Die Diskussion darum, wie alt Milchkühe heute werden, gewinnt in der Öffentlichkeit an Fahrt. Nicht wegzudiskutieren ist: Zu viele Kühe werden zu früh gemerzt! Vier Laktationen sollten aus ökonomischer Sicht im Herdendurchschnitt mindestens erreicht werden.
Immer wieder steht die Milchkuhhaltung in der Kritik. Tierschützer und auch...
Die Diskussion darum, wie alt Milchkühe heute werden, gewinnt in der Öffentlichkeit an Fahrt. Nicht wegzudiskutieren ist: Zu viele Kühe werden zu früh gemerzt! Vier Laktationen sollten aus ökonomischer Sicht im Herdendurchschnitt mindestens erreicht werden.
Immer wieder steht die Milchkuhhaltung in der Kritik. Tierschützer und auch Verbraucher werfen Milcherzeugern vor, dass Milchkühen nur ein kurzes Leben von wenigen Jahren vergönnt ist, sie quasi für billige Milch „verheizt“ werden. Denn schließlich, so ihre Argumentation, könnten Kühe bis zu 20 Jahre alt werden. Ihre tatsächliche Lebensdauer liegt derzeit aber bei fünf bis sechs Jahren. In dieser emotional geladenen Debatte werden leider einige Tatsachen verkannt:
- Wildlebende Rinder werden oft nicht älter als vier Jahre. Ca. 50% sterben bevor sie die Geschlechtsreife erreichen, denn hier erfolgt die Bestandsregulierung durch Fressfeinde, Krankheit und Hunger.
- Vergleicht man das durchschnittliche Alter in Mutterkuhherden, was ja der Vorstellung vieler Verbraucher als „tiergerecht“ entspricht, stellt man fest, dass auch diese Tiere, trotz geringer Milchleistung und Weidegang, oft nicht älter als acht Jahre werden.
- Wildlebende Rinder werden oft nicht älter als vier Jahre. Ca. 50% sterben bevor sie die Geschlechtsreife erreichen, denn hier erfolgt die Bestandsregulierung durch Fressfeinde, Krankheit und Hunger.
- Vergleicht man das durchschnittliche Alter in Mutterkuhherden, was ja der Vorstellung vieler Verbraucher als „tiergerecht“ entspricht, stellt man fest, dass auch diese Tiere, trotz geringer Milchleistung und Weidegang, oft nicht älter als acht Jahre werden.
Insofern ist das „natürliche“ nicht mit dem biologisch erreichbaren Lebensalter gleichzusetzen. Schließlich kommt ja auch keine vernünftig denkende Person auf die Idee, das „natürliche Lebensalter“ des Menschen mit 123 Jahren anzugeben, nur weil ein einziger Mensch mal so alt geworden ist.
Gerade mal 3,5 Laktationen
Aber dennoch sollte die Kritik ernst genommen werden. Denn sollte es nicht gelingen, den Verbraucher (Kunden) von der Richtigkeit der Produktionsweise zu überzeugen, wird die Milchproduktion deutlich Schaden nehmen!
Das durchschnittliche Abgangsalter der deutschen Milchkühe liegt bei 5,4 Jahren (Mittel über alle Rassen). Rechnet man die Aufzuchtphase ab, so sind einer Milchkuh gerade mal 3,5 Laktationen vergönnt.
Die Frage, welche Nutzungsdauer aus ökonomischer Sicht anzustreben ist, lässt sich aufgrund der unterschiedlichen Kostensituationen nur betriebsspezifisch beantworten. Das setzt eine genaue Erfassung aller relevanten Aufzucht- und Gesundheitskosten voraus! Fakt ist jedoch, dass bei Milchpreisen von 30 ct je kg im Mittel erst nach drei Laktationen die Vollkosten der Aufzucht gedeckt sind (Übersicht 1). Erst ab diesem Moment fängt eine Milchkuh an, Gewinne „reinzumelken“. Der genaue Zeitpunkt ist allerdings abhängig von Milchpreis, Aufzuchts-, Produktionskosten sowie der Einsatzleistung. Deshalb ist es auch nicht erklärbar, dass in der Praxis oft über die Hälfte aller Kühe bereits während der ersten und zweiten Laktation gemerzt werden, wie Auswertungen der LfA Mecklenburg-Vorpommern zeigen. Zumal Milchkühe die höchsten Leistungen erst in der vierten Laktation erreichen (Übersicht 2).
Auch unter Rücksicht auf den Zuchtfortschritt gibt es keinen Grund, Kühe freiwillig zu merzen, wenn sie noch eine Laktation länger gemolken werden können. Die ökonomische Grenze einer Altkuh ist in der Regel erst erreicht, wenn ihre 305 Tage-Leistung (Inhaltsstoffe!) geringer ausfällt, als der Durchschnitt der erstlaktierenden Kühe im Betrieb (8.400 kg im Bundesmittel).
Peter Hufe, Unternehmensberater und Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft LebensLinien, zeigte in Deckungsbeitragsrechnungen auf Basis echter Daten aus dem Wirtschaftsjahr 2015/16 (Holsteins, 0 10.045 kg Milch [MLP]), dass der durchschnittliche Deckungsbeitrag einer Kuh bis über die siebte bis neunte Laktation hinaus steigt. Aus anderen Modellkalkulationen lässt sich ableiten, dass eine Kuh unter den aktuellen Bedingungen wirtschaftlich ist, wenn sie eine Lebensleistung bis 40.000 kg Milch ermelkt.
Rechnerisch lässt sich der Wert entweder über eine Nutzungsdauer von vier Laktationen und mindestens 10.000 kg Milch pro Laktation oder über eine Nutzungsdauer von mindestens acht Laktationen bei einer mittleren Jahresleistung von 7.500 kg Milch erreichen. Gerade in flächenknappen Regionen wird ein vernünftiger Deckungsbeitrag pro Kuh jedoch nur erwirtschaftet, wenn möglichst viel Milch pro Hektar bzw. Kuhplatz gemolken wird und zudem wenig Jungvieh zur Remontierung vorgehalten wird (25% Remontierung). Eine Kuh, die in vier Laktationen ihre 40.000 kg Milch produziert, wird auf den meisten intensiven Standorten rentabler sein als diejenige, die dazu acht Laktationen benötigt. In letzterem Fall müssten nämlich deutlich mehr Futterflächen und Stallplätze vorgehalten werden.
Konkreter wird es mit der Lebenstagsleistung. Um ein positives Betriebsergebnis zu erwirtschaften, sollte eine Milchkuh heute ca. 15 kg Milch pro Lebenstag produzieren. Kühe mit erreichten hohen „Lebenseffektivitäten“ zeichnen sich gleichzeitig durch eine hohe Nutzungsdauer und eine hohe Milchleistung aus. Es besteht hier keine negative Korrelation!
Lebensdauer ein Tierwohl-Kriterium?
Eine lange Lebensdauer allein ist kein Kriterium zur Beurteilung des Wohlbefindens einer Milchkuh bzw. für das Ausmaß an Tierschutz im Kuhstall. Oder anders ausgedrückt: Eine kurze Nutzungs-/Lebensdauer ist nicht automatisch mit einem geringen Tierschutz gleichzusetzen. Zu dieser Einschätzung kommt u.a. die Facharbeitsgruppe Rinder des Tierschutzplanes Niedersachsen. Es müsse vielmehr unterschieden werden, ob eine Kuh aufgrund vermeidbarer Schmerzen, Leiden oder Schäden vorzeitig geschlachtet wird bzw. verendet ist, oder ob sie aufgrund von rein wirtschaftlichen Selektionskriterien (z.B. geringe Persistenz), jedoch in einer guten gesundheitlichen Verfassung, zur Schlachtung abgeht. Auch der Deutsche Tierschutzbund e.V., der in diesem Jahr das Label „Für mehr Tierschutz“ für Milchkühe eingeführt hat, erklärt, dass sich ungenügender Tierschutz nicht allein auf eine kurze Lebensdauer reduzieren lasse. Auf Anfrage von Elite teilte die Leiterin des Referats für Tiere in der Landwirtschaft, Dr. Claudia Salzborn, mit: „Es kann bei der Frage, wie alt eine Kuh werden muss, nicht allein um die bloße Lebensdauer gehen, sondern auch darum, unter welchen Bedingungen die Kuh in dieser Zeit leben konnte und ob ihre arteigenen Bedürfnisse befriedigt wurden.
Hierfür sei es zwingend erforderlich, dass sich – neben der Zucht auf Robustheit und Langlebigkeit, statt auf Leistung – die heutigen Lebensbedingungen von Milchkühen und deren Nachkommen grundlegend ändern, so Dr. Salzborn. Der Fokus müsse auf der Befriedigung der Bedürfnisse von Kühen, einer hohen Tiergesundheit und einer langen Lebenszeit unter guten Bedingungen liegen. Erfasst werden könne die Lebensqualität von Milchkühen mithilfe von Tierschutzindikatoren sowohl im Stall als auch später am Schlachthof. Auf eine genaue Aussage, wie alt eine Milchkuh werden soll, will man sich beim Tierschutzbund nicht festlegen.
Unter Ökonomen, Tierärzten und Tierschützern unumstritten scheint zu sein, dass die Abgangsrate in den ersten 100 Laktationstagen ein geeigneterer Tierschutzindikator als das Abgangsalter ist. Begründung: Kühe vor ihrem 60. bzw. 100. Tag abzugeben ist unwirtschaftlich, da sie zu diesem Zeitpunkt erst den Höhepunkt ihrer Milchleistung erreichen. Hohe Abgangsraten im ersten Laktationsdrittel deuten demnach auf gesundheitliche Probleme im Bestand bzw. ein verbesserungswürdiges Management hin. Als Richtwert gilt: Bis zum 60. Laktationstag sollten max. 6% der frischgekalbten Kühe die Herde verlassen, und bis zum Laktationsende max. 25% der Kühe die Herde aufgrund von gesundheitlichen Problemen.
Kühe besser „pflegen“
Da die Nutzungsdauer und damit auch die Lebensleistung überwiegend von der Umwelt beeinflusst wird, gilt es Kuhkomfort und Management auf Grundlage einer betrieblichen Analyse z.B. von Abgangsursachen, Fruchtbarkeitsparametern oder „Kuhsignalen“ zu optimieren. Das Gesamtpaket muss stimmen, damit die Kühe ihr Leistungspotenzial über einen langen Zeitraum voll ausschöpfen können – und ein ineffizientes Merzen in der ersten Laktation bzw. zu Beginn späterer Laktationen vermieden wird.
Eine solch optimierte Milchproduktion („gute Pflege“) ist nicht nur die beste Antwort auf die zunehmende Kritik an modernen Produktionsweisen (Tierwohl), sie garantiert auch wirtschaftlichen Erfolg!
K. Berkemeier, G. Veauthier
K. Berkemeier, G. Veauthier
Die wichtigsten Ansatzpunkte zur Verbesserung der Nutzungsdauer finden Sie auf Seite 55.