Der Lebensmittelhandel möchte möglichst viele Molkereiprodukte als gentechnikfrei deklarieren. Die Molkereien geraten jetzt zunehmend unter Druck. Was bedeutet dies für die Milcherzeuger?
Ende April lässt Lidl die Bombe platzen: Ab Juli 2016 soll bundesweit nur noch...
Der Lebensmittelhandel möchte möglichst viele Molkereiprodukte als gentechnikfrei deklarieren. Die Molkereien geraten jetzt zunehmend unter Druck. Was bedeutet dies für die Milcherzeuger?
Ende April lässt Lidl die Bombe platzen: Ab Juli 2016 soll bundesweit nur noch zertifiziert gentechnikfreie (GVO-freie) Frischmilch für die Eigenmarke „Milbona“ verarbeitet werden. Ab August ziehen bestimmte Käsesorten nach, ab 2017 werden nach und nach alle Milchprodukte umgestellt. Bereits zuvor hatte die REWE Group erklärt, für sämtliche Molkerei-Eigenmarkenprodukte in Deutschland, langfristig auf den Einsatz gentechnisch veränderter Futtermittel zu verzichten. Vermutlich werden die übrigen Handelsketten schon bald nachziehen. Aldi Süd labelt ja ohnehin bereits schon seit einem Jahr in Bayern die Eigenmarke Milfina als gentechnikfrei.
Die Handelsketten hoffen damit beim Verbraucher zu punkten, denn „regional“ und „gentechnikfrei“ sind derzeit die angesagten Trends im Foodsektor. Nach Angaben der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) lehnen etwa 57% der Verbraucher gentechnisch veränderte Lebensmittel ab. Laut einer aktuellen Umfrage (GfK 2015) kauft bereits jeder fünfte Haushalt in Deutschland GVO-freie Milch. Die Konsumforscher rechnen in naher Zukunft sogar mit einer weiteren „Intensivierung“. Hinzu kommt, und das macht die Listung GVO-freier Milchprodukte für den Handel so interessant, dass Menschen, die beim Einkauf auf Gentechnikfreiheit achten, pro Einkauf 44% mehr ausgeben als die, die keine GVO-freie Milch einkaufen.
Aktuell werden nur etwa 10% der deutschen Milch unter dem im Mai 2008 eingeführten grünen Label „ohne Gentechnik“ vermarktet. In der Regel ziert die grüne Raute neben Bioprodukten die Verpackungen von Hofmolkereien, regionalen Verarbeitern (z.B. Schwarzwaldmilch, Bergader) oder aber von speziellen Markenprogrammen wie z.B. Landliebe.
Das dürfte sich ändern, denn der Handel macht jetzt ernst: Wer nicht liefert wird ausgelistet! Den Molkereien bleibt also gar nichts anderes übrig als mitzuspielen. In Zeiten wie diesen kann es sich keine Molkerei leisten, außen vor zu bleiben. So sehen sich jetzt auch die „Großen“ im Norden gezwungen, GVO-freie Milch zu liefern (u.a. Ammerland und DMK; die Rede ist von zunächst je 100 Mio. kg). Auch Arla hat angekündigt verstärkt auf GVO-freie Milch zu setzen.
Der Handel diktiert
In manchen Regionen wird den Milcherzeugern inzwischen eine GVO-freie Produktion von der Molkerei vorgeschrieben. „Unsere Molkerei wurde von Edeka ausgelistet und nur unter der Prämisse wieder aufgenommen, dass sie 80% der Milch GVO-frei produziert, erklärt Edwin König, der bei Sigmaringen 45 Fleckviehkühe hält. „Uns blieb also gar nichts anderes übrig, als die Fütterung umzustellen.“ Auch aus anderen Regionen ist Ähnliches zu hören. So wurde z.B. den Lieferanten einer großen Genossenschaftsmolkerei angedeutet, dass das Milchwerk in der Region nur zu halten sei, wenn regional eine mehr oder weniger flächendeckende Umstellung auf gentechnikfreie Milch erfolgt!
Drei Monate Wartezeit
Für gentechnikfreie Milch muss ein Landwirt zuvor drei Monate auf gentechnisch verändertes Futter verzichtet haben und nach der Umstellung kontinuierlich weiter „ohne Gentechnik“ füttern. Am einfachsten ist die GVO-freie Fütterung in Grünlandregionen (sehr intensiv genutztes Dauergrünland) umzusetzen.
Theoretisch sollte die Umstellung auf eine GVO-freie Fütterung aber in keinem Betrieb Probleme bereiten, denn eigentlich muss maximal das Kraftfutter ausgetauscht werden. Mittlerweile ist nach Auskunft der Futterindustrie geeignetes, gentechnikfreies Kraftfutter bundesweit verfügbar. In der Regel wird in den Rezepturen der GVO-freien Kraftfutter Soja- durch Rapsschrot und/oder weitere Eiweißkomponenten ersetzt. Edwin König setzt auf GVO- und soja-freies Mischfutter. Er hat bisher ohnehin schon den Eiweißanteil in der Ration (TMR) zu 80% durch Rapsextraktionsschrot gestellt, ergänzt durch ein 18/4er- Kraftfutter am Transponder. Letzteres ersetzt er nun durch das GVO-freie Mischfutter ohne Soja. Tobias Langer (140 Holsteinkühe, Ostwestfalen) setzt dagegen auf Einzelkomponenten: „Wir produzieren seit 2010 GVO-freie Milch für Babynahrung. Bei unserer Herdenleistung von 10.800 kg sind wir problemlos von einem GVO-freien Mischfutter auf Rapsextraktionsschrot als Einzelkomponente umgestiegen, das Risiko einer Verunreinigung ist für uns so geringer.“
Ob sojahaltige Kraftfuttermischungen erforderlich sind, das wird in der Praxis kontrovers diskutiert. Sicher scheint zu sein, dass im „normalen“ Leistungsbereich unter 10.000 kg Milch pro Kuh und Jahr, sich Kühe auch ohne Soja ausfüttern lassen. Aber auch bei höheren Milchleistungen ist eine sojafreie Fütterung möglich, darauf deuten drei in Deutschland durchgeführte Fütterungsversuche hin (siehe Elite 6/2012, Seite 38). Auch in der Futtermittelindustrie ist man überzeugt, auch ohne Soja, ausreichend darmverfügbares Eiweiß (nXP) im Kraftfutter bereitstellen zu können. Bei sehr hohen Milchleistungen könnte es ohne das Lysin aus dem Soja allerdings eng werden.
Werden Eiweißkomponenten knapp?
Die Mischfutterrezepturen lassen sich also kurzfristig umstellen, doch wie ist es langfristig um die Verfügbarkeit gentechnikfreier Futterkomponenten bestellt? Weltweit werden schließlich in immer stärkerem Umfang neben Raps und Sojabohnen auch gentechnisch veränderte Mais- und andere Futterpflanzen angebaut. Der Anteil von GVO-Saatgut bei Soja liegt in den Hauptanbaugebieten schätzungsweise bereits bei 85% (Übersicht 2). Bei der Mischfutterindustrie gibt man sich dennoch optimistisch, ausreichende Mengen an gentechnisch unveränderten Rohstoffen beziehen zu können. „Solange nicht auch der Schweine- und Geflügelbereich im großen Stil auf GVO-freie Futtermittel umstellt, können wir mit Sicherheit allen unseren Kunden GVO-freies Mischfutter liefern“, ist Georg Riewenherm, Leiter des Produktmanagements bei Deutsche Tiernahrung Cremer, überzeugt. Diese Auffassung teilt auch Dr. Michael Baum, Produktmanager Rind bei Agravis: „Eine Eiweißlücke wird sich nicht auftun!“ Ebenfalls als unproblematisch schätzt das Thünen-Institut in Braunschweig die Versorgung mit GVO-freiem Soja ein. In einer im Juni 2016 veröffentlichten Studie heißt es, dass die brasilianischen Sojabohnenbauern, die einen großen Teil des derzeit in Deutschland verfütterten GVO-freien Sojas erzeugen, innerhalb von zwei Jahren mit einer gesteigerten Produktion und Verarbeitung auf eine höhere Nachfrage in Deutschland reagieren könnten. Die Anbauflächen an GVO-freiem Soja in Südamerika werden über Anbauverträge gesteuert. Das sorgt doch für ein wenig flexibles Angebot. Engpässe könnte es deshalb geben, wenn z.B. in Brasilien, dem Hauptanbauland von GVO-freiem Soja, die Ernte beeinträchtigt wird.
In Deutschland werden inzwischen 41.000 Tonnen Sojabohnen geerntet. Zum Vergleich: Importiert werden vier bis fünf Millionen Tonnen. Zudem ist der Proteingehalt von europäischem Soja niedriger als bei brasilianischem. Auch in Italien, Frankreich, in Österreich, Ungarn, Rumänien und in der Ukraine werden zunehmend Sojabohnen angebaut. In der Donauregion (inkl. Ukraine) wurden 2015 bereits auf über 3 Mio. ha Soja geerntet. Recherchen des amerikanischen Landwirtschaftsministeriums (USDA) haben kürzlich jedoch aufgedeckt, dass in der Ukraine wahrscheinlich auf ca. 80% der Sojaanbaufläche und auf etwa 10% der Maisfelder gentechnisch verändertes Saatgut genutzt wird. Unter dem Strich werden in der gesamten EU jährlich etwa 1,4 Mio. t Sojabohnen geerntet. Das klingt zunächst mal viel, die Menge entspricht aber nur etwa 4% der europäischen Importe.
Etwas besser stellt sich die Situation beim Raps dar. Genetisch unverändertes Rapsschrot ist in der Regel ausreichend verfügbar. Den Flaschenhals bilden hier die Ölmühlen. In Deutschland werden gerade Verarbeitungskapaziäten abgebaut. Cargill schließt seine Ölmühle in Mainz, in der bislang ca. 1 Mio. t Raps verarbeitet wurden. Das kann letztlich dazu führen, dass die Rapsschrot-Notierungen anziehen.
Lohnt sich die Umstellung?
GVO-freie Kraftfuttermischungen sind in der Regel teurer als herkömmliche Futter. Denn nur die wenigsten Futtermühlen haben einzelne Linien oder gar ein ganzes Werk zur Herstellung von GVO-freiem Kraftfutter abgestellt. Sehr häufig werden die GVO-freien Mischungen dazwischen geschoben, dadurch besteht ein höheres Risiko für Verunreinigungen. Vermeiden lassen sich Verunreinigungen durch sogenannte Spülchargen, d.h. es wird zunächst (teures) gentechnikfreies Futter produziert, aber nicht als solches gelabelt. Das kostet die Futtermittelhersteller Flexibilität und Kapazität. GVO-freie Futtermischungen sind denn auch zumeist 0,50 bis 1,50 € pro Dezitonne teurer als herkömmliche Futtermischungen. Für Milchleistungsfutter, die GVO-freies Sojaextraktionsschrot enthalten (z.B. Proteinmischfutter 40/4), werden bis zu 4,00 €/dt mehr verlangt. Wenn jetzt viele Molkereien „umstellen“, dürfte sich der Preisabstand noch vergrößern.
Die Umstellung auf die Milcherzeugung ohne Gentechnik rechnet sich für Milchlieferanten deshalb auch nur, wenn die Zuschläge entsprechend „hoch“ ausfallen. „Der Mehraufwand ist nicht zu unterschätzen“, sagt Tobias Langer und meint: „Um die Mehrkosten der GVO-freien Futtermittel decken zu können, wird aktuell ein Zuschlag von mindestens 0,7 bis 1,0 Cent mehr pro kg Milch benötigt.“ Die Zuschläge, welche die Molkereien für GVO-freie Milch gewähren, variieren aktuell zwischen null und zwei Cent pro Liter Milch. FrieslandCampina und Arla zahlen einen Cent zusätzlich für gentechnikfreie Milch. „Sollten wir einen höheren Preis beim Verkauf erzielen, fließen die Erlöse wieder an unsere Milcherzeuger zurück“, erklärt Wolfgang Rommel von Arla. DMK will wohl zunächst mit einem Bonus von 0,8 Cent starten.
Engmaschige Kontrollen
Vor Vergabe einer Lizenz zur Nutzung des grünen „Ohne GenTechnik“-Siegels (z.B. auf einer Milchpackung) lässt sich der Verband Lebensmittel ohne Gentechnik e.V. (VLOG) die Einhaltung der Kriterien von den Molkereien anhand von Dokumenten glaubhaft machen. Die Molkereien wiederum sichern sich über spezielle Verträge bei den Milcherzeugern und der Futtermittelindustrie ab, denn letztlich sind die Molkereiunternehmen haftbar, wenn im Kühlregal etwas falsch deklariert sein sollte. Wichtig zu wissen für Milcherzeuger ist, dass im Rahmen des Eigenkontrollsystems von jeder Kraftfutterlieferung eine Rückstellprobe genommen (im Beisein des Lkw-Fahrers) und aufbewahrt werden muss. Eine Zusammenfassung der wichtigsten VLOG-Anforderungen finden Sie im Internet auf ElitePLUS (
www.elite-magazin.de).
Der nächste Schritt ist schon absehbar
Jetzt, da absehbar ist, dass gentechnikfrei bei Molkereiprodukten schon bald zum Standard erhoben werden dürfte, ist der nächste Schritt absehbar: die traditionelle Fütterung! FrieslandCampina, einer der Pioniere der GVO-freien Milcherzeugung, setzt dieses Konzept bei „Landliebe“ bereits seit 2010 um. Erlaubt ist nur noch der Einsatz traditioneller, heimischer Futtermittel. Welche Futterkomponenten zugekauft werden dürfen, regelt eine Positivliste. Die Rohstoffe dafür müssen auf jeden Fall aus der EU-28 stammen.
Ähnlich verfährt die REWE Group bei den ProPlanet-Molkereiprodukten. Der Handelskonzern verpflichtet die Molkereien bzw. die Milcherzeuger nicht nur auf den Verzicht gentechnisch veränderter Futtermittel, sondern darüber hinaus auch dazu, den Anteil an Soja aus Übersee schrittweise zu verringern. Spätestens zwei Jahre nachdem ein ProPlanet-Molkereiprodukt erstmals angeboten wurde, darf kein Soja aus Übersee mehr in der Fütterung verwendet werden. Hoffentlich werden die Molkereien die restriktiveren Anforderungen an die Fütterung auch in den Preisverhandlungen mit dem LEH zu nutzen wissen.
K. Berkemeier; B. Ostermann-Palz; C. Stöcker; G. Veauthier