Geht es um die Zukunft der Milcherzeugung, wird oft von der Forderung nach mehr Tierwohl gesprochen. Doch was ist mit Tierwohl überhaupt gemeint? Das Wohlergehen der Tiere umfasst die körperliche Gesundheit, das Ausleben der natürlichen Verhaltensweisen sowie das emotionale Wohlbefinden. Zu den natürlichen Verhaltensweisen von Kühen...
Jetzt bestellen und weiterlesen!
Elite - Das Fachmagazin für erfolgreiche Milchproduktion
Elite Print + Digital
Jahresabo
105,00 EUR
/
Jahr
6 Print-Ausgaben im Jahr versandkostenfrei
Alle Print-Ausgaben auch digital für Ihr Tablet oder Smartphone
Zugang zu sämtlichen Inhalten auf elite-magazin.de
Geht es um die Zukunft der Milcherzeugung, wird oft von der Forderung nach mehr Tierwohl gesprochen. Doch was ist mit Tierwohl überhaupt gemeint? Das Wohlergehen der Tiere umfasst die körperliche Gesundheit, das Ausleben der natürlichen Verhaltensweisen sowie das emotionale Wohlbefinden. Zu den natürlichen Verhaltensweisen von Kühen gehört es, den Mutterinstinkt auszuleben sowie das Weiden auf der Wiese. Das wird den Tieren aber nicht auf allen Milchkuhbetrieben in Deutschland ermöglicht. Daher steht die Haltung in der Kritik.
Mythen um die Kälberaufzucht
Insbesondere das Thema der kuhgebundenen Kälberaufzucht ist in den letzten Jahren deutlich präsenter geworden. Immer mehr Forschende beschäftigen sich damit. Denn obwohl die Kuh-Kalb-Trennung gängige Praxis auf den Milchkuhbetrieben ist, gab es bisher wenig wissenschaftliche Beweise, welche die Vorteile einer frühen Trennung unterstützen. Aber auch zu Möglichkeiten der kuhgebundenen Kälberaufzucht gab es lange Zeit keine ausreichende Forschungsgrundlage. Das hat sich mittlerweile geändert und schafft Klarheit. Wobei sich die Wissenschaftler nicht überall einig sind.
Stress: In vielen Studien, die beide Haltungsformen verglichen, stellte sich heraus, dass eine frühe Trennung die akuten Stressreaktionen von Kühen und Kälbern verringert. Dafür hat ein längerer Kuh-Kalb-Kontakt positive Auswirkungen auf das Sozialverhalten und spätere Reaktionen auf Stressoren.
Eutergesundheit: Untersuchungen zeigten, dass sich die kuhgebundene Aufzucht sowohl negativ als auch positiv auf die Gesundheit des Euters auswirken kann. Für das Verfahren gilt daher: eutergesunde Kühe einsetzen, auf das Infektionsgeschehen in der Herde achten, Hygienemaßnahmen durchführen und beim Melken das Euter gründlich kontrollieren.
Milchleistung: Bei der kuhgebundenen Aufzucht ist es schwierig, die tatsächliche Milchleistung festzustellen. Teilweise zeigen die besaugten Kühe im Melkstand Milchejektionsstörungen. Das macht sich in einem niedrigeren Fettgehalt bemerkbar und verfälscht in den Haltungssystemen die Ergebnisse der Milchleistungsprüfung.
Fruchtbarkeit: die erhöhten Oxytocinausschüttungen, die mit dem Saugen der Kälber einhergehen, haben positive Effekte auf die Fruchtbarkeit der Kühe. Studien zeigen, dass sich die Zwischenkalbezeit zwischen den unterschiedlichen Systemen nicht unterscheidet.
Das große wissenschaftliche Interesse der letzten Jahre zeichnet den Trend vor. Während sich viele Milcherzeuger eine Umstellung nicht vorstellen können, wagen andere sich bereits sich an das System heran.
Doch auch bei einer kuhgebundenen Kälberaufzucht trennen sich in den meisten Systemen die Wege von Kuh und Kalb. Häufig ist das nach acht bis zwölf Wochen zum Absetzen der Kälber der Fall. Studien haben gezeigt, dass in diesem Zeitraum die Trennung deutlich schmerzhafter für Kuh und Kalb ist, als nach acht bis zehn Monaten – der Zeit, in der Kälber natürlicherweise unabhängig von der Muttermilch werden. Zwar gibt es verschiedene Strategien, um die Trennung durch ein langsames entwöhnen so sanft wie möglich zu gestalten, doch trotzdem beobachten Wissenschaftler und Landwirte in der Praxis starke Leidenszeichen, insbesondere Vokalisation bei Kuh und Kalb. Ist das dann der richtige Weg?
Keine Honorierung
Der allergrößte Knackpunkt sind jedoch die Kosten, die zum Beispiel durch den Umbau des Haltungssystems und die Milchverluste entstehen. Bisher gibt es keine herkömmliche Molkerei, die Milchprodukte aus kuhgebundener Aufzucht vermarktet. Eine ausreichende Vergütung kann daher nur über die eigene Direktvermarktung generiert werden. Eine Umfrage des Thünen Instituts im Jahr 2020 zum Interesse der Molkereien an der Vermarktung von Milch aus kuhgebundener Aufzucht zeigte, dass insbesondere kleinere Molkereien in der Aufzuchtsform Chancen sehen. Im großen Stil fehlt bisher der Absatzmarkt. Außerdem stellt sich die Frage, was mit den Bullenkälbern passiert und wie sich das teure Fleisch vermarkten lässt.
Weide kann sich rechnen
Während ein Label bei der kuhgebundenen Aufzucht fehlt, finden Verbraucher schon heute zertifizierte Weidemilch im Supermarkt-Regal. Auflagen sind z. B. min. 120 Tage im Jahr für min. sechs Stunden Weidezugang und min. 1.000 m2 Weidefläche pro Kuh.
Als Weidemilch wird derzeit 5,6 % der Konsummilch gelabelt. Die private Nachfrage nach zertifizierter Weidemilch stieg im ersten Halbjahr 2022 um 2,1 %, während die Verbrauchernachfrage für Milch insgesamt zurückging. Neben einem Mehrerlös über die Molkerei, bieten einzelne Bundesländer auch eine Weideprämie an. Ein klares Signal an die Milcherzeuger: Weidehaltung ist gewünscht und wird honoriert. Trotzdem hat sich die Zahl der weidehaltenden Betriebe in den letzten Jahren im Zuge des Strukturwandels mit wachsenden Herdengrößen zunehmend verkleinert.
Laufhof als Kompromiss
Der größte Knackpunkt für den Wiedereinstieg mit der Weide ist die Flächenverfügbarkeit. Denn wem zugängliche arrondierte Weideflächen fehlen, kann den Kühen keine Weide in entsprechender Größe gewähren. Weidehaltung ist also nicht für jeden möglich. Ein attraktiv gestalteter Laufhof kann den Kühen Auslauf, frische Luft und mehr Platz schaffen und eine Alternative bieten.
Wer keine Weide hat, kann mit einen Laufhof für Außenklimareize, Bewegung und Abwechslung sorgen.
(Bildquelle: Lehnert)
Weide nicht automatisch mehr Tierwohl
Eine Studie des Thünen Instituts hat ergeben, dass Weidehaltung allein nicht automatisch besser für das Tierwohl ist, obwohl die Haltungsform als Optimum angesehen wird. Das richtige Management entscheidet wesentlich darüber, wie gut es den Kühen geht.
Damit Weide mehr Tierwohl bedeutet, sind folgende Kriterien besonders wichtig:
ausreichende Wasserversorgung auf der Weide
klauengerechte Treibewege
eine sorgfältig auf die Weide angepasste Fütterung
Schattenmöglichkeiten und Witterungsschutz
Fazit: Der Wunsch danach, den Kühen das Ausleben natürlicher Verhaltensweisen zu ermöglichen, wird immer präsenter. Eine komplette Transformation ist kurzfristig nicht möglich. Ein aktives Mitgestalten und die Offenheit für neue Haltungssysteme – vielleicht auch erstmal nur im kleinen Stil – kann aber eine Chance für die Zukunft sein.