Von dem Moment an, in dem das neugeborene Kalb auf den Boden der Abkalbebox rutscht, liegt es allein in der Hand des Herdenbetreuers, ob es gesund bleibt und zu einer leistungsfähigen Milchkuh oder einem leistungsfähigen Mastbullen heranwächst.
Die Basis stellt nach der Geburtshilfe die Erstversorgung – und dazu haben wir hier bewährte Empfehlungen aus Wissenschaft und Praxis gebündelt.
Neugeborenen-Check und im Notfall Ersthilfe leisten!
Die Lebensfähigkeit eines neu...
Von dem Moment an, in dem das neugeborene Kalb auf den Boden der Abkalbebox rutscht, liegt es allein in der Hand des Herdenbetreuers, ob es gesund bleibt und zu einer leistungsfähigen Milchkuh oder einem leistungsfähigen Mastbullen heranwächst.
Die Basis stellt nach der Geburtshilfe die Erstversorgung – und dazu haben wir hier bewährte Empfehlungen aus Wissenschaft und Praxis gebündelt.
Neugeborenen-Check und im Notfall Ersthilfe leisten!
Die Lebensfähigkeit eines neu geborenen Kalbs zu beurteilen ist die erste Aufgabe nach seinem vollständigen Austritt aus der Kuh und muss binnen Sekunden erfolgen – für den Fall, dass dem Kalb Erste Hilfe aufgrund von Sauerstoffmangel oder Fruchtwasser in der Lunge geleistet werden muss. Die aussagekräftigsten Check-Punkte sind:
- Muskeltonus (bewegt es sich, wenn ja wie aktiv?), Atmung (atmet es und wenn ja, gleichmäßig?), Lidschluss (öffnet und schließt es die Augen aktiv? ggf. auf Reiz, Bulbusreflex = mit dem Finger in die Augenlidkante fassen) und die Schleimhautfarbe (sind die Schleimhäute rosarot = gut durchblutet, oder gar bläulich oder weiß = schlecht bis nicht durchblutet?).
Kälber, die sich in den ersten Sekunden nicht aktiv bewegen, schwach oder gar nicht atmen und keine ausreichende Durchblutung anzeigen (0 bis 6 Punkte im Neugeborenen-Check; siehe unten), haben schlechte Überlebenschancen.
Wird hier keine Erste Hilfe geleistet, sterben sie in den ersten Minuten an Herz-Kreislauf-Versagen oder sie ersticken. Das muss nicht sein! Schnell und richtig geleistete Ersthilfe kann schwachen Kälbern oftmals das Leben retten und ihnen ein normales, ungeschwächtes Leben ermöglichen.
Die wichtigsten Erste Hilfe-Maßnahmen für Kälber
- Atmung und Kreislauf anregen: Einen Kaltwasserguss von zwei Litern in den Nacken des Kalbes regt die Atmung und die Kreislauftätigkeit an. Die gewünschte Reaktion ist eine spontane, aktive Bewegung.
- Stabile Brust-Bauch-Lage: Die Vorderbeine einschlagen und links und rechts vom Körper platzieren. Das
entlastet die Lungenflügel und erleichtert den Gasaustausch.
- Notfallpunkt/ Einatem-Reflex auslösen: Bei nicht vorhandener Atmung erst versuchen, über ein Pieken mit dem Daumen bzw. einer neuen Einwegkanüle (rosa) in die Mitte des Flotzmauls die Atmung auszulösen.
- Beatmung: Reicht die Stimulation des Notfallpunktes nicht aus, um die Atmung zu aktivieren, mit der Beatmung beginnen. Sechs bis zehn Atemschübe pro Minute mit dem Kälberretter oder Mund-zu-Mund.
- Atemstimulanz: Zusätzlich können atemstimulierende Präparate helfen, die Atmung zu aktivieren. Hierzu bitte Rücksprache mit dem Tierarzt halten.
- Atemwege von Schleim befreien: Atmet das Kalb nur flach und unregelmäßig „rasselnd“, gilt es nach der Positionierung in der Brust-Bauch-Lage die Atemwege von Schleim zu befreien. Durch ein Ausstreichen zum Flotzmaul mit der Hand oder durch den Einsatz des bewährten McCullock Medical-Kälberretter mit dem Saugaufsatz (gelb); oft reichen zwei bis drei schnelle Kolbenhübe aus. Zusätzlich sollte ein atemstimulierendes Mittel verabreicht werden. Stabilisiert sich die Atmung, muss der restliche Schleim in der Luftröhre absorbiert oder abgehustet werden. Notfalls für max. 15 Sekunden mit zwei Personen frei an den Hinterbeinen hochhalten (nicht über eine Kante hängen!).
Einatem-Reflex auslösen und ggf. Schleimabsaugen oder Beatmen
Gerettete Kälber benötigen eine weitere intensive Versorgung
Nach einer erfolgreichen Ersten Hilfe benötigt das gerettete Kalb weiterhin eine intensive Versorgung und sollte dem Tierarzt vorgestellt werden.
Saug- und Schluckreflex von schwergeborenen Kälbern sind oft gar nicht oder nur schwach ausgeprägt: Über 50 % der Neugeborenen trinken aus eigener Kraft höchstens 1,5 Liter – das ist zu wenig! Ein Drenchen des Kolostrums ist hier notwendig (Einweisung durch Tierarzt oder eine andere erfahrene Person).
Kälber, die Fruchtwasser eingeatmet haben, erkranken zudem oft an Lungenentzündung. Das kann auch auf Kälber mit vier bis sechs Punkten im Neugeborenen-Check nach Leister (2009) zutreffen!
Zur Sicherheit sofort den Nabel desinfizieren
Der nach der Geburt noch offene Bauchnabel wird durch den 10 bis 20 cm langen, anfangs noch feuchten Nabelstrang, die Nabelscheide, geschützt. Dieser muss schnell verkleben und eintrocknen und so verhindern, das Keime eindringen und Nabelentzündungen entstehen. Eine gute Hygiene im Abkalbe- und Kälberstall sowie ein routinemäßiges Desinfizieren der Nabelscheide helfen Infektionen vorzubeugen.
- Wann Desinfizieren? Am besten sofort, aber mindestens in den ersten 30 Lebensminuten. Danach 1 x täglich mit Blick-Kontrolle, solange bis der Nabelstrang vollständig eingetrocknet ist.
- Welches Mittel? Mit 0,5 bis 1%iger Chlorhexidinlösung; 0,5 bis 1%iger PVP-Jodlösung oder alkoholischer Jodlösung – Absprache mit Tierarzt. Antibiotische Sprays („Blauspray“) zu verwenden ist nicht nötig!
- Wie Auftragen? Ersten nur mit sauberen Händen bzw. frischen Einweg-Handschuhen. Am besten mit einem Einweg-Pappbecher: Lösung hineingeben, den Nabelstrang darin tauchen bis er vollständig bis zum Bauchnabel benetzt ist. Restlösung und Becher entsorgen!
- Achtung: Wenn der Nabelstrang nach der Geburt direkt am Bauchnabel abgerissen ist, er stark blutet oder abnormal dick ist, den Tierarzt hinzuziehen.
Aus dem Abkalbestall in die Spezialbox
Das Kalb soll aus hygienischen Gründen schnell raus aus dem Abkalbestall. Um der Kuh trotzdem Zeit zum Trockenlecken des Kalbes zu geben (nicht bei ParaTB!) und um dessen Vorteile zu nutzen (Abgang Nachgeburt; Kreislaufanregung; trockenes, aufgestelltes Fell), gibt es eine Praxislösung: Eine Box, in die das Kalb außerhalb von der Abkalbebox, aber erreichbar für die Kuh, gelegt wird. Sie sollte: leicht zu reinigen, gedämmt, verletzungsfrei, zugfrei, mit Wärmelampe ausgestattet (Wärme wirkt positiv; mind. bis Fell trocken oder ≥ erste 24 Stunden) und frisch eingestreut (Hobelspäne, gutes Stroh) sein.
Ideal ist die Positionierung vor einem Fangfressgitter (siehe Foto). Die Kuh kann ihr Kalb ablecken, das Kalb ist sauber untergebracht und der Mensch kann die Kuh in Ruhe melken und versorgen. Das Kalb bleibt bis zur zweiten Kolostrumgabe oder zumindest so lange in der Box, bis sein Fell trocken ist.
Eine solche Spezialbox kann auch an einem anderen geschützten Ort stehen; dann eben ggf. ohne Zugang der Kuh. Neu geborene Kälber sollten in jedem Fall erst in die Stroh-Einzelbox im Kälberstall kommen, wenn ihr Fell ganz trocken ist. Bzw. sind die Einzelboxen für die ersten Lebenstage so untergebracht, dass sie vergleichbares für das Kalb leisten können, wie eine beschriebene Spezialbox!
3 bis 4 Liter Kolostrum innerhalb der ersten Stunde
Die ideale Kolostrumversorgung ist eine Wissenschaft für sich. Zurecht, sie hat einen enormen Einfluss auf die Gesundheit und Leistungsfähigkeit des Kalbes, ein Leben lang! Hier die wichtigsten Punkte in Kürze:
- Wann Kolostrum melken? Innerhalb der ersten 30 Minuten, spätestens 2 Stunden. Der Immunglobulingehalt verringert sich im Laufe der Zeit! Dann innerhalb von 30 Minuten vertränken oder kühl stellen.
- Wie Kolostrum melken? Ausschließlich mit und in 100%ig gründlich gereinigte/n Utensilien. Denn in einem gesunden Euter ist die Milch noch keimfrei – Verunreinigungen ergeben sich erst durch Hände und Melkutensilien. Und Keime im Kolostrum können Durchfall für das Neugeborene verursachen und die Absorption von Antikörpern aus dem Kolostrum im Darm blockieren.
- Wann Kolostrum tränken? Innerhalb der ersten Lebensstunde.
- Welche Tränketemperatur für Kolostrum? 39°C.
- Wie viel Kolostrum tränken? 10% vom Körpergewicht; das entspricht bei einem 40 kg schwer geborenen Kalb 4 Liter. Richtwert: 3 bis 4 Liter, hängt auch von Qualität ab! Ziel: Mindestens 200 g IgG mit der ersten Mahlzeit.
- Welche Kolostrum-Qualität? IgG-Gehalt Soll: > 50 g/l Kolostrum; entspricht > 22% Brix im Messwert. Kontrolle ist sinnvoll, denn ca. 30% der Erstgemelke liegen unter dem Zielwert von 50 g IgG/l.
- Restmengen aufdrenchen: Trinkt das Kalb nicht die nötige Menge aus eigener Kraft aus der Flasche, sollte die Restmenge gedrencht werden, um eine ausreichende Versorgung sicherzustellen.
- Kolostrum aufbewahren: Übriges Kolostrum sollte immer für die nächsten Mahlzeiten oder Mischkolostrum für die älteren Kälber aufbewahrt werden. Das hat aber nur die erwünscht positive Wirkung, wenn die Milch hygienisch, also keimarm, bleibt. Dafür muss sie in sauberen Behältern kühl gestellt werden. Es gilt: Innerhalb von zwei Stunden auf 2 bis 4°C herunterkühlen (Kühlraum/-schranktemperatur prüfen!). Bei dieser Temperatur kann Biestmilch 24 Stunden ohne IgG-Verluste aufgehoben werden.
- Kolostrum erwärmen: Schonend im Wasserbad bei max. 50°C Wassertemperatur. Einmal erwärmt, sollte sie in den nächsten 30 Minuten verbraucht werden.
Eine Eisenergänzung ist unverzichtbar
Über 60 % der Kälber werden mit einem Eisenmangel geboren. Eine gestörte Blutbildung (Anämie) sowie eine geschwächte Fähigkeit, Antikörper (Immunschwäche) und Enzyme zu entwickeln, sind die Folgen. Wenn darauf nicht mit einer Eisenergänzung reagiert wird, kommt es zu erhöhter Krankheitsanfälligkeit und geringeren Zunahmen. Eine Eisenversorgung der Kälber am ersten Lebenstag wird daher dringend empfohlen, und zwar:
- Über eine einmalige orale Eisengabe oder eine einmalige Injektion von 1.000 mg Eisen-Dextran am ersten oder zweiten Lebenstag. Die Kosten liegen bei ca. 80 Cent pro Kalb – eine gute Investition!
Quellen: siehe Elite BestPractice 2017 „Kälber- und Rinderaufzucht“