Bei der International Conference on Production Diseases in der Schweiz ging es um Zukunftsstrategien in der Nutztiermedizin.
Auf der diesjährigen „International Conference on Production Diseases“ (ICPD) in Bern, präsentierten Tierärzte und Tierwissenschaftler, was moderne Diagnostik leistet und wie man der Resistenzentwicklung von Bakterien entgegenwirken kann.
Ein weiterer Themenschwerpunkt befasste sich mit dem Einsparpotenzial von Antibiotika und der Unterbrechung von...
Bei der International Conference on Production Diseases in der Schweiz ging es um Zukunftsstrategien in der Nutztiermedizin.
Auf der diesjährigen „International Conference on Production Diseases“ (ICPD) in Bern, präsentierten Tierärzte und Tierwissenschaftler, was moderne Diagnostik leistet und wie man der Resistenzentwicklung von Bakterien entgegenwirken kann.
Ein weiterer Themenschwerpunkt befasste sich mit dem Einsparpotenzial von Antibiotika und der Unterbrechung von Infektionsketten. Das alle drei Jahre stattfindende Wissenschaftler-Treffen beschäftigt sich mit der Zukunftsforschung in der Nutztiermedizin. Das nächste ICDP findet im Jahr 2022 in Wisconsin, USA, statt.
Keine Krankenhauskeime im Kuhstall
Der Antibiotikaeinsatz in der Nutztiermedizin steht schon seit Jahren in der Kritik der Verbraucher. Der Hintergrund ist die Angst vor der Entwicklung von resistenten Bakterien, die lebensbedrohlich für Menschen und Tiere werden können, weil Antibiotika zur Bekämpfung von Infektionen nicht mehr helfen. Prof. Theo Lam von der Universität Utrecht in den Niederlanden hat in einer Studie das Vorkommen vonMethicillin-resistenten Staphylokokken (MRSA) bei Menschen und Tieren untersucht.
Wird der resistente Keim in Krankenhäusern in den Niederlanden (das gilt auch für Deutschland) gefunden, kommt es zur Isolation des Patienten und Weiterbehandlung unter erheblichen Hygienemaßnahmen (Ansteckungsschutz) für die Kontaktpersonen. Der Keim konnte glücklicherweise nur bei 0,03% der Patienten in Krankenhäusern nachgewiesen werden. Verbreiteter ist MRSA bei Schweinen (39%) und Schweinehaltern (23%).
Milchkühe sind deutlich seltener von den Resistenzen betroffen. Ein leicht erhöhtes Risiko haben Milchkühe dann, wenn sie in der Nähe von Schweineställen gehalten werden. In einer niederländischen Studie mit Milchproben von 3.000 untersuchten Kühen, waren 0,04% der Kühe MRSA positiv. Die identifizierten MRSA-Stämme waren rinderassoziiert und hatten mit den Krankenhauskeimen nichts gemein. Das MRSA-Problem scheint die Rinderhaltung bisher nur marginal zu betreffen.
Keine Kannenmilch für Kälber
Anders sieht es mit resistenten Darmbakterien, z.B. ESBL-positive E.coli oder -Klebsiellen, aus. Sie führen zu nicht behandelbaren Durchfällen mit Vergiftungssymptomen bei Mensch und Tier (Zoonose). Die veränderten Bakterien können ein Enzym (beta-Laktamase) bilden, das bestimmte Antibiotika wie moderne Cephalosporine wirkungslos macht. Das Problem ist in der Geflügelbranche mehr als bekannt. So sind einer Studie zufolge mehr als 94% des Geflügelfleisches ESBL-positiv.
Auch bei Rindern ist ESBL ein Problem: So konnte Prof. Theo Lam in einer Vergleichsstudie zeigen, dass die ESBL-Rate in Milchkuhherden mit niedrigem Antibiotikaeinsatz bei 12% liegt und in konventionellen Betrieben mit einem vergleichsweise höheren Antibiotikaeinsatz dagegen bei 41%. Je mehr Reserveantibiotika eingesetzt wurden, desto höher fiel die ESBL-Rate aus. Unterteilt man die Ergebnisse nach Alter der Tiere, fällt auf, dass nur 23% der Kühe, aber 49% der Kälber ESBL-Gene tragen.
Bei der Ursachenforschung entdeckte man, dass 83% des vertränkten Kolostrums Rückstände von Antibiotika (z.B. durch antibiotische Eutertuben) enthält. Auch die sogenannte „Kannenmilch“ stellt ein Problem dar. In der hemmstoffhaltigen Sperrmilch waren 7% der Keime ESBL-positiv.
In Zukunft werden die Niederländer mehr Anstrengungen unternehmen, junge Kälber nicht unnötig mit Bakterien und Antibiotika aus dem Kolostrum zu belasten. Ideen gehen dahin, dass nur Biestmilch von Kühen eingesetzt wird, die eutergesund und nicht antibiotisch trockengestellt wurden. Deshalb sollte verstärkt über das antibiotische Trockenstellen nachgedacht werden.
Auch die Kontrolle des Keimgehaltes der Biestmilch vor dem Vertränken spielt zunehmend eine Rolle. In der Diskussion ist der Einsatz von speziellen Testsystemen wie Petrifilme zur Auszählung der Bakterienkolonien des Keimgehaltes, dem ATP-Tester (weist auf lebende mikrobielle Zellen hin) oder einer sogenannten Clean Card aus der Lebensmittelindustrie, die bei unsauberen Nuckeln oder Eimern zum Kälbertränken die Farbe verändern.
Antibiotikafreie Kälberaufzucht
Prof. Martin Kaske, Schweizer Kälbergesundheitsdienst, Universität Zürich, kritisiert, dass im Handel z.B. mit dem Slogan „100% antibiotika-freier Aufzucht“ geworben wird. Das gefällt den meisten Verbrauchern, ist aber in der Regel nicht mit dem Tierwohl vereinbar. Denn diese Aufzuchtform führt dazu, dass über auftretende Krankheiten solange wie möglich hinweggesehen wird. Es bringt nichts, einfach den Antibiotikaeinsatz zu verbieten. Besser ist, die Krankheitsrisiken zu reduzieren. In der Schweiz wird deshalb derzeit intensiv am sogenannten „pre-conditioning“ der Kälber geforscht. Dabei geht es darum, wie man die Kälber mithilfe von qualitativ hochwertigem Kolostrum, ad libitum-Tränke und prophylaktischen Impfungen so schützt, dass sie bei Neueinstallung in den Aufzuchtbetrieb gar nicht mehr krank werden können. Nur so ist gute Tierleistung möglich.
Auch Transportwege über verschiedene Händler und Kälbersammelstellen werden kritisch hinterfragt, weil der Transportstress ein Hauptstörfaktor bei der Gesunderhaltung der Tiere ist. Die Ergebnisse der Studie „Freiluft Kalb“ von Dr. Jens Becker, Universität Bern, belegen, dass durch direkten Zukauf über 40% der antibiotischen Behandlungen eingespart werden konnten. In seiner Studie verglich er jeweils 20 Versuchs- mit entsprechenden Kontrollbetrieben. Im Versuch wurden die Kälber auf kurzem Wege zwischen Zucht- und Aufzuchtbetrieb transportiert. Während der 21-tägigen Quarantäne im Iglu wurden die Kälber gegen Grippe geimpft und später in Gruppen im Außenbereich aufgestallt. Die Kälber der Kontrollgruppe, die konventionell transportiert und aufgestallt wurden, zeigten folgende Unterschiede zu „Freiluft-Kälbern“ (s. Übersicht):
- fünfmal mehr Krankheitstage (31 vs. 6 Tage)
- viermal häufiger wegen Grippe behandelt
- dreimal mehr Lungenschäden bei Sektion
- doppelt so hohe Mortalität
- fünfmal mehr Krankheitstage (31 vs. 6 Tage)
- viermal häufiger wegen Grippe behandelt
- dreimal mehr Lungenschäden bei Sektion
- doppelt so hohe Mortalität
Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass Transportbedingungen einen großen Einfluss auf die Kälbergesundheit haben und hier ein erhebliches Einsparpotenzial für antibiotische Behandlungen schlummert. Mehr Forschung in diesem Bereich ist geplant.
Ultraschall: Prognose der Heilung
Eine typische Jungtiererkrankung ist die Rindergrippe. Ein innovatives Diagnoseverfahren ist der Lungenultraschall zur Erkennung von stark geschädigten Lungenarealen. Die Methode ist einfach zu erlernen und liefert genauere Ergebnisse als die, die mit einem Stethoskop zu erreichen sind. In einer Untersuchung konnte deutlich gezeigt werden, dass man sich auf klinische Symptome (erhöhte Atemfrequenz, Husten) allein nicht verlassen kann. So hatten gesunde Kälber stark geschädigte Lungen und kranke zeigten unauffällige Ultraschallbefunde. Der US-amerikanische Kälberexperte Sam Barringer berichtet, dass die Ultraschall-Methode zum Herdenscreening in großen Kälberaufzuchtanlagen bereits zur Routine gehört und dort von den Herdenmanagern selbst durchgeführt wird. Für das Screening wird der Schallkopf eines Ultraschallgerätes, das auch zur TU eingesetzt wird, zwischen den Rippen im vorderen Bereich der Lungen aufgelegt. Wird stark verdichtetes Lungengewebe sichtbar, weist das auf unheilbare Schäden hin. Patrick Fischer, Tierarzt und Ultraschallexperte, setzt die Lungenuntersuchung dort ein, wo zum Beispiel über den Verbleib oder Verkauf einer Färse in der Herde entschieden werden soll. Vorstellbar ist in Zukunft auch, dass die Lungenqualität zugekaufter Kälber beurteilt werden kann.M. Weerda