Die eine unterstützt die Bauerndemo „Wir machen Euch satt“, der andere die agrarkritische „Wir haben es satt“-Veranstaltung. Und sie sind näher zusammen, als gedacht.
Herr Ilchmann, Sie unterstützen das Bündnis „Wir haben es satt“, das im Januar zum 9. Mal eine Großdemo gegen die Agrarindustrie organisiert. Auf der Demo laufen viele überzeugte Veganer mit, zudem wird mit undefinierten Kampfbegriffen wie Massentierhaltung oder Agrarfabriken schlechte Stimmung gegen die...
Die eine unterstützt die Bauerndemo „Wir machen Euch satt“, der andere die agrarkritische „Wir haben es satt“-Veranstaltung. Und sie sind näher zusammen, als gedacht.
Herr Ilchmann, Sie unterstützen das Bündnis „Wir haben es satt“, das im Januar zum 9. Mal eine Großdemo gegen die Agrarindustrie organisiert. Auf der Demo laufen viele überzeugte Veganer mit, zudem wird mit undefinierten Kampfbegriffen wie Massentierhaltung oder Agrarfabriken schlechte Stimmung gegen die Nutztierhaltung verbreitet. Sägen Sie da nicht an dem Ast, auf dem Sie sitzen?
Ilchmann: Ich bin jedes Jahr auf der Demo dabei, allerdings aus Zeitgründen zumeist ohne Trecker. Es gibt den Trägerkreis, die Organisatoren, das sind sehr honorige Organisationen wie NABU, Tierschutzbund. Leider gibt auch andere Gruppen, die sich an die Demo dranhängen, darunter u.a. auch Tierrechtler und Veganer, die grundsätzlich jede Form der Nutztierhaltung ablehnen. Diese Gruppen gehören aber nicht zum Kreis der Organisatoren oder der Träger! Wenn diese Gruppen in die Organisation oder in den Trägerkreis einbezogen würden, dann wäre ich nicht mehr dabei!
…aber Sie bieten diesen erklärten Gegnern der Nutztierhaltung eine Plattform…
Ilchmann: …nein, wir bieten diesen Leuten keine Plattform. Erstens dürfen sie nicht vor den Teilnehmern reden, zweitens wird vor der Demo von den Veranstaltern klargestellt, dass wir uns von bauernfeindlichen Äußerungen klar distanzieren. Und drittens sind Ordner vor Ort, die zumindest versuchen, solche Gruppen abzudrängen. Leider kommt es vor, wenn auch immer seltener, dass sich diese Leute in Seitenstraßen aufhalten, um sich dann in die Demo einzugliedern, medienwirksam ihre Banner hochhalten und dann auch wieder verschwinden.
Lucassen: …Ihr könntet Euch ja selbst deutlicher von diesen Gruppen distanzieren.
Unter den Trägern finden sich auch Gruppen, die Nutztierhaltung eher abschaffen wollen.
Ilchmann: Ich würde Gruppen wie den NABU, BUND oder Tierschutzbund nicht als Gegner bezeichnen. Sicher stellen diese Gruppen kritische Fragen zur Ausgestaltung der modernen Landwirtschaft bzw. deren Fehlentwicklungen. Das ist doch völlig in Ordnung, wenn Fragen zur Nährstoffbelastung oder zu der Art und Weise wie Tiere gehalten werden, fallen…
…aber warum demonstrieren Sie mit?
Ilchmann: Unser Beweggrund als AbL (Anmerkung: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft) ist, dass wir die moderne Landwirtschaft, wie sie sich darstellt, kritisch sehen. Was uns Sorgen macht, ist der starke Strukturwandel, der sich nach dem Auslaufen der Milchquoten nochmals verschärft hat. Da machen wir uns natürlich Gedanken, wie dieser Trend gestoppt werden kann… es sind vor allem die viel zu geringen Milchpreise, die kein kostendeckendes Wirtschaften zulassen, geschweige denn Investitionen ermöglichen. Um diese Situation zu verändern, müssen wir uns Hilfe holen, die Gruppe Milcherzeuger ist zu klein, als dass sie Gehör finden würde. Selbst der Lieferstreik vor einigen Jahren hat nicht den Durchbruch gebracht. Aus eigener Kraft verändern wir nichts. Deshalb müssen wir die gesellschaftlichen Gruppen mit ins Boot holen, die an der Beibehaltung einer intakten Landwirtschaft interessiert sind. Den Normalverbraucher, der beim Discounter kauft, interessiert es nicht, ob der Milchbauer mehr Geld bekommt… wohl aber einen BUND-Vertreter. Und darum sehe ich diese Leute als Verbündete. Und klar ist aber auch, dass man, wenn man Dialog will, dorthin gehen muss, wo der Dialog-Partner ist. Das ist der Grund, warum die AbL die Demo mitgestaltet.
Und die Gegenseite, „Wir machen Euch satt“ …haben Sie nicht das gleiche Ziel, möglichst viele Milcherzeuger am Leben zu erhalten?
Lucassen: Klar geht es uns letztlich auch darum, den Strukturwandel, den es immer geben wird, möglichst klein zu halten. „Wir machen Euch satt“ steht nicht nur für Herdenwachstum und größere Milchkuhbetriebe. In der Bewegung sind alle Größenklassen willkommen und auch vertreten. Die Vielfalt macht‘s doch. Wenn ein kleinerer Milchkuhbetrieb zufrieden ist, dann ist das doch völlig o.k. Allerdings erlaubt ein Herdenwachstum auch Freiheiten. Wir z.B. melken zu Hause jetzt 160 Kühe, die Herdengröße erlaubt es uns, einen festen Mitarbeiter zu beschäftigen. So können wir dann auch mal mit unseren Kindern in Urlaub fahren. Ich konnte früher niemals Urlaub gemeinsam mit meinen Eltern machen.
Anscheinend verfolgen Sie ja das gleiche Ziel, warum demonstrieren Sie dann nicht gemeinsam?
Lucassen: Mit der „Wir haben es satt“-Bewegung können sich viele Milcherzeuger nicht identifizieren, da Tierrechtler und andere Gruppen, welche die Tierhaltung in ihrer jetzigen Form ablehnen, dort mitlaufen. Uns war bislang auch gar nicht bewusst, dass die Organisatoren sich mehr oder weniger von diesen Gruppen distanzieren oder sogar versuchen diese rauszudrängen. Das wird in der Öffentlichkeit so nicht dargestellt. Deshalb haben viele Milcherzeuger letztlich ein Problem mit „Wir haben es satt“.
Ok, reden wir über die Außenwirkung der Demonstrationen. Im Fall von „Wir haben es satt“, dürfte die Botschaft klar sein: So kann es nicht mehr weiter gehen, die Nutztierhaltung muss umgebaut werden. „Wir machen Euch satt“, vermittelt die Botschaft, dass die Volldampf-Produktion und der Export Vorrang hat, koste es was es wolle……
Lucassen: …nein, dahinter steht, dass der Großteil Landwirte hier gute Arbeit leistet, vernünftig mit der Umwelt und verantwortungsvoll mit den Tieren umgeht und dass nicht alles per se schlecht ist.
Herr Ilchmann, müssen Sie nicht zustimmen?
Ilchmann: Prinzipiell schon, schließlich bin ich ja ein ganz normaler, konventioneller Milcherzeuger.
Also können wir festhalten, dass die Schnittmenge zwischen Ihnen beiden bzw. den beiden Bündnissen, die Sie beide jeweils unterstützen, relativ groß ist: Die Milchproduktion soll Zukunft haben, dazu sind höhere Milchpreise erforderlich und das Thema Tierwohl spielt eine gewichtige Rolle.
Ilchmann: Ja, aber die „Wir haben es satt“–Bewegung will die Fehlentwicklungen in der Agrarpolitik sichtbar machen. Wir sehen bei der Agrarpolitik fragwürdige Weichenstellungen. So müssen wir uns auch über die Exporte Gedanken machen, wenn wir unsere hohen Qualitäts-Standards beibehalten wollen. Das ist der Unterschied zwischen den beiden Bewegungen, denn das „Wir machen Euch satt“-Bündnis findet die Exportausrichtung im Großen und Ganzen ja gut. Der Export ist aber keine Einbahnstrasse, Export und Import hängen immer zusammen. Ohne die vielen Futtermittelimporte hätten wir weniger Milch, aber wahrscheinlich höhere Preise.
Frau Lucassen, sind Sie denn wirklich zu 100% zufrieden mit der Ausrichtung der Agrarpolitik?
Lucassen: Nein, das bin ich ebenso wenig wie die Kollegen, die sich in der „Wir machen Euch satt“-Bewegung engagieren. Aus der Bewegung ist ja zuletzt auch die „Aktion Grüne Kreuze“ entstanden, der stille Protest, der sich gegen das neue EU-Agrarpaket, die Verschärfung der Dünge-VO und gegen Mercosur richtet. Wir gehen aber einen anderen Weg, wir reden direkt mit den Verbrauchern vor Ort im Supermarkt, mit Politikern und auch mit den Vertretern unterschiedlicher Organisationen wie z.B. Greenpeace.
Nochmals die Frage, warum demonstrieren Sie nicht zusammen?
Ilchmann: Wir haben ja schon mal einen ganzen Tag zusammen gesessen und uns ausgetauscht. Ein Problem ist die Nähe des „Wir machen Euch satt“-Bündnisses zum Bauernverband. Der Bauernverband ist nicht die Interessenvertretung kleinerer und mittlerer bäuerlicher Milchkuhbetriebe, deshalb begrüßen wir auch das neue Bündnis „Land schafft Verbindung“, das ja zunächst einmal außerhalb des Bauernverbands entstanden ist.
Lucassen: Obwohl wir gute Kontakte zum Bauernverband haben, wahren wir durchaus eine kritische Distanz. Gerade die Ämterhäufung bei einigen Funktionären geht gar nicht. Aber ohne den Bauernverband geht es auch nicht, denn er verfügt über sehr viel Expertenwissen und ein großes Netzwerk.
Wie sollte sich die Milchbranche dem Verbraucher präsentieren, welche Vision anbieten?
Lucassen: Generell müssen wir aufpassen, dass wir nicht nur auf Größe gehen, Tierwohl ist auf jeden Fall entscheidend. Ich habe jedoch die Befürchtung, dass Agrarministerin Julia Klöckner die Verbraucher als Ausrede nutzt. Wenn die Konsumenten nicht bereit sind, die Erzeuger finanziell zu unterstützen, mehr zu zahlen, dann war’s das. Dann erhalten die Erzeuger keinen Cent mehr.
Ilchmann: Die Futterkosten haben sich in den letzten 20 Jahren verdoppelt, allerdings haben wir im besten Fall maximal stagnierende Milchpreise. Das geht nicht mehr zusammen. Das müssen wir der Bevölkerung und der Politik verdeutlichen, denn sonst stoßen sowohl kleine als auch große Milcherzeuger an ihre Grenzen!
Die neuen Auflagen müssen wirtschaftlich darstellbar sein. Deshalb muss es einen Mix geben aus höheren Verbraucherpreisen und einer direkten Förderung für den Umbau der Landwirtschaft. Diese Zahlungen müssen aber differenziert werden. Ohne eine Umverteilung geht’s nicht. Maßnahmen, die der Umwelt und der Gesellschaft nutzen, sollten mit mehr Geld unterstützt werden. Das wäre auch der Bevölkerung zu vermitteln.
Lucassen: Es sollte zum Beispiel Grünland besser gefördert werden, so sind beispielsweise hier die Nitratwerte wesentlich geringer, das wird aber nicht ausreichend honoriert…
Ilchmann: …zudem müssen die Zielkonflikte zwischen Tierwohl und Stallbau bzw. Emmissionsrecht entschärft werden! Wir müssen aber auch unsere Leistungen deutlich darstellen, wir können noch mehr machen, aber das muss auch honoriert werden. Das sage ich auch den NGOs.
Lucassen: Sehr gut, aber dennoch müsst ihr aufpassen, dass es nicht so dargestellt wird, als würden wir jetzt unsere Tiere schlecht halten und brauchen Geld, um das zu ändern. Wir sind die Nummer eins weltweit beim Thema Nachhaltigkeit und führend beim Tierwohl! Sicherlich gibt es Dinge, die wir besser machen können, das muss dann auch honoriert werden.
Lauter Gemeinsamkeiten! Wann marschieren Sie zusammen, z. B. unter dem Motto „Wir garantieren hochwertige Lebensmittel, Umwelt und Tierschutz!“
Ilchmann: Vielleicht gelingt es ja der Bewegung „Land schafft Verbindung“, alle unter einem Dach zu versammeln. Aber erfahrungsgemäß ist es schwierig, alle Landwirte unter einen Hut zu bekommen.
Auch die Milchbauern müssen lernen, dass das Wirtschaften auf Kosten der Nachbarn keine Zukunft hat, sondern dass es nur gemeinsam weitergeht. Es muss gelingen, möglichst viele Kolleginnen und Kollegen mit ins Boot zu holen, denn sonst steht man am Ende alleine da.
Vielen Dank!-os-, -ve-