„Der Bulle ist die halbe Herde!” – Der Einfluss von Deckbullen im Milchkuhbetrieb ist nicht zu unterschätzen. Tipps, worauf Sie bei der Wahl des passenden Bullen für die eigene Herde achten sollten.
Angeblich wenig genutzt und doch hat jeder einen im Stall – der Deckbulleneinsatz in Milchkuhbetrieben wird häufig unterschätzt. Allein an der monatlichen Vermarktung über Auktionen oder ab Stall zeigt sich, wie weit verbreitet sie tatsächlich sind. Wie intensiv der Bulle eingesetzt wird, kann je nach Betrieb sehr unterschiedlich sein. Ist einmal ein Deckbulle im Betrieb, deckt er jedoch meistens mehr Tiere als ursprünglich geplant, sodass er für viele Nachkommen verantwortlich ist.
Umso wichtiger ist es, den passenden Bullen für die eigenen Ansprüche zu finden und ihn regelmäßig auszutauschen. Worauf sollte also bei der Auswahl geachtet werden? Wir haben drei Experten nach wichtigen Kriterien und Tipps zur Kaufentscheidung gefragt.
Veronika Lammers
Zuchtberaterin, VOST
Dietmar Albers
Vermarkungsleitung Inland, VOST
Werner Hauck
Geschäftsführer und Deckbullenberater, RZV Franken
Vielseitiger Einsatz
„Der Strukturwandel hin zu größeren Betrieben hat den Einsatz von Deckbullen aus arbeitswirtschaftlichen Zwängen verstärkt”, erklärt Dietmar Albers, Vermarktungsleiter beim Verein Ostfriesischer Stammviehzüchter eG (VOST). Deckbullen sind immer öfter anzutreffen, u.a. weil in Folge wachsender Herden häufig die Zeit zur Brunstkontrolle fehlt. Sie können verschiedene Aufgaben übernehmen:
Jungrinder: Deckt der Bulle in der gesamten Jungrinder-Herde, entfallen Brunstkontrolle und Fixierung, insbesondere während der Weidezeit.
Ausputzer: Der Bulle wird separat oder nur in bestimmten Gruppen gehalten und ist für Nachbesamungen und Problemkühe zuständig.
Brunstkontrolleur: In direkter Nähe zur Herde dient er als „Brunstanzeiger”.
„Der Einsatz eines Deckbullen sollte generell nur die Lösung sein, wenn eine künstliche Besamung betrieblich nicht infrage kommt bzw. nicht zum richtigen Erfolg führt.”, meint Veronika Lammers, Zuchtberaterin beim VOST. Denn neben den Vorteilen der Zeitersparnis, geringeren Besamungskosten und höheren Trächtigkeitsraten gehen mit Deckbullen gleichzeitig eine hohe Verletzungsgefahr, ungenaue Trockenstehzeiten, die Gefahr von Unfruchtbarkeit und eines oft geringeren Zuchtfortschrittes einher.
Obwohl Jungrinder die jüngste und attraktivste Genetik haben, sind Deckbullen in dieser Altersgruppe stark verbreitet. Bei diesem intensiven Einsatz muss klar sein, dass der Bulle für das Herdenniveau der nächsten drei bis vier Jahre verantwortlich ist. Um das Risiko zu mindern, dass er unerwünschte Eigenschaften vererbt, sollte er nicht übermäßig eingesetzt werden, so wie es auch beim Einsatz junger Besamungsbullen (Genomics) empfohlen wird.
Wird der Deckbulle in einer separaten Box neben den Kühen gehalten, dient er auch als guter „Brunstanzeiger“, wiel ihn brünstige Kühe aufsuchen.
(Bildquelle: Stöcker-Gamigliano )
Nur gekörte Bullen!
Damit sich die Herde (bzw. ihr genetisches Potenzial) durch den Einsatz eines Deckbullen also nicht verschlechtert und wenig Kompromisse beim Zuchtfortschritt eingegangen werden, sollte die Wahl des Bullen gut durchdacht werden. Dabei gilt:
Ganz wichtig: Das Zuchtziel und die Schwächen definieren, die in der Herde ausgeglichen werden sollen. Das können Leistung, Fitness oder Exterieurmerkmale wie Größe, Fundamente und besonders bei Roboterbetrieben die Melkbarkeit und Strichplatzierung sein. Besonders für Biobetriebe ist der Hornstatus wichtig. Wird der Bulle bei Jungrindern eingesetzt, sollte er nicht zu schwere Kälber vererben.
Von großer Bedeutung ist auch der Körstatus. Nur Nachkommen von gekörten Bullen sind Herdbuch-anerkannt. Tiere ohne Herdbuch-Anerkennung lassen sich schwer bis gar nicht vermarkten (kein Export). Auch die folgende Generation sind Nicht-Herdbuch-Tiere. Entspricht der Bulle den Körbedingungen (Abstammung, Mutterleistung etc.) kann er im Alter von einem Jahr gekört werden. Gekörte Bullen erhalten eine Blech- oder Plastikohrmarke mit Körnummer.
Ein Blick gilt auch dem Charakter und der Haltungsform. Der Bulle sollte ruhig und umgänglich sein, um das Unfallrisiko möglichst gering zu halten. Bei der Haltungsform ist zu beachten, was der Bulle bereits kennt. Soll er im Stall mit Spaltenboden decken und zwischen der Herde laufen, ist es von großem Vorteil, wenn er das bereits kennt. Dasselbe gilt für Weide (Achtung Arbeitssicherheit!).
Die Bullen sollten gutmütig sein und sich leicht führen lassen. Fleckvieh-Doppelnutzungsbullen zeichnen sich durch Leistung und Stabilität aus.
(Bildquelle: RZV Franken )
Maximal ein Jahr nutzen
Der Bulle sollte vom Entwicklungsstand zur anzupaarenden Herde passen. Für eine Kuhherde ist ein älterer Bulle besser geeignet, am besten mit Deckerfahrung. Bei blutjungen Deckbullen sollten die Rinder noch nicht zu groß sein. Wichtig sind ein rutschfester Stallboden und eine zu bewältigende Herdengröße. Bei einer zu großen Herde können sich junge Bullen „verausgaben“ und verletzen. Deckunlust oder Unfruchtbarkeit sind erst mit gewisser Verzögerung zu erkennen, was hinsichtlich der Reproduktion fatal ist.
Der Bulle sollte maximal für ein Jahr im Einsatz sein. „In einem Alter von knapp zwei Jahren erzielt man noch einen besseren Schlachterlös. Zudem bleibt das Risiko einer schlechten Vererbung, z.B. Melkbarkeit, geringer, wenn er auf einen Jahrgang reduziert ist“, erklärt Veronika Lammers. Ein älterer Bulle kann außerdem zu schwer und zu gefährlich werden.
Mehrere Bullen zur gleichen Zeit führen zu Abstammungsfehlern und sollten vermieden werden. Ist es aufgrund der Herdengröße nicht anders möglich, sind eine genaue Trennung in Gruppen und Dokumentation sehr wichtig.
Tipp: Vor dem Kauf eines Bullen muss man in der eigenen Herde schauen, von welchem Vater die meisten Kühe abstammen, um Inzucht zu vermeiden. Aufgrund des Inzuchtrisikos ist der Zukauf immer der Nutzung eines eigenen Bullen vorzuziehen.
Hilfsmittel für den Einkauf
Für die Kaufentscheidung bedarf es einen Blick in das Papier und auf das Tier. Zuerst sollten sich Käufer über die Abstammung informieren. Ausschlaggebend sind oft die Leistungsdaten und die Exterieur-Bewertung auf der Mutterseite. Neben den errechneten Zuchtwerten anhand der Vorfahren (Pedigree-Index, PI) weisen auch die direkten Zuchtwerte des Bullenvaters eine Richtung auf, zum Beispiel im Kalbeverlauf. Eine erhöhte Sicherheit bieten genomische Zuchtwerte, die zunehmend verfügbar sind.
Die Größen- und Gewichtsentwicklung des Bullen selbst muss altersgerecht sein. Dazu kommt die (meist eher subjektive) Beurteilung des Exterieurs. Hier sind unter anderem das Seitenbild mit korrekter Oberlinie, die Beckenlage und -breite sowie ein korrektes Fundament wichtig. Beim Fleckvieh ist zudem die Bemuskelung bedeutend. Hat man die Möglichkeit, sollte man sich die Mutter oder weitere verwandte Bestandstiere ansehen.
Deckbullen mit genomischer Typisierung
Für möglichst sichere Vererbungsqualitäten des Deckbullen sollte man nach einem genomisch untersuchten Bullen Ausschau halten. Rund 20% der zum Verkauf stehenden Deckbullen werden mit Typisierungsdaten angeboten. Die Tendenz steigt. In Ansbach sind es bei Fleckvieh schon 100%. Käufer können selbst (noch) keine genomische Typisierung anfordern, seit Kurzem können Bullenzüchter aber ein detailliertes Datenblatt vorlegen.
Bei der Auktionsvermarktung werden der Gesamtzuchtwert (RZG), die Leistungsmerkmale (RZM, Milch-kg, Fett und Eiweiß) sowie die Teilindizes für Exterieur (RZE), somatische Zellzahl (RZS), Reproduktion (RZR) und Nutzungsdauer (RZN) für alle typisierten Bullen im Katalog veröffentlicht. Zum Teil informieren die Zuchtverbände auch über Melkbarkeit und Kalbeverlauf in Form einer Klasseneinteilung. Das heißt, die genomischen Zuchtwerte der angebotenen Deckbullen für Melkbarkeit (RZD) und direkten Kalbeverlauf (KVd) werden nicht direkt angegeben, sondern in fünf verschiedene Klassen unterteilt (++, +, Ø, -, --).
Genetische Besonderheiten wie Erbfehler, Hornstatus oder Beta-/Kappacasein werden entweder im Katalog angezeigt oder auf Wunsch an Kaufinteressenten weitergegeben.
Auktion bietet Vergleich
Bei der Vermarktung von Deckbullen bieten Zuchtviehauktionen die passende Bühne. Käufer können an einem Platz mehrere Bullen vergleichen und haben Auswahl. Im Norden werden weitaus mehr Bullen im Ab-Hof-Geschäft vermarktet. Die Auktion dient hier als Marktbarometer und Signalfunktion für Nachfrage und Angebot. Einige Bullen verfügen bereits über Deckerfahrungen. Über den Zuchtverband vermarktete Deckbullen sind aber grundsätzlich für den Fall eines Nicht-Deckens (Gewährfrist sechs Wochen) oder Nicht-Befruchtens (vier Monate) versichert.
Bei einem kurzfristigen Ausfall des Bullen können Zucht- und Vermarktungsorganisationen in der Regel schnell für adäquaten Ersatz sorgen. Zudem ist auch die gesamte Abwicklung, das heißt Transport, Zuchtpapiere und Zahlungsströme, geregelt. Käufer und Verkäufer finden aber nicht selten auch direkt zueinander, wenn ein Ersatz für den alten Bullen gesucht wird, mit dem man gute Erfahrungen gemacht hat.
Teilweise nutzen Milcherzeuger auch Fleisch- bzw. Doppelnutzungsrassen als Deckbullen. „Der Rinderzuchtverband Franken e.V. vermarktet rund ein Drittel der 400 Fleckvieh-Bullen zu Kreuzungszwecken nach Mittel- und Norddeutschland sowie angrenzende EU-Länder“, sagt Geschäftsführer Werner Hauck.
Achtung: Beim Einsatz reiner Fleischrasse-Bullen auf Milchkühe besteht eine erhöhte Gefahr schwerer Kalbungen, weshalb in Besamungsstationen fast ausschließlich töchtergeprüfte Fleischrasse-Bullen im Einsatz sind. Entsprechend risikoreich ist ein Deckbulle ohne getesteten Kalbeverlauf.
Am Ansbacher Markt werden über 50 Bullen angeboten. Das bietet eine gute Vergleichsmöglichkeit beim Bullenkauf.
(Bildquelle: RZV Franken )
Beratung unbedingt nutzen!
Vielfach haben die zuständigen Außendienstmitarbeiter einen guten Überblick über das Angebot an Deckbullen und helfen bei der Auswahl. Sie kennen die betrieblichen Bedingungen und Bedürfnisse und können entsprechend vermitteln. Ein Teil der Tiere wird auch komplett im Auftrag gekauft. Eine zweite Meinung ist viel Wert, weiß Veronika Lammers: „Ich kann immer empfehlen, sich gut beraten zu lassen. Der Kauf eines Deckbullen sollte wohl überlegt sein. Es lohnt sich!“