Extreme Klimaaktivisten fordern die Abschaffung der Nutztierhaltung. Dabei kommen wir mit anderen Maßnahmen effizienter ans Ziel. Und zwar ohne die Lebensmittelversorgung zu gefährden.
Für die Menschen auf der Straße ist die Bekämpfung des Klimawandels mit die größte Herausforderung unserer Zeit. Das zeigen Umfragen immer wieder. Die Milcherzeugung sehen sie dabei klar als Mitverursacher. 16 % sagen laut einer Studie des Lebensmittelkonzerns Nestlé, Milch sei „klimaschädlich“. 54 % meinen,...
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Für die Menschen auf der Straße ist die Bekämpfung des Klimawandels mit die größte Herausforderung unserer Zeit. Das zeigen Umfragen immer wieder. Die Milcherzeugung sehen sie dabei klar als Mitverursacher. 16 % sagen laut einer Studie des Lebensmittelkonzerns Nestlé, Milch sei „klimaschädlich“. 54 % meinen, sie sei „etwas schädlich“. Eine Steilvorlage für Klimaaktivisten, die eine Halbierung der Nutztierbestände, manche gar ihre Abschaffung fordern.
Doch hilft das dem Klima überhaupt? Nein, sagen Experten. Eine Abschaffung der Nutztiere und insbesondere der Rinder würde zwar den Methan-Ausstoß in Form von CO2-Äquivalenten aus der Landwirtschaft um 2 % senken, den von Lachgas vermutlich noch mehr.
Doch was machen wir bei einer rein veganen Ernährung mit den bei der Produktion anfallenden riesigen Mengen an nicht-essbarer Biomasse, die bisher sehr effizient von Wiederkäuern zu Lebensmitteln verwertet werden? Prof. Wilhelm Windisch von der TU München hat errechnet, dass pro 1 kg veganem Lebensmittel unvermeidlich mindestens 4 kg nicht-essbare Biomasse entstehen. Auf Deutschland bezogen wären das 100 Mio. t! Die große Frage wäre dann: Wohin damit, wenn keine Nutztiere mehr da sind?
Die Abschaffung der Nutztiere entlastet die Umwelt nicht.
Prof. Wilhelm Windisch
Methan muss runter
Die Vergärung in Biogasanlagen und die damit gleichzeitig verbundene energetische Nutzung wäre die klimafreundlichste Art, um die Nährstoffe aus dieser nicht-essbaren Biomasse in den Kreislauf zurückzuführen. Die Rückstände nur auf dem Acker verrotten zu lassen, wäre die schlechteste Variante. Zudem droht ein großer Verlust an Lebensmitteln: „Wir müssten die vegane Produktion um 50 bis 100 % steigern, d. h. den Ackerbau intensivieren. Dazu nötig wäre z. B. ein höherer Mineraldüngereinsatz und damit deutlich höhere Lachgas-Emissionen als heute“, so Prof. Windisch. Eine Abschaffung oder starke Drosselung der Nutztiere würde dem Klima aus seiner Sicht daher kaum helfen.
Eine effiziente Maßnahme, um Emissionen zu senken: Die Abdeckung des Güllebehälters.
(Bildquelle: Lehnert, Silvia)
Weiterzumachen wie bisher, allerdings auch nicht. Der Trend zeigt zwar in Richtung der Einhaltung der vereinbarten Reduktionsziele. Durch die Leistungssteigerung ist die Klimaschuld der Milchkühe – ausgedrückt in CO2-Äquivalenten – bereits in den letzten Jahren stetig gesunken (siehe Übersicht). „Insgesamt produzieren die deutschen Milcherzeuger mit einem Niveau von unter 1 kg CO2 pro kg Milch vergleichsweise sehr effizient“, weiß Caroline Labonte, zuständig für Klimaschutz bei der Landwirtschaftskammer NRW.
Für eine klimaneutrale Bilanz reichen die Anstrengungen aber noch nicht aus: Biogenes, also das aus der Wiederkäuer-Verdauung stammende Methan, muss aufgrund seiner Kurzlebigkeit in der Atmosphäre von etwa zehn Jahren zwar nicht auf null gesenkt werden, um klimaneutral zu produzieren. Eine Stabilisierung reicht aber auch nicht aus, da die Methanemissionen weltweit noch steigen. „Sinnvoll ist eine weitere Reduktion der Emissionen im Gesamtsystem Landwirtschaft ohne einzelne Bereiche zu überfordern“, sagt Dr. Monika Zehetmeier, LfL Bayern.
Steigende Leistung – sinkender CO<sub>2</sub>-Fußabdruck pro kg essbarem Eiweiß
Welche Maßnahmen sind sinnvoll?
Die Einsparpotenziale an Methan, Lachgas oder CO2 pro Betrieb hängen stark von den regionalen Standortfaktoren ab und sind daher individuell sehr unterschiedlich. Schätzungen gehen von 10 bis 30 % pro Betrieb aus. „Das Ziel ist aber nicht, die Emissionen im Einzelbetrieb zu senken, sondern vielmehr die CO2-Fracht je kg erzeugter Milch zu senken", fordert Caroline Labonte. Möglich ist das durch viele kleine Stellschrauben, „den“ großen Hebel gibt es nicht. Die effizientesten sind bisher:
Güllemanagement: Die Gülle sollte zu einem großen Teil direkt in die Biogasanlage wandern. Die Zugabe von Schwefelsäure oder Kalkstickstoff reduziert die Emissionen genauso wie die Abdeckung des Güllebehälters. Diese Maßnahmen steigern zudem die Stickstoff-Effizienz.
Milchleistung steigern: Die Milchleistung durch besseres Grundfutter und eine höhere Futterverwertung zu steigern, ohne zusätzliches zugekauftes Kraftfutter einzusetzen, ist das Gebot der Stunde. Ein ausgewogenes Protein/Energie-Verhältnis in der Ration reduziert überschüssigen Stickstoff in der Gülle und damit Lachgas. Weidegang kann je nach Management den Methan-Ausstoß senken.
Weniger Zukauffuttermittel und Dünger: Für ihre Produktion wird Kohlenstoff aus fossilen Quellen genutzt, der besonders klimaschädlich ist. So können Bio-Betriebe einen geringeren CO2-Fußabdruck haben als konventionelle, weil sie auf Mineraldünger verzichten. Wer Ammoniak-Verluste im Stall vermeidet, kann Mineraldünger im Ackerbau sparen.
Gesunde, langlebige Kühe halten: Eine höhere Nutzungsdauer führt dazu, dass weniger Methan-ausstoßende Nachzucht benötigt wird.
Nachhaltiger Futterbau: Die nicht mehr minimierbaren Emissionen müssen letztlich über CO2-bindende Maßnahmen kompensiert werden, z. B. durch Humusaufbau.
Wir sind auf einem guten Weg, solange sich die Milchleistungen positiv entwickeln.
Caroline Labonte. LWK NRW
Erste Milchprodukte sind mit Klimalabeln gekennzeichnet. Kritiker befürchten wie beim Thema Tierwohllabel auch, dass sich der Verbraucher bald nicht mehr auskennt.
(Bildquelle: Assmann, Horst-Emmanuel)
Keine einheitliche CO2-Bilanz
Beim Thema Klimaschutz in der Milcherzeugung ist viel Bewegung. In einigen Bundesländern gibt es spezifische Beratungs- und Förderangebote, erste Molkereien haben ehrgeizige Ziele formuliert und sich mit eigenen Programmen auf den Weg gemacht. Greifbare Ergebnisse gibt es zwar erst wenige. Aber es scheint, als ob der Branche schon jetzt wieder die alten Fehler unterlaufen: Jeder Akteur rechnet seine eigene CO2-Bilanz und kreiert sein eigenes Klimalabel. Die Folgen sind bekannt: Nicht nur die Transparenz für den Verbraucher leidet, sondern vor allem die Glaubwürdigkeit in das Produkt.
Wie schwer ist es, den CO<sub>2</sub>-Fußabdruck deutlich zu senken? Und wie hoch ist der Aufwand dafür?
Die meisten Klimabilanz-Rechner bestimmen, welchen Beitrag einzelne Maßnahmen zur Reduktion der Treibhausgasemissionen leisten. Doch es gibt auch welche, die die Wirtschaftlichkeit im Auge haben.