Elite 3/2017

Über die Molkerei Milchpreise an der Börse absichern!

Milcherzeuger, aber auch Politiker, fordern, dass Molkereien die Möglichkeit zu Börsenabsicherung für ihre Lieferanten anbieten. Gemeinsam mit der Molkerei Ammerland eG arbeitet die VR AgrarBeratung aktuell an einem entsprechenden Pilotprojekt. Lesen Sie dazu hier das ungekürzte Interview.

Johann Kalverkamp

(Bildquelle: Elite Magazin)

Im Interview mit Johann Kalverkamp,VR AgrarBeratung AG
Elite: Viele Milcherzeuger möchten den Preis für ihre Milch selbst mit bestimmen. Doch bisher ist die eigenständige Absicherung an der Börse für ca. 90 Prozent der Milcherzeuger nicht vorstellbar. Warum?
Kalverkamp: Es erscheint vielen als zu abstrakt. Anders als beim Absichern von z.B. Kraftfutterpreisen über Kontrakte mit echter Ware, wird der Preis für Rohmilch über die Börsenpreise von Butter- und Magermilchpulver(MMP)-Kontrakten abgesichert. Einfacher wird es, falls die aktuell in Überlegung stehende Einführung eines Rohmilchkontraktes von beispielsweise 25.000 kg erfolgt. Die Warenterminbörse ist zudem ein Parallelmarkt. Als Finanzmarkt, auf dem zukünftige Preise abgesichert werden, läuft er neben dem sogenannten physischen Markt, auf dem die echte Milch zwischen Landwirt und Molkerei gehandelt wird, her. Das die Kurven von Börsennotierung und Milchauszahlungspreis dabei voneinander abweichen, verunsichert zudem. Doch diese Differenz minimiert sich gegen Null, wenn strategisch sauber gearbeitet wird. In der Regel ist das Risiko der Abweichung zwischen Börsenmilchwert zum tatsächlichen Milchpreis (Basisrisiko) für den Landwirt am geringsten, wenn 5 t Butter und 10 t Magermilchpulver gehandelt werden. Das entspricht 105.556 kg Rohmilch. Diese Menge liefern jedoch bei weitem nicht alle Betriebe monatlich. Es gibt zwar Strategien für geringere Mengen, diese sind jedoch für den Einzelnen nicht einfach zu fassen. Zudem ist der umfangreiche Vertragsaufwand nicht ohne, wenn im Alleingang an die Börse gegangen wird. Auch Anforderungen an die notwendige Marktbeobachtung sehen viele als nicht erfüllt. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass insbesondere mengenstarke Milchproduzenten sich mit dem Milchmarkt und auch mit der selbstständigen Absicherung befassen müssen.
 
Elite: Und was hat es mit der sogenannten Börsenpsychologie auf sich?
Kalverkamp: An der Börse müssen in Voraus Sicherheiten und Liquiditäten gestellt werden, anders als beim Kraftfutterkontrakt. Eine Preisabsicherung an der Börse durchlebt man anders als normale Kontrakte. Ich empfehle es jedem, dass einmal zu testen um Vorbehalte abzubauen. Bei einer Jahresmenge von beispielsweise ca. 1 Mio. kg Milch zeitlich versetzt 300.000 kg bei 36 Cent Börsenmilchwert abzusichern – damit sollte auf jeden Fall für diese Menge nicht viel passieren! Wer an der Börse absichern möchte, der sollte mindestens eine Fortbildung dazu besucht haben. Auch um die besondere Marktpsychologie zu lernen.
 
Elite: Milcherzeuger, aber auch Politiker, fordern, dass die Molkereien die Möglichkeit zu Börsenabsicherung für ihre Lieferanten anbieten. An der Umsetzung arbeitet ihr Unternehmen aktuell mit mehreren Molkereien zusammen.
Kalverkamp: Ja, das Interesse der Molkereien ist sehr groß. Und das ist gut so. Die Milcherzeuger werden sich künftig an den Molkereien orientieren, die ihnen Festpreisangebote anbieten können.
 
Elite: Welche Modelle kommen aktuell für die Molkereien in Frage? Welche könnten Sie neben dem traditionellen Vertragsmodell anbieten?
Kalverkamp: Momentan sehen wir zwei mögliche Modelle. Das sogenannte Lieferanten-Modell und das Back-to-Back-Geschäft, im besten Fall als Prämienmodell.
 
Elite: Mit der Molkerei Ammerland eG arbeiten Sie an einem Pilotprojekt für ein Molkerei-Modell. Wie funktioniert das?
Kalverkamp: Ja genau, wir haben mit dem Lieferanten- oder „Ammerländer-Modell“ gemeinsam mit der Molkerei Ammerland eG eine Alternative zum traditionellen Liefervertrag entwickelt. Der Lieferant wird, mit einem einfachen Vertragswerk mit der Molkerei, ermächtigt, bis zu 50 % seiner Milchmenge über die Börse eigenverantwortlich für den Börsenmilchwert zu fixieren. Er kann so bis zu 18 Monate im Voraus seinen eigenen Milchpreis bestimmen. Sein Preisangebot teilt er dem Finanzdienstleister, in diesem Fall uns, mit. Die Molkerei bietet so eine neue Dienstleistung an, ist aber kein Finanzdienstleister. Sie muss jedoch der Fixierung des Lieferanten zustimmen, sie ist Kontraktnehmer und muss den Auftrag  erteilen. Das Basisrisiko, die Differenz zwischen Börsenmilchwert und Milchgrundpreis, trägt der Milcherzeuger. Seine Gewinne oder Verluste und die Gebühren aus der Preisfixierung werden, nach dem Aufwand der Molkerei berechnet, in der Milchgeldabrechnung verrechnet. Und zwar in einer gesonderten Position. Der Grundpreis bleibt für alle Lieferanten gleich, somit bleibt auch die Gleichbehandlung aller Mitglieder gewahrt.
 
Elite: Was sind die Vorteile für den Erzeuger?
Kalverkamp: Anders, als bei eigenständiger Börsenaktivität, entfällt für ihn der hohe Vertragsaufwand sowie das Einrichten von Handels- und Geldkonten. Und er muss das Börsenkonto bis zur Fälligkeit bei schwankenden Preisen nicht aus eigenen Mitteln ausgleichen. Das übernimmt die Molkerei. Ein Vorteil der Konstellation Molkerei, Finanzdienstleister und Milcherzeuger ist die Betreuung durch den Finanzdienstleister. Es besteht Bildungsnotstand in der Börsenaktivität mit Milch! Als Finanzdienstleister müssen wir die Milcherzeuger über Chancen und Risiken aufklären.
 
Elite: Und die für die Börsenaktivität notwendige Sicherheitsleistung (Initial Margin)?
Kalverkamp: Die stellt die Molkerei. Dafür muss der Lieferant pro abgesicherter Menge von 105.566 kg Milch eine Bankbürgschaft von 10.000 € hinterlegen. Diese Bürgschaft dient auch der Liquidität und Bonität der Molkerei, welche für diese Geschäfte notwendig sind. So können alle Lieferanten sicher sein, dass das neue Modell die bisherige Auszahlungspolitik der Molkerei nicht negativ beeinflusst.
 
Elite: Wann ist das Ammerländer-Modell praxisreif und welche Bedeutung hat es?
Kalverkamp: Die Deutsche Bundesbank hat dem Modell bereits zugestimmt und es an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht weitergeleitet. Wir warten nun auf die endgültige Freigabe. Erfolgt sie, wird das Modell mit 30 bis 40 Milcherzeugern getestet. Das Vertragswerk ist aufsichtsrechtlich geprüft und in der Formulierung urheberrechtlich geschützt. Das Projekt ist ein Meilenstein, an dem sich viele andere Molkereien orientieren könnten - und das Interesse anderer Molkereien ist bereits groß!
 
Elite: Was ist von dem sogenannten Back-to-Back-Modellen zu halten?
Kalverkamp: Bei Back-to-Back-Geschäften erfolgt auf Ebene der Molkerei eine Absicherung der Preise über den tatsächlichen physischen Markt oder Börsenpositionen. Die Preisabmachungen auf der Ebene Verarbeiter/LEH und/oder mit der Börse können dann in Form von Festpreisangeboten an den Lieferanten weitergegeben werden. Diese Vorgehensweise ist auch aus dem Getreidehandel bekannt. Eine Molkerei wird jedoch bei Rücksicherung über die Börse aufgrund der hohen Sicherheitsansprüche immer nur Teilmengen anbieten können. In der weiteren Entwicklung werden Back-to-Back-Geschäfte auf Grundlage von Prämienverträgen entstehen.
Elite: Und wie funktionieren diese?
Kalverkamp: Diese sind bereits in der Mühlenwirtschaft sehr bekannt. Es wird echte Ware zwischen Handelspartnern, etwa der Molkerei und einem Verarbeiter gehandelt. Menge und Qualität werden vertraglich geregelt. Die beiden Vertragspartner können bis zum Tag der Lieferung anonym ihren Preis für die Ware an der Börse fixieren, sich also individuell nach vorne absichern. Tatsächlich abgerechnet wird am Tag der Lieferung über die aktuelle Börsennotierung. Zusätzlich kann vorab eine Prämie z.B. für ein bestimmtes Qualitätskriterium der Ware ausgemacht werden, die von der Börsennotierung auf- oder auch abgerechnet wird. Die Molkereien könnten ihren Lieferanten auf dieser Basis dann begrenzte Festpreisangebote ausstellen. Nach welchen Kriterien die Angebote angenommen werden (z.B. Windhund-Verfahren oder nach prozentualen Anteilen) müsste die jeweilige Molkerei selbst ausgestalten.
 
Elite: Und wie sieht es mit dem Interesse anderer Molkereien aus?
Kalverkamp: Das Interesse der Molkereien, die uns kontaktieren, ist vielschichtig. Einige Molkereien befassen sich sehr aktiv mit den vielen Möglichkeiten. Insbesondere der Lieferanten-Vertrag, oder im Volksmund bereits „Ammerländer-Modell“ genannt, wird mit sehr großem Interesse verfolgt. Viele Molkereien beabsichtigen die Installation des Lieferantenvertrages.
 
Elite: Herr Kalverkamp, wir danken Ihnen für das offene Gespräch.