Ungewissheit über den Verbleib der Tiere, schlechte Nachrichten aus Schlachthöfen im In- und Ausland – nicht wenige Milcherzeuger haben Bauchschmerzen, wenn es um den Verkauf von (Jung-)Kühen geht. So fühlte sich auch Mariekatrin Tigges. Und als im Frühjahr 2020 auch noch die Kälberpreise einbrachen, hatte sie genug und entschied: Meine Kälber bleiben hier!
Ungewissheit über den Verbleib der Tiere, schlechte Nachrichten aus Schlachthöfen im In- und Ausland – nicht wenige Milcherzeuger haben Bauchschmerzen, wenn es um den Verkauf von (Jung-)Kühen geht. So fühlte sich auch Mariekatrin Tigges. Und als im Frühjahr 2020 auch noch die Kälberpreise einbrachen, hatte sie genug und entschied: Meine Kälber bleiben hier!
Sie führen gemeinsam mit Ihren Eltern einen Bioland-Betrieb im Sauerland und haben die „Geschwisterkalb“-Initiative ins Leben gerufen. Was hat es damit auf sich?
Tigges: Wir behalten alle Kälber aus unserer Milchkuhhaltung hier auf dem Hof und ziehen sie auf bzw. mästen sie selbst. Die Bullenkälber werden nach acht Monaten als Kalbsfleisch vermarktet. Die weiblichen Kälber gehen in die Nachzucht unser 40-köpfigen Herde oder werden später als Färsen geschlachtet und direkt vermarktet. Kunden sind Endverbraucher über unseren Hofladen oder Restaurants und Metzgereien, die Hälften oder Viertel abnehmen. Bei den Kälbern handelt es sich um Angus-Kreuzungen oder Braunvieh; Sie wachsen kuhgebunden auf.
Warum haben Sie sich dafür entschieden, dass kein Kalb mehr den Hof verlässt? Gerade im Biobereich ist ein geschlossenes System durch die hohen Futterkosten ja besonders schwer zu realisieren!
Tigges: Für mich ist das System, in welchem sich die Tiere heute bewegen, unerträglich. Gerade die Exporte, die Haltung im Ausland, die großen Schlachthöfe und die Ungewissheit haben mir schon lange Bauchschmerzen bereitet. Der starke Preisverfall im Frühjahr 2020 hat dem Ganzen dann nur die Krone aufgesetzt. Als die Rede war von „Entsorgungsgebühren“ für die Kälber, habe ich einen Schlussstrich gezogen. Das gleiche gilt für Altkühe.
Außerdem passt ein geschlossenes System zum Bio-Gedanken.
Tigges: Genau. Bei der Umsetzung war mir wichtig, den Verbraucher mit einzubinden, um nicht nur Probleme, sondern auch Lösungswege aufzuzeigen. Die Bereitschaft der Verbraucher, das Projekt zu unterstützen, war und ist bis heute sehr groß, wodurch es mir möglich ist, das Projekt aufrecht zu erhalten.
Welche Rahmenbedingungen benötigen Sie, um das Projekt auf Dauer fortzuführen? Was kostet das System?
Tigges: Ich habe zu Beginn eine Vollkostenrechnung aufgestellt und genau errechnet, was die Aufzucht kostet. Das ist total individuell für jeden Betrieb. An dieser Rechnung orientiert sich unser Kilopreis, den wir auch konsequent vertreten. Die Fütterung und die Schlachtung in einem kleinen Dorfschlachthof sind die größten Kostenpunkte. Ich kalkuliere bei jedem Kalb zum Beispiel mit einer Milchmenge von 1800 l Bio-Milch. Das Fleisch hat durch die Fütterung, Haltung und Schlachtung eine sehr gute Qualität, welche unsere Kunden zu schätzen wissen.
Dann sind die hohen Bio-Preise kein Problem?
Tigges: Es ist wichtig, sich durch die Qualität abzusetzen und den Preis transparent kommunizieren zu können. Transparenz überhaupt ist sehr wichtig. Der Kunde möchte mitgenommen werden, in die Ställe schauen können und das Gefühl haben, dass mir als Landwirtin das Produkt wirklich am Herzen liegt. Dafür investiere ich viel Zeit, insbesondere in Social Media.
Gibt es etwas, das Sie Berufskollegen, unabhängig von bio oder konventionell, mit auf den Weg geben möchten?
Tigges: Solche Projekte sind nur mit Hilfe von Verbrauchern umzusetzen und auch nur, wenn man selbst wirklich dahinter steht. Es ist wichtig, offen zu kommunizieren, wenn der Schuh drückt und gleichzeitig auch Lösungswege aufzuzeigen. Der Verbraucher fragt oft: „Was kann ich tun?“ und ist auch bereit sich zu engagieren, wenn er/sie das Gefühl hat, 100% Einblick zu bekommen. Leider mangelt es auf vielen Höfen an Geld, Platz im Stall oder auch an Futter und Arbeitskraft. Aber wie wäre es in diesem Fall, die Zusammenarbeit mit einem „Tierwohl-Mäster“ in der Region zu suchen? Schon kleine Schritte in eine andere Richtung können auf Dauer viel verändern – davon bin ich überzeugt!
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