Die Neugier von Kühen ist groß und Stalleinrichtungen nicht immer zu 100 Prozent durchdacht. Gibt es einen Weg, das Risiko von Verletzungen im Stall zu reduzieren? Wer haftet im Schadensfall?
Sie kommen in den Stall und nach wenigen Sekunden ist Ihnen klar: Hier stimmt etwas nicht. Eine Kuh liegt langgestreckt auf dem Laufgang, eine Klaue sitzt unter dem Mistschieber fest, das Hinterbein unnatürlich verdreht. Ein...
Die Neugier von Kühen ist groß und Stalleinrichtungen nicht immer zu 100 Prozent durchdacht. Gibt es einen Weg, das Risiko von Verletzungen im Stall zu reduzieren? Wer haftet im Schadensfall?
Sie kommen in den Stall und nach wenigen Sekunden ist Ihnen klar: Hier stimmt etwas nicht. Eine Kuh liegt langgestreckt auf dem Laufgang, eine Klaue sitzt unter dem Mistschieber fest, das Hinterbein unnatürlich verdreht. Ein Horrorszenario welches sich kein Milchkuhhalter wünscht! Dennoch, ganz auszuschließen ist so ein Unfall nicht. Aber wie ließe er sich im Vorfeld vermeiden? Und wer haftet für den Schaden?
Der Tierhalter ist verantwortlich
Um diese Fragen zu klären, haben wir bei Veterinärdirektor Dr. Jörg Fritzemeier (Osnabrück) nachgefragt. Nach seiner Aussage ist in Deutschland der Tierhalter für das Wohlergehen seiner Tiere selbst verantwortlich (§2 Tierschutzgesetz). Daher trägt er die Verantwortung dafür, dass der Stall mit allen Einrichtungsgegenständen im Sinne des Tierschutzes gebaut und im Hinblick auf die dort gehaltenen Rinder auch tierschutzgerecht betrieben wird. Das bedeutet, dass sich der Milchkuhhalter vergewissern muss, dass sich seine Stalleinrichtung für eine tierschutzgerechte Haltung eignet. Dementsprechend ist er auch dafür verantwortlich, etwaige Mängel abzustellen.
Werden in der Haltung gravierende Verstöße festgestellt, muss der Tierhalter sogar mit einem Verfahren rechnen. Hat der Stalleinrichter dem Milchkuhhalter in puncto Tiergerechheit Zusicherungen gemacht, kann er gegebenenfalls privatrechtlich prüfen, ob jemand anderes haftbar ist.
Aber wie könnten Tierhalter bei der Beurteilung, ob Stalleinrichtungen sicher sind, unterstützt werden?
Die Schweiz als Tierschutz-Vorreiter
Einige Länder haben eine Lösung, die es Tierhaltern erleichtert zu erkennen, ob Haltungseinrichtungen geeignet sind oder nicht. Dort werden serienmäßig herstellte Stalleinrichtungen (z.B. Fressgitter) in einer Art TÜV auf Tiergerechtheit bewertet. Serienmäßige Einrichtungen, die nicht zertifiziert sind, dürfen Hersteller und Händler nicht verkaufen.
So wird es auch seit 1981 in der Schweiz gehandhabt. Das „Prüf- und Bewilligungsverfahren für Stall‑einrichtungen“ unterliegt dort dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen. Geprüft wird in den Zentren für tiergerechte Haltung. Prüfen heißt nicht, dass jedes neue Produkt im Stall getestet wird, bevor es seine Zulassung bekommt. So wird ein als neu vom Hersteller eingereichtes System zunächst „vom Bürostuhl aus“ bewertet und erhält, wenn es als tiergerecht eingestuft ist, eine befristete Bewilligung. Nun darf der Stalleinrichter sein Produkt eingeschränkt verkaufen. Nach einer Zeit wird die Technik in den Ställen angeschaut. Passt es, wird entfristet. Bis zum Erhalt einer befristeten Zulassung dauert es bestensfalls zwei Wochen und kostet einen zwei- bis dreistelligen Betrag. Handelt es sich um neuartige Systeme, ist ein Eignungstest im Prüfstall erforderlich. Dieser beansprucht mehr Aufwand und höhere Kosten, z.B. fünf Jahre bei der erstmaligen Prüfung Automatischer Melksysteme. Aber auch hier durften damals vorab AMS als befristet bewilligt verkauft werden, berichtet Beat Wechsler, Leiter des Zentrums für tiergerechte Haltung für Wiederkäuer. Es muss wirtschaftlich bleiben. „Auch für den Tierhalter sind durch das Prüfverfahren entstehende Kosten zu vernachlässigen, da sie sich auf alle verkauften Produkte verteilen“, sagt Markus Ammann, Geschäftsführer des Stalleinrichters Stallag.
Trotz Prüfverfahren haftet auch in der Schweiz der Tierhalter. Nachteilig ist zudem, das gerade bewegliche Stalltechnik, wie z.B. Entmistungsschieber, nicht zertifiziert wird. Hier muss der Tierhalter selbst abwägen, ebenso wie bei „Selbstbauten“. Aus der Verantwortung können sich Hersteller damit aber nicht stehlen, glaubt Markus Ammann: „Um als Stalleinrichter bestehen zu können, braucht er einen guten Ruf. Den hat er nur, wenn er hohe Ansprüche an Material und Tierschutz stellt.“
Trotz der Ausnahmen schafft das System mehr Produktsicherheit. Beat Wechsler ist überzeugt: „Unser System kann die Qualität der Tierhaltung verbessern. Und das auch, weil die Hersteller dadurch zur Weiterentwicklung und Optimierung angeregt werden.“
Deutschland: Keine Lösung in Sicht
Das politische Gerangel in Deutschland um die Einführung eines ähnlichen Prüf- und Zulassungsverfahrens ist lang und bis jetzt erfolglos. Bereits im Jahr 2009 lehnte der Ernährungsausschuss des Deutschen Bundestages einen entsprechenden Antrag ab. Im Koalitionsvertrag 2014 und auch im aktuellen von 2018 ist die Absicht formuliert, „…ein bundeseinheitliches Prüf- und Zulassungsverfahren für serienmäßig hergestellte Tierhaltungssysteme bei Nutz- und Heimtieren vorzulegen…“. Nach wie vor gibt es keinen Zeitplan. Die Einführung eines Verfahrens, zumindest für die Rinderhaltung, ist nicht absehbar, das ergab die Nachfrage beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Auch ist offensichtlich noch nicht zu 100 Prozent geklärt, wer die Stalleinrichtung prüfen und zulassen soll.
Ein Prüfverfahren ist wünschenswert
Und wie denken Experten über ein mögliches Prüf- und Zulassungsverfahren in Deutschland?
Dr. Andreas Ahrens vom Thüringer Tiergesundheitsdienst befürwortet ein solches Verfahren: „Dadurch könnten sich tierschutzrechtliche Probleme schon vor Inbetriebnahme von neuen Stalleinrichtungen ausräumen lassen.“
Dr. Jörg Fritzemeier plädiert ebenfalls für ein Prüf- und Zulassungsverfahren. Wichtig wäre nach seiner Ansicht, dass die Einrichtung dann von neutraler Seite und mit großer Fachkompetenz geprüft würde.
Fazit: Kosten und Dauer solcher Prüf- und Zulassungsverfahren lösen bei Technikherstellern aber auch Tierhaltern teilweise Bedenken aus. Schaut man in die Schweiz, scheinen aber die Vorteile zu überwiegen. Bleibt zu hoffen, dass, sollte es irgendwann in Deutschland soweit sein, die (politischen) Entscheider dann die Erfahrungen anderer Länder anhören und tatsächlich auch nutzen. K. Berkemeier, B. Ostermann-Palz