Sie haben sich gegen den Mainstream entschieden und sind vor rund 20 Jahren auf Vollweide mit Blockabkalbung umgestiegen. Wo stehen diese Pioniere heute?
- Milcherzeuger mit Vollweide und Blockabkalbung berichten über mehr Lebensqualität bei ausreichendem Einkommen.
- Das Ziel, pro Kuh und Jahr mindestens 2.000 € Gewinn zu erwirtschaften, haben sie nach eigenen Angaben durchgängig erreicht.
- Die passende Weidegenetik zu finden sei ebenso eine Herausforderung wie eine gute Parasitenbekämpfung auf der Weide.
In diesem Jahr ist Stefan und Josef Berger (v.l.) das Futter auf den Flächen fast davon gewachsen.
(Bildquelle: Lehnert, Silvia)
Vollweide statt Vollgas. So titelten Fachblätter vor zwei Jahrzehnten als sich vor allem in Bayern – später auch in anderen Bundesländern – Milchkuhhalter vom Credo „mehr Kühe, mehr Milch“ verabschiedeten. Stattdessen entschieden sie sich für die Strategie: Vollweide mit saisonaler Blockabkalbung.
Das Versprechen: Weniger Arbeit, weniger Kosten, aber trotzdem ein ausreichendes Einkommen. Hat sich das auf lange Sicht ausgezahlt? Wo stehen die Pilotbetriebe von damals heute und wie geht es in Zukunft weiter? Zu Besuch bei zwei Vollweide-Pionieren in Oberbayern. „Wir sind nach wie vor überzeugt von dieser Art der Milcherzeugung. Damit lässt sich relativ einfach ein ausreichendes Einkommen erzielen. Ökonomisch geht es uns heute besser als mit der Vollgas-Strategie“, sagen die Familien Vollert und Berger unisono. Sie genießen, dass sie vor allem im Sommerhalbjahr mehr Zeit für die Familie und für andere Dinge haben. Martina Vollert: „Wir haben heute mehr Lebensqualität als früher.“ Von der Bevölkerung bekämen sie viel Zuspruch.
Wir haben heute mehr Lebensqualität als früher.“
Martina Vollert, Milcherzeugerin
Die beiden Biobetriebe sind 2006 im Rahmen eines Pilotprojektes der LfL Bayern auf das Vollweide-System mit saisonaler Abkalbung im Herbst/Winter umgestiegen. Mit 38 ha bzw. 22 ha arrondierter Fläche brachten sie die wichtigste Voraussetzung dafür mit. Zudem wirtschaften sie auf einem Gunststandort, Trocken- oder Hitzephasen spielen so gut wie keine Rolle. „Wo das der Fall ist, setzen wir stärker auf Herbstkalbung, damit wir im Hochsommer Altmelker und Trockensteher haben“, sagt Siegfried Steinberger von der LfL Bayern.
Der Weideexperte hat die Betriebe damals insbesondere bei der Umstellung auf die Kurzrasenweide fachlich intensiv betreut. „Ohne Beratung hätte das nicht funktioniert“, sind sich die Milcherzeuger sicher. Große Investitionen mussten beide seit dem Einstieg nicht tätigen. Sie haben für größere, komfortablere Abkalbeboxen gesorgt. Josef Vollert hat für seine Holsteinherde mit 60 Kühen einen Außenfuttertisch gebaut. Josef Berger installierte für die 70 Fleckviehkühe Außenliegeboxen mit Vorwartehof zum Melkstand. Alles in Eigenleistung, zu niedrigen Kosten.
Familie Vollert hat für die 60 Kühe direkt am Stall einen Außenfuttertisch gebaut.
(Bildquelle: Lehnert, Silvia)
Milchleistung ist wichtig
Der Leistungsgedanke ist ihnen durchaus wichtig, betonen die Betriebsleiter. „Für mich ist entscheidend, was ich mit möglichst niedrigen Kosten im Tank habe“, bringt Josef Berger auf den Punkt. Das Leistungsniveau liegt auf den Vollweide-Betrieben bei 7.000 kg bis 7.200 kg pro Kuh und Jahr. Auf nicht weidefähigem Grünland baut Familie Vollert neben Kleegras inzwischen Silomais an. Martina Vollert: „Der Mais hat die Leistung richtig nach vorne gebracht.“ Einen deutlichen Anstieg verzeichneten sie auch, als sie die Kühe eine Wintersaison lang dreimal am Tag gemolken haben. Im Sommer erhalten die Kühe im Stall nur Mineralfutter und Salz zugefüttert. „In die Laktation setzen trotzdem einige mit über 40 Liter ein“, berichtet Josef Vollert. In der Winterperiode legt er eine Voll-TMR mit 6 kg Kraftfutter pro Kuh und Tag vor. Berger füttert 4 kg Kraftfutter am Trog und 2 kg über die Station. Beide Milcherzeuger kommen auf einen Kraftfutteraufwand von ca. 600 bis maximal 700 kg pro Kuh und Jahr. In den letzten Jahren wurden Gewinne um die 2.000 €/Kuh und Jahr erzielt.
Trotz Hitze und voller Sonne grast die Holsteinherde von Familie Vollert ungestört auf der Weide. Weil die Kühe für den Laufstall zu groß wurden, kreuzten die Milcherzeuger neuseeländische Genetik ein. Das Ergebnis sind mittelrahmige Tiere mit schönen Eutern.
(Bildquelle: Lehnert, Silvia)
Kurzrasenweide im Griff
In einer effizienten Parasitenbekämpfung auf der Weide sowie einer ausreichenden Hütesicherheit – Stichwort Wolf! – sehen die Betriebe noch Herausforderungen. Demgegenüber ist das Management der Kurzrasenweide mit Auftrieb bereits Ende März, Anfang April längst kein Problem mehr. „Die Kühe zeigen uns genau, wenn ihnen das Gras zu lang ist und sie auf eine andere Fläche wollen“, schildert Martina Vollert. Durch das hohe Alter der Tiere sei inzwischen ein starker Herdenverband gegeben. Das vereinfache die Treibearbeit ungemein. Zurzeit erreichen die meisten ihrer Kühe knapp sieben Laktationen, das mittlere Alter der Herde liegt bei 9,1 Jahre.
Die Betriebe könnten mit einer konsequenteren Aufwuchsmessung noch mehr Milch melken.
Siegfried Steinberger, LfL Bayern
Die Aufwuchsmessung wird zwar nicht mehr so intensiv wie am Anfang betrieben, ganz weglassen sollte man sie ihrer Ansicht nach, vor allem kurz nach dem Auftrieb, auch als Profi nicht. „Ich bin überzeugt, dass die Betriebe mit einer konsequenten Messung des Aufwuchses und einer noch strafferen Kalbephase noch mehr Milch melken könnten“, so Steinberger. Auch der Besatzdruck könnte bei Berger höher sein. Trotzdem sind die Grasnarben durchweg sehr dicht. Mindestens fünf Kennarten artenreicher Wiesen seien zu finden. Gemeine Rispe und Ampfer sieht man kaum noch.
Gute Weidegenetik gesucht
Aufgrund der zu kleinen Liegeboxen und um die Inhaltsstoffe in der Milch zu erhöhen, hat Familie Vollert in ihre Holsteinherde im Laufe der Zeit neuseeländische Genetik eingekreuzt. Mit gutem Ergebnis: Die erste Generation ist überwiegend mittelrahmig, die Tiere haben robuste Klauen und die Inhaltsstoffe sind auf 4,5 % Fett und 3,5 % Eiweiß gestiegen. Berufskollege Berger liebäugelt ebenfalls mit einer anderen Rasse: „Fleckvieh hat einen zu hohen Erhaltungsbedarf.“
Zu den Melkzeiten ist der Trog fast leer. Die Kühe in den Stall zu bekommen, sei trotzdem kein Problem.
(Bildquelle: Lehnert, Silvia)
Wie geht es weiter?
Bei beiden Familien steht in naher Zukunft der Generationswechsel an. Geht der Hof mit Vollweide weiter? Von Josef Vollert Junior kommt ein klares „Ja“. Er hat aber schon Ideen im Kopf, was er verändern will. Zum Beispiel will er das teure Biokraftfutter mit einer Station noch effizienter einsetzen. Stefan Berger überlegt noch: „Wenn ich den Betrieb fortführe, dann auf jeden Fall mit Weide“. Auch Siegfried Steinberger sieht aktuell wieder ein steigendes Interesse an der Vollweide: „Vor allem junge Betriebsleiter, die als Familienbetrieb mit 60 bis 100 Kühen psychisch und physisch an einer Grenze angelangt sind, suchen eine Lösung, um dem Dauerstress zu entfliehen.“