freiwillig, die Molkerei geht kein Risiko ein, da der Preis über die Börse abgesichert ist. Die Molkerei kümmert sich um die Abwicklung. Dazu gehört, dass sie ein Terminmarktkonto führt, Sicherheiten hinterlegt und die technische Abwicklung übernimmt. Die Kosten für die Absicherung übernehmen die absichernden Milcherzeuger selbst, denn die Kosten können in einer Genossenschaft nicht auf alle Lieferanten umverteilt werden. Der Festpreis wird einmal im Monat kalkuliert. Dieser ist vergleichbar mit dem Preis für Standardmilch bei 4% Fett und 3,4% Eiweiß, ohne MwSt. und S-Zuschlag. Über eine Web-Plattform erhält der Milcherzeuger Zugang zu den Festpreisangeboten und kann am zweiten Mittwoch im Monat angeben, wie viel Milch er zum kalkulierten Preis absichern möchte. Am darauffolgenden Donnerstag/Freitag erfährt er, ob die Milchmenge (vollständig) abgesichert werden konnte.Die Kosten für den Festpreis liegen bei ca. 0,5ct/kg abgesicherte Milch, die sich auf Börsen-, Finanzierungs- und Managementkosten verteilen. In den Preisen, die die Lieferanten über die Web-Plattform genannt bekommen, sind diese Kosten bereits vollständig enthalten.
Die Vorteile dieses Modells liegen für Joel Küstner, Milcherzeugerberater bei der Hohenloher Molkerei, auf der Hand: „Unsere Lieferanten benötigen nicht zwingend Know-how über die Börse.“ Außerdem ist die Liquidität nicht durch Sicherheitsleistungen (hinterlegte Sicherheiten bei der Bank) beeinträchtigt. Trotz der Planungssicherheit, die der Festpreis bietet, ist nur für 10 bis 15% der Molkereimilchmenge ein Zugang zur Festpreisabsicherung beantragt worden. „Wir haben viele kleinstrukturiertere Betriebe, mit mehreren Standbeinen, da ist das Interesse bei stabilen Milchpreisen sich mit einem Festpreis zu beschäftigen, nicht so groß”, schätzt Küstner.
Das „Ammerländer Modell“
Anders als das Festpreismodell der Hohenloher Molkerei, ist beim Lieferantenmodell der Ammerländer Molkerei mehr Eigeninitiative des Milcherzeugers gefragt. Hier schließen die Lieferanten mit der Molkerei einen Vertrag, der sie ermächtigt, bis zu 50% ihrer Milch über die Börse eigenverantwortlich für den Börsenmilchwert zu fixieren. Nachdem der Vertrag unterschrieben ist, werden die Lieferanten vom Finanzdienstleister, hier der VR Agrarberatung, begleitet. Die Unternehmensberatung entwickelt mit dem Milcherzeuger eine Strategie, in der festgelegt wird, zu welchem Preis abgesichert werden soll. Entwickelt sich der Börsenmilchwert entsprechend der Strategie, wird der Milcherzeuger informiert und dann der Preis abgesichert. Durch die Zusammenarbeit mit der Unternehmensberatung wird versucht, marktpsychologische Fehlentscheidungen (Hoffnung auf noch höheren Preis) bei der Preisfixierung zu verhindern. Zudem achtet die Beratung auf eine disziplinierte Durchführung der Konzepte.
Die Molkerei Ammerland muss der Fixierung des Lieferanten zustimmen, sie ist Kontraktnehmer (an der Börse) und muss den Auftrag erteilen. Die Gewinne/Verluste und die Gebühren aus der Preisfixierung werden mit der Milchgeldgutschrift verrechnet. Anders als bei eigenständiger Börsenaktivität, entfällt für den Lieferanten der Vertragsaufwand sowie das Einrichten von Handels- und Geldkonten. Zudem muss er das Börsenkonto bis zur Fälligkeit bei schwankenden Preisen nicht selbst ausgleichen.
Einer der Gründe sicherlich, warum trotz der Angebote durch die Molkereien immer noch verhältnismäßig wenige Milcherzeuger ihre Preise absichern. Dass die Modelle je nach Molkerei sehr unterschiedliche angenommen werden hat daneben auch mit dem durchschnittlichen Auszahlungspreis der Molkereien und den Betriebsstrukturen der Molkereien zu tun. Bei Molkereien, die z.B. im deutschen Vergleich gut ausbezahlen, sind deutlich weniger Milcherzeuger an einer Absicherung interessiert.
Nicht täglich mit Börse beschäftigen
Natürlich kann jeder Milcherzeuger auch selbst an der Börse aktiv werden. Doch das erfordert ein hohes Maß an fachlicher Kompetenz. Dieses kann zwar z.B. über Seminare angeeignet werden, dennoch erfordert es einen hohen Aufwand, ständig die Kurse zu verfolgen, um den richtigen Zeitpunkt nicht zu verpassen. Die Lieferanten- bzw. Festpreismodelle der Molkereien haben hier den Vorteil, dass die Milcherzeuger sich nicht tagtäglich mit der Börse auseinandersetzen müssen.
Übersicht 2: Verschiedene Festpreismodelle
Niedrigeren Festpreis aushalten
Voraussetzung für eine Absicherungsstrategie ist das Wissen über den eigenen Grenzmilchpreis, also den Preis, der erforderlich ist, um alle variablen/fixen Kosten sowie die Privatentnahmen zu decken. Nur so kann entschieden werden, ab welchem Milchpreis ein Einstieg in den Terminhandel bzw. die Festlegung auf einen Festpreis aus ökonomischer Sicht überhaupt sinnvoll ist. Der Grenzmilchpreis sollte mit einer Ertragsvorschaurechnung ermittelt werden. „Es ist wichtig, dass die Milcherzeuger eine Absicherungsstrategie haben und diese konsequent umsetzen“, so Johann Kalverkamp, VR Agrarberatung. „Es ist strategisch falsch, auf den höchsten Preis zu pokern.” Bei der Preisabsicherung geht es darum, einen stabilen Milchpreis zu generieren, der es ermöglicht, nachhaltig alle Kosten zu decken und genügend Eigenkapital zu bilden. Das kann dazu führen, dass der abgesicherte Preis auch mal unter dem Milchpreis am Kassamarkt (Auszahlungspreis der Molkerei) liegt, „das müssen die Milcherzeuger aushalten können“. Einer der Gründe sicherlich, warum immer noch verhältnismäßig wenige Milcherzeuger Preise absichern. „Es geht um die nachhaltige Stabilität und Zukunftsfähigkeit der Betriebe”, so Johann Kalverkamp.
Dass die Modelle unterschiedlich angenommen werden, hat auch mit dem Auszahlungspreis und den Betriebsstrukturen der Molkereien zu tun. Bei Molkereien, die z.B. im deutschen Vergleich gut ausbezahlen, sind deutlich weniger Milcherzeuger an einer Absicherung interessiert.