Auf dem 9. Farm Animal Well-Being Expert Forum diskutierten im Juli in Montreal Experten aus aller Welt, wie sich das Wohlbefinden von Tieren und die Akzeptanz der Nutztierhaltung verbessern lässt.
Dichtes Schneegestöber, kaum ein Meter freie Sicht, plötzlich zeichnen sich die Umrisse eines Pferdes in dem weißen Nebel ab … auf seinem Rücken...
Auf dem 9. Farm Animal Well-Being Expert Forum diskutierten im Juli in Montreal Experten aus aller Welt, wie sich das Wohlbefinden von Tieren und die Akzeptanz der Nutztierhaltung verbessern lässt.
Dichtes Schneegestöber, kaum ein Meter freie Sicht, plötzlich zeichnen sich die Umrisse eines Pferdes in dem weißen Nebel ab … auf seinem Rücken ein Cowboy, der ein Kalb quer vor sich liegend hat. Das ist der Beginn eines Video-Spots, mit dem ein bekannter Lebensmittelhersteller für seine Produkte wirbt. Was aber hat ein solcher Spot, haben derartige Bilder mit der modernen Milchviehhaltung gemein? Eigentlich nichts, oder? Psychologen sind da anderer Meinung, denn viele Verbraucher erwarten, dass sich auch heute noch Rinderhalter bzw. Milchfarmer ebenso um jedes einzelne Tier ihrer Herde „kümmern“ wie der Cowboy, der das verloren gegangene Kalb trotz widrigster Wetterbedingungen zur Herde zurückbringt und so sein Überleben sichert. Das ist die Krux der Nutztierhaltung. Viele Menschen haben ein stark verklärtes Bild von der modernen Tierhaltung. In der westlichen Welt stellen Landwirte und deren Familien nur noch etwa 2% der Bevölkerung, das bedeutet, dass 98% der Bevölkerung nicht mehr mit den Systemen der Nutztierhaltung vertraut sind.
Wim Verbeke (Universität Gent) sieht denn auch eine Diskrepanz zwischen dem, was Verbraucher und Nutztierhalter unter dem Begriff Tierwohl verstehen. Konsens besteht laut dem Experten zwischen den beiden Gruppen nur bezüglich der Tiergesundheit (Nutztiere sollten gesund sein). Größere Abweichungen bei der Definition von Tierwohl, bestehen beim Ausleben natürlicher Verhaltensweisen. Die Ansichten der Verbraucher, was Nutztieren gut tue, fuße zum einen auf eigenen Wunschvorstellungen (ich friere nicht gerne, also sollten die Rinder nicht in offenen Ställen gehalten werden), zum anderen werden aber auch gerne die den eigenen Haustieren zugeschriebenen (angeblichen) „Bedürfnisse“ auf Nutztiere übertragen. So wird z.B. unterstellt, dass es Milchkühen nur bei einem engen Betreuungsverhältnis (Familienanschluss) gut gehen kann. Unvorstellbar scheint vielen Konsumenten z.B. die Vorstellung, dass Kühe keine Namen mehr besitzen bzw. nicht mehr beim Namen gerufen werden.
Ist Tierwohl messbar?
Wissenschaftlich noch nicht abschließend erfasst ist, wie sich Tierwohl messen lässt. Sicherlich lassen sich aus physiologischen, neuro-endokrinen und verhaltensbezogenen Parametern Rückschlüsse auf das Wohlbefinden von Nutztieren ziehen. Michael Ballou (Texas Tech University) stellte in diesem Zusammenhang klar, dass in der Natur Stress eine physiologische Antwort des Organismus ist, die dem Tier hilft, sich verändernden Umweltbedingungen anzupassen. Gleichzeitig kann Stress aber auch das Anpassungsvermögen des Immunsystems überfordern, sodass die Tiere möglicherweise erkranken.
Die entscheidene Frage ist, ab wann wird Stress zu einer krankmachenden Belastung? Das Umstallen bedeutet für die Kuh ein plötzliches Abweichen von Routinen (Kontrollverlust) und bringt die soziale Rangordnung in der Tiergruppe durcheinander. Ein weiteres Beispiel ist bei Tränkekälbern der Wechsel von zwei auf eine Mahlzeit. Dies führt zu einem Leukozyten-Anstieg. Ist diese biochemische Reaktion nun zumutbar oder handelt es sich hier um eine unzumutbare Belastung? 100% stressfreie Produktionssysteme wird es sicherlich nicht geben können, aber der Stress lässt sich minimieren. So konnte z.B. nachgewiesen werden, dass Kälber das Enthornen unter örtlicher Betäubung und unter Zugabe von Schmerzmitteln bereits nach wenigen Stunden wieder „vergessen“ haben.
Tierarzt Dr. Tye Perett wies daraufhin, dass nicht jede Investition in Tierwohl automatisch zu einem besseren ökonomischen Ergebnis führen muss, weil
- die Aktion nicht zu einem Mehr an Tierwohl führt,
- sich kurzfristig vielleicht Effekte einstellen, diese aber nicht nachhaltig sind,
- die Ergebnisse sich nicht quantifizieren lassen,
- kein Tierwohl-Defizit bestanden hat.
- die Aktion nicht zu einem Mehr an Tierwohl führt,
- sich kurzfristig vielleicht Effekte einstellen, diese aber nicht nachhaltig sind,
- die Ergebnisse sich nicht quantifizieren lassen,
- kein Tierwohl-Defizit bestanden hat.
Wenn eine Maßnahme zur Verbesserung des Tierwohls nicht zum erwünschten ökonomischen Erfolg führt, dann sei es wichtig, zu ergründen, woran dies liegt, so Perett. Nur so könnten Haltungssysteme weiter optimiert werden.
Vermehrt in der Praxis forschen
Cassandra Tucker (Universität Davis) sprach sich dafür aus, vermehrt in der Praxis zu forschen. Aus auf großen Farmen durchgeführten Studien resultiere oftmals ein höherer Erkenntnisgewinn für die Praxis als in Versuchen, die nur mit wenigen Tieren in Forschungseinrichtungen erfolgen. Als Beispiel führte sie einen Versuch an, der auf einer 500-köpfigen Milchfarm zum Thema „Tail docking“ (Schwanzkupieren) erfolgte. Es stellte sich heraus, dass Kühe nicht sauberer sind, wenn ihre Schwänze kupiert werden. Dank der hohen Tierzahl seien diese Ergebnisse letztlich auch abgesichert. Tucker rief ihre Kollegen zudem auf, ihre Forschungsergebnisse einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, u.a. durch die Mitarbeit in diversen Gremien (z.B. Entwicklung von Audits) und durch Publikationen in Fachmagazinen. Auch sollten sich die Forscher nicht zu Schade sein, in Workshops mit Landwirten und Verbrauchern das Thema Wohlbefinden (kontrovers) zu diskutieren.
Big Data kann helfen!
In den Kuhställen werden bereits enorme Datenmengen erfasst, es mangelt bislang jedoch an sinnvollen Auswertungen, so David Kelton (University of Guelph). Als Beispiel führte der Wissenschaftler die automatische Mastitis-Erkennung an: „Die Ergebnisse sind einfach nur frustrierend!“ Zwar lassen sich mit einzelnen Sensoren durch Bakterien hervorgerufene Abweichungen in der Milch aufspüren, die unterschiedlichen Systeme können jedoch bislang kaum miteinander kommunizieren, weshalb immer wieder falsch positive Alarme ausgelöst würden. Der Melktechnikindustrie legte er ans Herz, unabhängige Lösungen zu entwickeln bzw. ihre Systeme zu öffnen, da nur so ein Schritt nach vorne erfolgen könnte!
Ohne externe Auditoren geht’s nicht!
Jennifer Walker (Dean Foods), die sich in dem zweitgrößten US-Molkereikonzern für die Implementierung von Qualitätsmanagementprogrammen verantwortlich zeichnet, ist überzeugt, dass Milcherzeuger nicht mehr an den Erwartungen der Konsumenten vorbei produzieren können. „Wenn wir die Lizenz zur Milchproduktion behalten wollen, müssen wir unsere Produktionsmethoden den Erwartungen der Verbraucher anpassen.“ Der Erfolg der Milchbranche hänge davon ab, ob man dazu bereit sei. Wichtig sei, dass die gesamten Produktionsabläufe jederzeit von unabhängigen Auditoren kontrolliert werden können. Eigenkontrollen durch die Molkereien seien nicht zielführend, denn diese Kontrollen stoßen bei Verbrauchern und bei NGO’s immer wieder auf Skespis.
Als positives Beispiel führte Walker die Schulungen zum Thema Stockmanship in den US-Schlachthöfen an. Diese haben dazu geführt, dass mittlerweile die Rinder wesentlich behutsamer getrieben werden. Überwacht und bestätigt wird dies von unabhängigen Auditoren, wodurch das Vertrauen vieler Konsumenten in die Schlachthöfe deutlich angestiegen sei, so Walker.G. Veauthier