In der kommenden Woche steht die erste Zuchtwertschätzung in diesem Jahr an. Neben der neuen Zusammensetzung des RZG für Holsteins beinhaltet diese Zuchtwertschätzung auch für die Rassen Fleckvieh und Brown Swiss eine große Veränderung: Die Umstellung auf das Single-Step-Verfahren.
Bisher wurde das „Two-Step-Verfahren“ zur Zuchtwertschätzung genutzt. Bei diesem Verfahren werden die Zuchtwerte zunächst anhand der Leistungs- und Pedrigeedaten geschätzt und im zweiten Schritt...
In der kommenden Woche steht die erste Zuchtwertschätzung in diesem Jahr an. Neben der neuen Zusammensetzung des RZG für Holsteins beinhaltet diese Zuchtwertschätzung auch für die Rassen Fleckvieh und Brown Swiss eine große Veränderung: Die Umstellung auf das Single-Step-Verfahren.
Bisher wurde das „Two-Step-Verfahren“ zur Zuchtwertschätzung genutzt. Bei diesem Verfahren werden die Zuchtwerte zunächst anhand der Leistungs- und Pedrigeedaten geschätzt und im zweiten Schritt mit den Ergebnissen der genomischen Daten gekoppelt. Allerdings führt dieses Verfahren zunehmend zu Verzerrungen der Zuchtwerte, da die genotypisierten Tiere in der Regel vorselektiert und deren Väter und Großväter zum Teil selbst noch genomische Jungvererber sind.
Dadurch wächst deren Distanz zur Lernstichprobe (nachkommengerpüfte und genotypisierte Bullen, anhand deren Information die Schätzformeln „geeicht“ werden). Zudem können genotypisierte weibliche Tiere mit Eigenleistung hierbei nicht berücksichtigt werden. Dies erschwert die Zuchtwertschätzung für neue Merkmale, wie z.B. Gesundheitsmerkmale, da dazu in der Lernstichprobe noch keine Informationen vorhanden sind.
Deshalb werden nun folgende Anpassungen vorgenommen:
- Neues Schätzverfahren: Bei dem sogenannten Single-Step-Verfahren werden die Leistungs- und Pedigreedaten sowie der Genotyp in einem Schritt „verarbeitet“ und Verwandtschaftsbeziehungen exakter abgebildet als bisher. Dafür werden die genomischen Informationen aller genotypisierten Tiere (bei Fleckvieh derzeit knapp 300.000, bei Brown Swiss knapp 70.000 Tiere) berücksichtigt.
- Erweiterte Lernstichprobe: Im gleichen Zug wird auf eine gemeinsame Lernstichprobe von Bullen und Kühen umgestellt. Das heißt, dass neben geprüften Besamungsbullen nun auch weibliche Tiere mit in das Schätzsystem eingehen. Damit ist die Lernstichprobe wesentlich größer und näher an der tatsächlichen Population, da nun auch jede Kuh (bzw. Kuhfamilie) eine Rolle spielt.
- Weitere Anpassungen: Mit der kommenden Zuchtwertschätzung werden zudem neue Schätzverfahren für die Zuchtwerte Milchwert, Fleischwert und Nutzungsdauer sowie eine neue Methode zur Berechnung der Sicherheiten eingeführt. Außerdem werden die Gesundheitsmerkmale erstmalig genomisch geschätzt und die Datengrundlage für die Merkmale Fruchtbarkeit, Kalbeverlauf und Fleisch angepasst.
Welche Auswirkungen ergeben sich?
Die Veränderungen sollen in erster Linie eine erhöhte Sicherheit genomischer Zuchtwerte liefern, sowohl durch das neue Schätzverfahren als auch die erweiterte Lernstichprobe. „Die direkten Leistungsdaten für Kühe ergänzen die indirekte Leistung nachkommengeprüfter Bullen“ erklären Dr. Pera Herold und Dr. Henning Hamann vom Zuchtwertschätzteam Baden-Württemberg. Da alle Leistungs- und Genotypdaten direkt in das Zuchtwertschätzsystem einfließen, können neue Merkmale zudem schneller etabliert werden. Beides gilt ebenso für die Herdentypisierung, da auch die Zuchtwerte für weibliche Tiere vom neuen Verfahren profitieren und zuverlässiger werden sollen.
Insgesamt führen die Anpassungen zu deutlichen Veränderungen einzelner Zuchtwerte und der Rangierung in den Toplisten. Ein im Januar durchgeführter Testlauf hat gezeigt, dass sich vor allem die Milchwerte (MW) einzelner Tiere verändern, was sich wiederum auf die Gesamtzuchtwerte (GZW) auswirkt. Im Mittel hätten sich der GZW um 1,9 (FV) und 2,1 (BV) und der MW um 3,1 (FV) und 2,5 (BV) erhöht. Bei Fleisch- und Fitnesswerten fielen die Veränderungen etwas geringer aus (Stand Januar 2021).
Ein Blick in die Zukunft
Auch wenn die Veränderungen einen großen Umbruch mit sich bringen, ist dieser Schritt wichtig. Denn mit der Einführung des Single-Step-Verfahrens werde ein neues Zeitalter der Zuchtwertschätzung eingeleitet, heißt es seitens der Rinderunion Baden-Württemberg (RBW). In Deutschland seien die Rassen Fleckvieh und Braunvieh Vorreiter, insgesamt beschäftige sich aber die gesamte „Zuchtwelt“ mit dem neuen Verfahren.
Man hat sich bewusst dazu entschieden, die Veränderungen in einem Schritt einzuführen, damit es anschließend längerfristig zu keinen drastischen Veränderungen kommt. Zwar sind auch für die nächsten Zuchtwertschätzungen Veränderungen geplant, dabei geht es aber vor allem um die Etablierung neuer Zuchtmerkmale. So kündigte Dr. Henning Hamann an, dass bei der Rasse Fleckvieh die Einführung von nach dem neuen Verfahren geschätzten Zuchtwerten für Melkverhalten und Leistungssteigerung für August 2021 vorgesehen sei. Frühestens im Dezember 2021 könnte dann der Zuchtwert für Persistenz folgen. Zudem soll die Zuchtwertschätzung ab September im Zwei-Wochen-Rhythmus durchgeführt werden.
Die RBW kündigte außerdem an, die Projekte „FLECKfficient“ und „BraunviehVision“ nach der offiziellen Projektlaufzeit fortzusetzen. Auch Betriebe, die nicht am Projekt beteiligt sind, haben die Möglichkeit, ihre Herde typisieren zu lassen. Die genomischen Daten sollen Milcherzeuger dabei unterstützen, eine klare Besamungsstrategie aufzustellen, um die beste Nachzucht zu selektieren und nicht zur Remontierung benötigte Kälber möglichst wirtschaftlich zu vermarkten (“genomisches Herdenmanagement“).
Quellen: RBW, Zuchtwertschätzteam Baden-Württemberg
In der kommenden Woche präsentieren wir Ihnen die Ergebnisse der April-Zuchtwertschätzung für Fleckvieh, Brown Swiss und Holsteins.
Hier finden Sie die Ergebnisse der letzten Zuchtwertschätzung im Dezember:
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