Konsequente Weidehaltung mit guten Milchleistungen sind auf dem richtigen Standort möglich. Das geht jedoch nur mit regelmäßiger Pflege und Nachsaat der Weideflächen.
Die Sonne scheint, am Himmel sind keine Wolken zu sehen. Auf den Weiden rund um den Betrieb stehen Kühe und Rinder und grasen friedlich auf dem frischen Grün. Ein Bild wie aus...
Konsequente Weidehaltung mit guten Milchleistungen sind auf dem richtigen Standort möglich. Das geht jedoch nur mit regelmäßiger Pflege und Nachsaat der Weideflächen.
Die Sonne scheint, am Himmel sind keine Wolken zu sehen. Auf den Weiden rund um den Betrieb stehen Kühe und Rinder und grasen friedlich auf dem frischen Grün. Ein Bild wie aus einer Werbung für Weidemilch.
Für die Weidehaltung bekommt Landwirt Jann Borchers jedoch kein Extrageld von der Molkerei. „Bei unserer Molkerei ist das Weidemilchprogramm an GVO-freie Fütterung gekoppelt. Dafür bekommt man einen Cent mehr“, erläutert er, während er sich im Stallbüro eine Tasse Ostfriesentee aufbrüht. „Wir füttern ohnehin schon sehr graslastig, eine Umstellung könnten wir problemlos hinbekommen. Für einen Cent stelle ich das aber nicht um. Da bleibt zu wenig über, das lohnt nicht“, erklärt er weiter und greift zur Dose mit dem Kandiszucker. „Wir lassen unsere Kühe aus Überzeugung auf die Weide. Wir sind eine typische Weideregion und verfügen über viel Land rund um den Hof.“
Jann Borchers wirkt unaufgeregt und pragmatisch. Der 27-jährige Landwirtschaftsmeister führt einen Milchkuhbetrieb im westlichen Ostfriesland, den er im letzten Jahr von seinem Vater übernommen hat. 206 Kühe und 126 Hektar Weidefläche gehören dazu. Das Besondere: Alle Kühe, Rinder und abgesetzte Kälber stehen von April bis November draußen auf den Weiden. Allein die Trockensteher und die Frischmelker haben begrenzten Zugang zum Grünland.
„Die Frischmelker werden komplett im Stall gefüttert und haben tagsüber Zugang zur Weide. Die Altmelker füttern wir vor dem Melken, die holen sich ihre Ration beim Reinlaufen und Rausbummeln. Eine Kuh weiß ja auch selber, was sie braucht und was nicht“, erklärt der Milcherzeuger sein Weidesystem und rührt mit dem Löffel in seiner Tasse.
Erst portioniert, dann Vollweide
Zu Beginn der Weidesaison weiden die Kühe auf knapp 26 Hektar. Anfangs wird die Fläche der Kühe eingeteilt, jeden Tag kommen 0,3 bis 0,4 Hektar mehr Weidefläche dazu. „Wenn man sie alle auf die gesamte Fläche lässt, dann treten sie bis zu 30 Prozent des Grasbestands dreckig oder kaputt“, erklärt der Junglandwirt die Portionierung. Im Verlauf des Jahres wird den Kühen dann die gesamte Fläche angeboten. „Wir wollen beim ersten Schnitt so viel wie möglich ernten, meist kommen dann etwa 100 Hektar zusammen“, erklärt Jann Borchers. Nach dem zweiten Schnitt werden die Kühe auf die weiter entfernten Flächen getrieben, abhängig vom Aufwuchs. Die Erntemenge nimmt dadurch mit jedem Schnitt etwas ab, gleichzeitig wird die beweidete Fläche größer. Im Herbst beweiden die Kühe noch etwa 45 Hektar, die Rinder 30 Hektar. Beim vierten Schnitt werden dann etwa 50 Hektar geerntet.
Während der junge Landwirt zur Weide mit einer Gruppe Kühe läuft, deutet er auf eine Reihe Büsche am Horizont: „Bis dahin reichen unsere Flächen. 80 Hektar können wir komplett ohne Führerschein erreichen. Besser geht’s nicht“.
Gruppenweise ins Grüne
Die einzelnen Weiden sind zwischen drei und 14 Hektar groß. Die Kühe werden je nach vorhandenem Aufwuchs und der Anzahl gruppenweise umgeweidet. Auf dem Betrieb weiden verschiedene Tiere in Gruppen von 14 bis 115 Tieren: Altmelker, Frischmelker (bis 150. Tag in Milch), vier Gruppen Jungrinder unterschiedlichen Alters, tragende Kühe und Rinder sowie leere und deckfähige Kühe und Rinder. In den letzten beiden Gruppen läuft jeweils ein Deckbulle mit.
Je nach Weide- und Gruppengröße verbleiben die Tiere einen bis vier Tage auf den Flächen, bis sie leergefressen sind. Das bemisst er per Augenmaß.
Jann Borchers unterscheidet zwischen Tag- und Nachtweiden. Nachts weiden die Tiere auf Flächen nah am Betrieb, damit der Treibeweg morgens nicht so weit ist. Tagsüber kommen sie auf frischere Weiden, die weiter entfernt sein können. Die Altmelker werden zweimal täglich mit dem Quad zum Melken getrieben. Dort haben sie auf dem Weg zum und vom Melken sowie nachts Zugang zu zusätzlichem Futter im Stall. An heißen Tagen haben sie auch tagsüber Zugang zum Stall, da es auf der Weide kaum Schattenplätze gibt.
Die Frischmelker hingegen bekommen nur tagsüber Auslauf auf einer Fitnessweide und bleiben nachts im Laufstall mit Tiefboxen. Dort bekommen sie morgens eine TMR aus Gras- und Massilage, Pressschnitzeln, Raps-Körnermais-Mischung und Luzerne vorgelegt. Zusätzlich erhalten diese Kühe noch Milchleistungsfutter am Automaten. Mais baut der Landwirt nicht selber an, den kauft er ab Feld von einem Kollegen zu. Die Grassilage kommt vom eigenen Land.
Zu den Weiden in Hofnähe führen Wasserleitungen. Auf den weiter entfernten Flächen nutzt Borchers Solartränken. Eine Pumpe fördert das Wasser aus den Vorflutern in den Wassertrog auf die Weide. „Unser Elektriker hat die selber gebaut, aus einer Solarzelle, einer Autobatterie und einem Umwandler“, erklärt er und lächelt.
Die Trockensteher stehen im alten Milchkuhstall. Diese Kühe kommen nur für wenige Tage im Jahr auf die Weide, wenn der Trockenstehbereich gereinigt und desinfiziert wird.
Regelmäßig pflegen
Um so viele Tiere über das Grünland ausreichend mit Nährstoffen zu versorgen, müssen die Flächen gut gepflegt werden. Das Management und der Blick auf die Kühe obliegt Jann Borchers selbst. Bei den täglichen Arbeiten helfen sein Vater und zwei Auszubildende. Während der Weidesaison fährt täglich einer der vier zur Kontrolle raus zu den Weiden. Dann werden die Holzpfähle, Draht und Litze sowie die Tränken kontrolliert und die Tiere gezählt. Zudem mähen Borchers die Weiden sauber aus, wenn sie ungleichmäßig nachwachsen. Zweimal „Saubermähen“ im Jahr ist das Ziel. Aus dem gemähten Gras machen sie Heu. Mit dem Quad und einer Rückenspritze bekämpfen sie zusätzlich punktuell das Unkraut auf den Flächen, hauptsächlich Sauerampfer.
Nach dem dritten Schnitt werden die Flächen teilweise nachgesät. „Wegen der Frühjahrstrockenheit setzt das Gras hier besser bei Herbstsaat an“, erklärt Jann Borchers. In den letzten zwei Jahren haben sie das aufgrund des schlechten Milchpreises etwas vernachlässigt. Mittlerweile hat sich der Milcherzeuger das Ziel gesetzt, jedes Jahr etwa 50 Hektar nachzusäen. Dafür nutzt er eine Mischung mit einem hohen Weidelgrasanteil. Das soll dafür sorgen, dass die Flächen trittfest bleiben.
„Man muss auch Trittschäden in Kauf nehmen. Wenn man weidet, kann man bei schlechtem Wetter nicht einfach alle Kühe in den Stall treiben“, erklärt der Milcherzeuger. „Außerdem möchte ich jedes Jahr mindestens fünf Hektar umbrechen, gerade schieben und neu einsäen. Die Gräser werden immer besser und außerdem müssen alte Grasnarben regelmäßig erneuert werden.“ In die neu umgebrochenen Weiden wird eine Weidemischung mit einem Kleeanteil eingesät.
Zweimal im Jahr bringen sie per Verschlauchung die Rindergülle auf die hofnahen Flächen aus. Im Frühjahr, bevor die Kühe rauskommen, und zum Herbst pumpt er mit einem Schlepper die Gülle direkt aus den Güllekellern unter den Stallgebäuden auf die hofnahen Flächen.
Viel Milch und lange Nutzungsdauer
Mit der Weidehaltung und Zufütterung erreichen die Kühe auf dem Betrieb Borchers eine Milchleistung von 9.956 kg pro Tier und Jahr, bei einem mittleren Fettgehalt von 3,98% und einem Eiweißgehalt von 3,51%. „Die Inhaltstoffe schwanken zwar im Verlauf des Jahres, aber nicht gravierend“, erklärt Jann Borchers. Zu der 206-köpfigen Herde gehören überwiegend schwarzbunte Kühe.
„Aktuell haben wir fünf 100.000 Liter-Kühe“. Besonders stolz ist er auf das hohe Durchschnittsalter seiner Kühe, darauf legt er viel Wert. „Wir haben eine Nutzungsdauer von 40,6 Monaten“, sagt er und erklärt weiter: „Eine Färse aufzuziehen kostet mich mindestens 1.600 Euro. Erst ab Mitte der zweiten Laktation beginnt eine Kuh aber erst, Gewinn einzufahren. Ich sehe nicht den Sinn darin, wenn die schnell wieder weg müssen. Meistens ist das Problem nicht die Kuh, sondern der Mensch“, sagt Jann Borchers.
„Wir haben heute morgen seit langer Zeit wieder eine Kuh wegen einer Labmagenverlagerung operiert. Das war meine Schuld. Die hatte ich nicht richtig angefüttert, weil es draußen stressig war. Das hätte vermieden werden können. Man muss sich selbst immer kritisch hinterfragen, denn meistens hat man es selbst verpennt“, erklärt der 27-Jährige.
„Keiner ist unersetzlich“
Direkt neben dem Melkzentrum liegt hinter einer Wand der Strohbereich. Rechts stehen die kalbenden Kühe. Die kranken Kühe auf der linken Seite haben Zugang zu einer kleinen Auslaufweide. „Die Strohbox ist das A und O auf einem Betrieb, kalbende Tiere gehören auf Stroh“, erklärt der Landwirt. Mehrmals am Tag schaut er hier vorbei. So behält er die kranken und kalbenden Kühe im Auge.
Gleich gegenüber der Strohbox befindet sich das Kälberdorf. Hier bieten sie den Kälbern auf dem Betrieb Auslauf und lehren sie den Umgang mit dem Stromzaun.
Das Herdenmanagement-Pprogramm unterstützt die Arbeit auf dem Betrieb. So gibt es zum Beispiel für das Trockenstellen einen festen Tag in der Woche. Das Besamen übernimmt der junge Betriebsleiter selbst. „Alle Kühe in der Frischmelkergruppe werden von mir besamt. Wer da nicht tragend wird, geht raus zum Deckbullen“, erklärt er.
Trotz der vielen Arbeit nimmt er sich auch Freiräume für seine eigene Familie und die Freunde außerhalb der Landwirtschaft. „Das größte Problem einiger Berufskollegen in der Landwirtschaft ist, dass viele von ihnen denken, sie seien unersetzlich. Das sind wir alle nicht“, erklärt er und fährt fort: „Der Vorteil von 200 Kühen ist, dass du ab dieser Betriebsgröße schon Mitarbeiter haben musst. Dann ist es auch einfacher, in den Urlaub zu fahren oder nachmittags mal früher zu gehen. Bei nur 80 Kühen wäre das viel schwieriger.“
ZKZ hat noch Potenzial
Mit der momentanen Situation auf dem Betrieb scheint der junge Betriebsleiter im Reinen zu sein. „Ich muss nicht unbedingt auf 300 Kühe aufstocken. So wie das jetzt läuft bin ich zufrieden, weil wir so die Arbeit gut schaffen können.“
Trotzdem gibt es Bereiche, in denen er sich verbessern will, z.B. bei der Zwischenkalbezeit. „Das Besamen funktioniert eigentlich gut, ich mache das gerne. Aber die Zwischenkalbezeit ist etwas gestiegen“, erklärt er. Die Zwischenkalbezeit möchte er in den nächsten Monaten von 412 Tagen in Richtung 400 Tage reduzieren.
Außerdem soll in Zukunft der 2014 gebaute Laufstall um eine Liegeboxenreihe erweitert werden, da eine Gruppe Altmelker noch in einem alten Stallgebäude außerhalb des Laufstalls untergebracht ist. In den Wintermonaten werden diese Kühe über einen Treibgang über den Hof zum Melken getrieben. „Wir wollen die melkenden Kühe aus dem alten Stall herausbekommen, denn das Rübertreiben dauert fast eine halbe Stunde Arbeitszeit. Das ist ganz schön nervig“, erklärt Jann Borchers. Außerdem hätten dann die Trockensteher auch mehr Platz in dem Altgebäude.
Schlussfrage an den Milcherzeuger: Was ist das wichtigste an der Weidehaltung? „Der Zaun“, sagt er und lacht. „Wenn die Kühe ausbrechen, dann gibt das ganz schöne Probleme. Das hatten wir zum Glück noch nicht. Aber wenn wir die Kühe zum Melken aus dem Dorf abholen müssten, wäre das nicht so toll!“
S. Oehler