Wir haben in die Zukunft geblickt und einige Megatrends aufgespürt, die es im Blick zu haben gilt. Denn diese könnten die Milchbranche in naher Zukunft deutlich verändern.
Unsicherheit wohin man schaut: Klimawandel, eine zunehmende Flut an Verordnungen, mit denen die Politik die Nutztierhalter auf einen umweltverträglicheren Kurs einschwören will, Veränderungen bei den Ernährungsgewohnheiten und volatile Märkte. Hinzu kommt, dass die Milchproduktion zunehmend kritischer beäugt...
Wir haben in die Zukunft geblickt und einige Megatrends aufgespürt, die es im Blick zu haben gilt. Denn diese könnten die Milchbranche in naher Zukunft deutlich verändern.
Unsicherheit wohin man schaut: Klimawandel, eine zunehmende Flut an Verordnungen, mit denen die Politik die Nutztierhalter auf einen umweltverträglicheren Kurs einschwören will, Veränderungen bei den Ernährungsgewohnheiten und volatile Märkte. Hinzu kommt, dass die Milchproduktion zunehmend kritischer beäugt wird. Immer öfter flimmern Bilder von angeblich leidenden Tieren über die Mattscheibe, von durch Nährstoffeinträge verseuchten Flüssen. Kann man da als Milcherzeuger noch optimistisch in die Zukunft blicken? Ja, denn so frustrierend wie viele Entwicklungen auch sein mögen, nicht jeder Konflikt muss zwangsläufig zum großen Knall führen. All dies ist kein Grund hinzuschmeißen!
Auch wenn kein Mensch in die Zukunft sehen kann, so ist doch klar: Vieles wird sich in den nächsten Jahrzehnten stark verändern. Zukunftsforscher haben einige Megatrends identifiziert, welche die Milchbranche in den kommenden 20 Jahren prägen:
- Tierwohl
- Umwelt- und Klimaschutz, Nachhaltigkeit
- Digitalisierung
- Gentechnik (Genom-Editierung)
- Demografischer Wandel und Migration
- Tierwohl
- Umwelt- und Klimaschutz, Nachhaltigkeit
- Digitalisierung
- Gentechnik (Genom-Editierung)
- Demografischer Wandel und Migration
Bei diesen Tendenzen handelt es sich um langfristige Entwicklungen, die alle Bereiche von Gesellschaft (nicht nur in Europa!) und Wirtschaft prägen. Megatrends haben in der Regel eine Halbwertszeit von mindestens 25 bis 30 Jahren. Sie haben zudem einen globalen Charakter, auch wenn sie nicht überall gleichzeitig stark ausgeprägt sind. Wir müssen davon ausgehen, dass sich aufgrund der aufgeführten Trends auch die Rahmenbedingungen der europäischen Milchproduktion fundamental verändern werden. Aber selbst für den Fall, dass die neuen Trends schon bald zu deutlichen Veränderungen führen werden, so ist es doch sehr wahrscheinlich, dass auch in 20, 30 oder in 40 Jahren noch in Deutschland, in Österreich und in der Schweiz gemolken werden wird. Denn Wandel ist ja für Milcherzeuger nichts grundsätzlich Neues. Der biologisch-technische Fortschritt hat in den vergangenen Jahren immer wieder zu massiven Veränderungen der Produktionsverfahren geführt. Beispiel Automatisierung oder Big Data: War noch vor 40 Jahren im Kuhstall Handarbeit gefragt, ist heute vor allem der Kopf gefordert.
Ob die aufgelisteten Entwicklungen das Leben der Milcherzeuger bis zum Jahr 2030 stärker zum Guten oder eher zum Schlechten verändern werden, liegt zumindest teilweise in deren eigenen Händen. Die Milchprofis sind gefordert, unternehmerische Antworten auf die neuen Rahmenbedingungen zu finden, die sich aus den neuen gesellschaftlichen Denkweisen ergeben. Klar ist, die Milchproduktion muss auch künftig nicht nur wirtschaftlich tragfähig, sondern gleichzeitig auch gesellschaftlich akzeptiert werden. Nachfolgend sind einige „Veränderungen“ aufgeführt, die in 2020 und x auf die Milchbranche zukommen können:
40.000 kg pro Kuh?
Die Milchleistung der Kühe hat sich in den letzten Jahren stetig erhöht. Allerdings fielen die Leistungszuwächse zumeist moderat aus. Das könnte sich schon bald ändern. Mit neuen, molekularbiologischen Methoden, denn mit sogenannten Genome- Editing-Verfahren können gezielt einzelne DNA-Bausteine im Erbgut umgeschrieben, abgeschaltet oder gegen neue ausgetauscht werden. In den Nachkommen editierter Tiere sind dann lediglich diese Bausteine verändert, ganz ähnlich wie bei einer natürlichen Mutation. Somit wären ganz andere Leistungsfortschritte realisierbar (siehe Übersicht 1 auf Seite 15). Das durchschnittliche Milchleistungsniveau einer top-gemanagten Herde könnte sich zwischen 20.000 und 40.000 kg einpendeln (Anmerkung: aktuell gibt es bereits Kühe, die mehr als 30.000 kg Milch jährlich produzieren!). Ein weiterer Vorteil des Genome-Editing-Verfahrens ist, dass Rinder resistenter gegen Krankheiten „gemacht“ werden können.
Trend geht zu Zweitstandorten
Nach wie vor wird Herdenwachstum zur Kostendegression führen (Economies of Scale). Allerdings lassen sich größere Wachstumsschritte, wie wir sie aus der Vergangenheit kennen, aufgrund verschärfter Landschafts- und Umweltauflagen nur noch in Ausnahmefällen umsetzen. Schon heute klagen immer öfter professionelle Stallbauverhinderer gegen die Genehmigungsverfahren und wiegeln die örtliche Bevölkerung mit dem Hinweis auf eine Massentierhaltung auf. So muss sich heute bereits fast jeder expansionswillige Unternehmer im Verlauf des Genehmigungsverfahrens mit einer Bürgerinitiative „auseinandersetzen“. Das führt letztlich zur Entstehung von Satelliten-Standorten. So ist beispielsweise denkbar, dass am ursprünglichen Standort die melkenden Kühe untergebracht sind, an einem zweiten Standort die Trockensteher und die tragenden Rinder und an Standort Nummer 3 die Kälber aufgezogen werden.
Auslaufmodell Boxenlaufstall
Die Diskussion um das Thema Tierwohl schwappt so langsam auch auf die Rinderhaltung über – nicht zuletzt auch, weil der Lebensmittelhandel glaubt, mit den Themen Tierwohl und Weidehaltung punkten zu können. Dies wird sich letztlich in der Entwicklung neuer Stallkonzepte niederschlagen. Boxenlaufställe wie wir sie kennen, werden von Freilaufställen abgelöst, sogenannten „Wellness-Ställen“. Neue Kuhstallgenerationen werden sich verstärkt an den Bedürfnissen der Kühe orientieren (z.B. weiche Bodenoberflächen, keine Begrenzungen) und weniger an denen des Tierhalters. Das ist aber nicht weiter schlimm, denn die Ställe werden weitgehend automatisiert sein, sodass die Handarbeit im Stall bis auf ein Minimum reduziert wird.
Klimaneutrale Produktion
Obwohl in der EU der Anteil der Landwirtschaft an den gesamten Treibhausgas-Emissionen nur rund 10% erreicht, ist deren Absenkung ein großes Thema. Die meisten Emissionen stammen aus Methan-Ausscheidungen durch die Verdauung von Rindern, der Entstehung von Lachgasen durch Stickstoffeinsatz bei der Düngung sowie aus der anfallenden Gülle.
Der CO2-Fußabdruck von Milchprodukten wird deshalb stärker in den Fokus rücken. Erste Molkereiunternehmen haben bereits begonnen, ihre Produkte entsprechend zu labeln. Der Konsum von Milchprodukten soll schließlich dem Konsumenten ein gutes Gefühl vermitteln, das Produktionsverfahren darf keinen Anschein erwecken, es könnte zum Klimawandel beitragen.
Folgen für die Praxis: Weitgehender Verzicht auf Importfuttermittel, stärkerer Einbezug von Futtermitteln aus der eigenen bzw. regionalen Futtergrundlage sowie von Zusatzstoffen, die das Ausrülpsen von Methan minimieren, autarke Energieversorgung, Entwicklung einer „Null-Emissions-Strategie“.
Beregnung von Futterflächen
Mit der Erderwärmung verschieben sich landwirtschaftlich nutzbare Flächen der Erde nach Norden. In Mitteleuropa gefährdet die globale Erwärmung die Landwirtschaft durch heißere und trockenere Sommer und niederschlagsreichere Wetterlagen im Winter. Tendenziell ist hier mit einer Zunahme von Extremwetterlagen wie Sturm, Starkregen oder Hitze zu rechnen, die zu Sturmschäden, Überschwemmungen und Dürren führen (siehe Seite 40 in diesem Heft). Milcherzeuger werden sich mit Ernteausfällen, der Ausbreitung von bislang in unseren Breitengraden seltenen Pflanzenschädlingen (z.B. Maiszünsler) und von Unkräutern auseinandersetzen müssen. Der Futterbau muss vielfältiger werden. Neue Ideen (Fruchtfolgen, Futtermittel) sind gefragt.
Bei Sommertrockenheit bzw. länger andauernden Hitzeperioden muss gegebenenfalls auch über eine Bewässerung von Futterflächen nachgedacht werden. Investitionen in Bewässerungssysteme und Wasserspeicher können punktuell durchaus angebracht sein, auch wenn die Investitionen happig sind. Ohne Futter lassen sich nun mal keine Kühe melken.
Digitalisierung
Dank Digitalisierung lassen sich Produktionsabläufe in der Milchproduktion effizienter gestalten. Schon heute melken Melkroboter nicht mehr nur, sie kontrollieren auch die Tiergesundheit. Sensoren verarbeiten Informationen automatisch, Systeme treffen (teil)autonome Entscheidungen. Der Herdenbetreuer muss nur noch korrigierend und überwachend eingreifen (Smart Farming). Jede noch so kleine „Störung im Betriebsablauf“ wird dokumentiert und auch für jedermann sichtbar. Künftig wird die Digitalisierung zur lückenlosen Transparenz eines Kuhlebens führen.
Im Futterbau ermöglichen Informationen zu Beschaffenheit und Temperatur der Böden in Verbindung mit GPS-Daten eine zeitlich optimierte Aussaat sowie räumlich punktgenaue Düngung und Schädlingsbekämpfung. Traktoren und andere Maschinen werden schon bald ohne Fahrer ihre Arbeit verrichten (autonomes Fahren), sähen, ernten und füttern.
Absehbar ist auch das „Internet der Dinge“: Die Vernetzung und Steuerung intelligenter Maschinen. In Japan werden z.B. Roboter bereits als Putzkräfte und Gepäckträger in Hotels eingesetzt, sowie als ansprechbare Helfer in Altersheimen. Vielleicht packen bald auch schon im Kuhstall „kleine Helfer“ (Miniroboter) mit an? So wird die Technik zum unverzichtbaren Helfer. Durchaus denkbar ist auch, dass künftig die Technik Entscheidungen vollautonom trifft (Artifical Farming). In ersten Bereichen ist dies schon ansatzweise umgesetzt. So kooperieren beispielsweise kleine und leichte Feldroboter bei der Aussaat von Mais (MARS). Sie agieren dabei vollständig autonom, effizient und präzise.
Die Story hinter der Kuh
Junge Konsumenten interessiert zunehmend, ob ein Lebensmittel nachhaltig erzeugt wurde. Etwa 30% der deutschen Millennials (Jahrgänge 1982 bis 1996; stellen heute bereits gut 15% aller Privathaushalte in Deutschland, bis zum Jahr 2020 wird ihr Anteil auf deutlich über 20% angewachsen sein) bevorzugt Lebensmittel aus biologischem Anbau.
Mit ihrer besonderen Art, eigene Vorteile mit sozialer Verantwortung zu verbinden, verändern die Millennials und ihre Nachfolger (iBrains; Jahrgänge 1997-2011) die Märkte. Sie erwarten regional hergestellte Milchprodukte zu finden, hohe Tierwohl-Standards werden vorausgesetzt. Künftig dürfte deshalb die „Geschichte“, die hinter der Produktion steht (emotionaler Background), vermarktungsentscheidend sein.
Ausblick
Allzu menschlich wäre es zu versuchen, die neuen Entwicklungen einfach zu ignorieren und sich nicht auf diese einzustellen. Wer aber auch künftig noch seine Mission in der Milchproduktion sieht, der sollte schon jetzt beginnen, sich mit den Megatrends auseinander- zusetzen und sich auf die beschriebenen Veränderungen einstellen.
- Die Zukunftschancen für Milchproduzenten in der EU sind grundsätzlich nicht schlecht. Sie werden von einer weltweit wachsenden Rohstoff-Nachfrage profitieren können.
- Der technische Fortschritt erfordert weiterhin hohe Investitionen. Insgesamt wird das Produktionsverfahren Milchproduktion noch kapitalintensiver als es heute bereits ist. Auch wenn Skaleneffekte hier durchaus Vorteile bieten, hat die Fixierung auf quantitative Beurteilungsgrößen (Kuhzahl, Milchleistung, Ertrag,…) allein ausgedient. Eine zukunftsfähige Nutztierhaltung/Milchproduktion hat sich vielen Herausforderungen zu stellen, u. a. dem veränderten gesellschaftlichen Wertekanon, insbesondere dem Tier- und dem Umweltschutz.
- Das bedeutet denn auch keinesfalls ein „weiter so“ wie bisher in der Milchproduktion. Denn immer mehr Konsumenten legen Wert auf eine nachhaltige Wirtschaftsweise. Diese Entwicklung geht auch an der Milchbranche nicht unbemerkt vorbei. Wenn sich die Werte der Gesellschaft, die Ansprüche der Kunden, die Bedürfnisse der Mitarbeiter und die technologischen Produktionsmöglichkeiten ändern, dann müssen sich die Unternehmen an diese veränderten „Umweltbedingungen“ anpassen.
- Die Digitalisierung ist eng verknüpft mit einem Wandel der Arbeit im Milchkuhbetrieb (sowohl im Stall als auch auf dem Feld). Milcherzeuger sind gefordert, neue Wege einzuschlagen, sich einen Ruck zu geben, den Wandel zu wagen und anzugehen - und nicht auf den ersten Schritt der anderen zu warten. Ansonsten droht ihnen das Schicksal der Dinosaurier: Sie sterben aus!
- Die Zukunftschancen für Milchproduzenten in der EU sind grundsätzlich nicht schlecht. Sie werden von einer weltweit wachsenden Rohstoff-Nachfrage profitieren können.
- Der technische Fortschritt erfordert weiterhin hohe Investitionen. Insgesamt wird das Produktionsverfahren Milchproduktion noch kapitalintensiver als es heute bereits ist. Auch wenn Skaleneffekte hier durchaus Vorteile bieten, hat die Fixierung auf quantitative Beurteilungsgrößen (Kuhzahl, Milchleistung, Ertrag,…) allein ausgedient. Eine zukunftsfähige Nutztierhaltung/Milchproduktion hat sich vielen Herausforderungen zu stellen, u. a. dem veränderten gesellschaftlichen Wertekanon, insbesondere dem Tier- und dem Umweltschutz.
- Das bedeutet denn auch keinesfalls ein „weiter so“ wie bisher in der Milchproduktion. Denn immer mehr Konsumenten legen Wert auf eine nachhaltige Wirtschaftsweise. Diese Entwicklung geht auch an der Milchbranche nicht unbemerkt vorbei. Wenn sich die Werte der Gesellschaft, die Ansprüche der Kunden, die Bedürfnisse der Mitarbeiter und die technologischen Produktionsmöglichkeiten ändern, dann müssen sich die Unternehmen an diese veränderten „Umweltbedingungen“ anpassen.
- Die Digitalisierung ist eng verknüpft mit einem Wandel der Arbeit im Milchkuhbetrieb (sowohl im Stall als auch auf dem Feld). Milcherzeuger sind gefordert, neue Wege einzuschlagen, sich einen Ruck zu geben, den Wandel zu wagen und anzugehen - und nicht auf den ersten Schritt der anderen zu warten. Ansonsten droht ihnen das Schicksal der Dinosaurier: Sie sterben aus!
G. Veauthier