Stefanie und Steffen Stockert haben ihre Herde in den letzten Wochen mehr als versiebenfacht! Was treibt die jungen Milcherzeuger zu diesem enormen Investitionsschritt an?
Was kostet es, Ziele wahr werden zu lassen? Mut! ... und Unternehmergeist. Davon haben Stefanie und Steffen Stockert aus Krautheim in Baden-Württemberg eine ganze Menge. Denn in den vergangenen Wochen und Monaten haben sie einen neuen Stall und ein Melkkarussell gebaut und stocken ihren Kuhbestand von 70 auf 500 Kühe auf. Ist das verrückt? Ja, vielleicht. Aber die beiden haben sich ihre Entscheidung gut überlegt. Jahrelang haben sie nach dem richtigen Konzept gesucht, Banken und Behörden überzeugt. Nun sind sie dabei, ihre Ziele zu verwirklichen!
Angefangen hatte alles im Jahr 2001, als Steffen Stockert (37 Jahre) in den elterlichen Betrieb einstieg. Zu diesem Zeitpunkt hielten Stockerts noch 25 Kühe in der Anbindung. „Mir war klar, wollen wir weiter Kühe halten, müssen wir jetzt dringend Gas geben.“ Deshalb bauten sie im Jahr 2002 einen Stall für 70 Kühe auf die grüne Wiese und investierten 2006 erstmals in Biogas (180 KW). Im Jahr 2011 erfolgte dann eine Erweiterung der Biogasanlage auf 385 KW plus Fahrsilo und Endlager. Auf 70 Kühe und Biogas zu setzen ist dem Betriebsleiterehepaar jedoch langfristig nicht genug. „Denn mit der Geburt der Kinder reifte bei mir der Gedanke, an Steffens Seite in den Betrieb einzusteigen“, sagt Stefanie Stockert (35 Jahre) mit strahlenden Augen. Zudem war es dem Ehepaar wichtig, dass der Betrieb so aufgestellt ist, dass sie auch mal fort können. Steffen Stockert richtet sich auf und sagt: „Ich habe immer betont, wenn Urlaub mit meiner Familie nicht drin ist, dann höre ich lieber mit der Landwirtschaft auf.“ Deshalb soll der Betrieb künftig mindestens einen qualifizierten Mitarbeiter finanziell tragen können.
Fische statt Kühe?
Die Kuh-Herde aufzustocken war jedoch nicht die einzige Option für die beiden. Auf der Suche nach Ideen geriet das Ehepaar auf der Eurotier 2012 in die Aquakultur-Hallen. „Auf den ersten Blick war die Fischzucht ein interessantes Thema, denn mit der Abwärme aus der Biogasanlage hätte man das Wasser in den Zuchtbecken erwärmen können“, erklärt Steffen Stockert seine anfängliche Begeisterung. Mit finanzieller Unterstützung der Marketinggesellschaft Baden-Württemberg (MBW) gaben sie eine Marktstudie in Auftrag. Das Ergebnis war jedoch ernüchternd. „Die Vermarktung ist schwierig. Fische, die leicht zu züchten sind, lassen sich schwer vermarkten. Fische, deren Aufzucht risikoreich ist, sind hingegen gefragt. Letztlich nahmen sie Abstand von der Idee.
Dennoch, frei nach dem Motto „wenn eine Tür sich schließt, öffnet sich eine andere“, suchten sie unverzagt weiter nach neuen Einkommensquellen. Dabei dachten sie auch über die Direktvermarktung ihrer Milch nach: „Schon durch meine Ausbildung zur hauswirtschaftlichen Betriebsleiterin lag diese Überlegung nah.“ Doch auch hier war die Vermarktung der Knackpunkt.
Viele Schmierblätter nötig
Eine golden glänzende Kuh blitzt im linken Ohr des Betriebsleiters auf. Der Ohrstecker macht es deutlich: Kühe sind und bleiben Steffen Stockerts Leidenschaft. Deswegen kam das Ehepaar am Ende doch wieder auf die Kühe zurück. Mehr Kühe also, doch wie viele? „Zuerst schwebten uns 250 Kühe und ein 16er-SbS-Melkstand vor. Das kam uns allerdings immer wie eine halbe Sache vor. Irgendwann kommt dann ja doch der nächste Schritt und der Stall wird gespiegelt. Warum dann also nicht gleich den Standort voll ausnutzen?“ Auch sind 250 Kühe keine Größe, um einen Herdenmanager voll auslasten und bezahlen zu können. Am Ende gaben diese Argumente den Ausschlag, größtmöglich – an den Standort angepasst – zu planen. „Die Idee, 500 Kühe zu halten, hat meine Frau ins Rollen gebracht. Irgendwann haben wir uns ein Schmierpapier geschnappt und angefangen zu zeichnen.“ Stefanie Stockert ergänzt lachend: „Es sind eine Menge Schmierblätter im Papierkorb gelandet, bevor wir eine Ahnung davon hatten, wie viele Kühe wir unterbringen können und welche Melktechnik infrage kommt.“ Am Ende kristallisierte sich heraus, dass sie am Standort 500 Kühe halten und mit eigenem Raufutter versorgen können. Die Biogasanlage soll dann künftig mit Gülle, Silage-Abraum und GPS „gefüttert“ werden. Das Jungvieh wird von drei externen Aufzüchtern betreut.
Tierwohl-Debatte zunutze gemacht
Im März 2014 stellten Stockerts dann ein Baugesuch. Etwas mehr als ein Jahr dauerte es, bis sie die Genehmigung im Sommer 2015 in Händen hielten. Eine Genehmigung vom Landwirtschafts- und Veterinäramt sei dabei kein Problem gewesen. Vor dem Gang zur Landschaftsschutzbehörde ließen sie sich zuerst vom Veterinäramt bescheinigen, wie wichtig ein hellgraues Dach für das Klima im Stall und damit für das Wohlbefinden ihrer Kühe ist. „Die öffentliche Debatte rund um das Thema Tierwohl hat dann sicherlich dazu beigetragen, dass die Behörde helle Dächer trotz Vorbehalte nicht verhindern konnte“, sagt Steffen Stockert schmunzelnd.
Auch von Seiten der Nachbarn gab es keine Bedenken. Der Milcherzeuger hatte sich auf möglichen Widerstand vorbereitet und recherchiert, wie viele Kopf Rindvieh in den 80er-Jahren zum Vergleich im Dorf standen. „Das waren mehr als unser jetziger Bestand. Die Zahlen habe ich aber gar nicht gebraucht. Die meisten Anwohner fanden unseren Wachstumsschritt wagemutig, aber gut.“ Dass sich die Baugenehmigung dann doch hinzog, lag für Stockert an zwei Punkten: „In unserer Gegend gab es bisher nur wenige solcher Bauprojekte, man wusste schlichtweg nicht, wie man mit uns verfahren sollte.“ Zudem hätten sie zeitgleich auch eine Genehmigung für den Umbau der Biogasanlage beantragt. „Das hat das Verfahren verzögert.“
Wie ein Prüfungsgespräch
Rauchende Köpfe, in Schweiß gebadet, Adrenalin pur: So beschreibt Steffen Stockert das entscheidende Gespräch mit ihrer örtlichen Raiffeisenbank und der Deutschen Zentralen Genossenschaftsbank. „Am Ende der Verhandlungen saßen drei Bänker in unserem Haus und haben uns und unser Investitionskonzept noch mal auseinandergepflückt. Dabei ging es nicht nur um die nackten Zahlen, sondern vielmehr um unsere Einstellung als Unternehmer.“ Stefanie Stockert ergänzt: „Das hat sich wie ein Prüfungsgespräch angefühlt.“ Es hätte ihnen auch gezeigt, sagt Steffen Stockert, wie wichtig es sei, mit seinen Bank-Beratern regelmäßig zu kommunizieren. Die beiden versorgen die Bank nun monatlich mit Daten wie z.B. dem MLP-Bericht. Neben der Finanzierung durch die Hausbank haben Stockerts die Lüfter, den Futtermischwagen und das Melkkarussell geleast.
Inzwischen hat sich das Ehepaar an die hohen Summen, mit denen sie jonglieren, gewöhnt. Allerdings hat ihnen die Milchpreiskrise bewusst gemacht: „Scheitern wir, dann ist der Betrieb weg“, sagt Stefanie Stockert mit ernstem Gesichtsausdruck. „Dennoch, der Weg, den wir eingeschlagen haben, macht für uns Sinn!“
400 Kühe über Nacht
Wolkenloser Himmel, die Sonne sticht. Zwei schwarz-grau lackierte Tiertransporter rollen langsam die Hofeinfahrt hoch. An den Seiten der Lkws sind jeweils zwei große Stiere aufgedruckt. Die Wagen halten und das Motorengeräusch verebbt. Erst jetzt klingt vereinzeltes Muhen aus dem Inneren der Transporter.
Die ersten 50 Färsen hat Steffen Stockert für 1.400€ ab Hof bei verschiedenen Betrieben aufgekauft. Allerdings sind in den vergangenen Wochen die Färsenpreise angestiegen, sodass sich die Milcherzeuger nach anderen Möglichkeiten umgeschaut haben. „Wir wollten eigentlich gerne nur aus wenigen Beständen zukaufen, um die Einschleppung von Keimen zu minimieren“, sagt Stefanie Stockert. Als ihnen dann eine komplette Herde mit 400 Kühen angeboten wurde, schlugen sie zu. Täglich werden Stockerts jetzt 60 Kühe angeliefert. „Das Angebot war einfach gut, denn die Herde hat im Schnitt eine Tagesleistung von 31 bis 32 Litern. Um nicht gleich den neuen Stall heillos überzubelegen, habe ich scharf selektiert“, so der Milcherzeuger. In den neuen Stall ziehen daher nur die besseren Tiere ein. Einen weiteren Vorteil hat es für Stefanie Stockert, dass sie eine komplette Herde gekauft haben. Jetzt hätten sie Kühe in verschiedenen Laktations- und Trächtigkeitsphasen. „Damit sind die Abkalbungen auch im nächsten Jahr schon gleichmäßig verteilt.“
Künftig melken Asylbewerber
Wer die ganze Arbeit in den nächsten Monaten übernehmen soll, dass haben Stockerts noch nicht abschließend geklärt. „Das soll jetzt nicht blauäugig klingen, aber für eine Aufstockung von 70 auf 500 Kühe gibt es einfach keinen Masterplan“, erklärt Steffen Stockert. Das heißt aber nicht, dass sich die beiden Unternehmer keine Gedanken gemacht hätten. Zusammen mit einem Berater haben sie Verantwortungsbereiche geplant und festgelegt, welche Qualifikationen die Mitarbeiter hierfür benötigen. Demnächst soll das Management in die drei Bereiche Melken und Kälber, Fütterung sowie Fruchtbarkeit aufgeteilt werden.
Das Melken selbst sollen neben den bisherigen beiden 450 €-Kräften, Asylsuchende übernehmen. „Über eine Vermittlung haben wir mehrere Asylbewerber aus Syrien und Pakistan zu einem Kennenlernen eingeladen“, sagt die Milcherzeugerin. Aus dieser Gruppe haben sich vier Personen kristallisiert, die bei Stockerts anfangen. Ob das Modell funktioniert, bleibt abzuwarten. Ein Hindernis könnte sein, dass die vier Melker ihre Anreise selbst organisieren und die sieben Kilometer von ihrer Unterkunft bis zu Stockerts per Fahrrad zurücklegen müssen. Bei der hügeligen Gegend ein möglicher Motivationskiller. Zudem gilt es auch sprachliche Hürden zu meistern. Bei den syrischen Mitarbeitern sei dies ein geringeres Problem, da sie deutsch sprächen. Die Asylsuchenden pakistanischer Herkunft könnten nur etwas deutsch und englisch sprechen. Um sprachliche Barrieren zu umschiffen, ist Stefanie Stockert dabei die Arbeitsanweisungen nicht nur in schriftlicher, sondern auch in „bildlicher“ Form zu verfassen.
Neben den neuen Melkern, werden ab dem 1. August zwei landwirtschaftliche Auszubildende Stockerts unterstützen. „Derzeit sind wir vor allem auf der Suche nach einem Herdenmanager. Interessierte können sich gerne melden“, sagt Steffen Stockert.
Auf Stockerts kommen neue, bisher nicht gekannte Aufgabenbereiche hinzu. Dazu zählt nicht nur das Herdenmanagement, auch die Mitarbeiterführung wird ein großes Thema. „Dieser Veränderungen waren wir uns bewusst. Deshalb haben wir am Elite Herdenmanager-Kurs teilgenommen. Da haben wir uns nicht nur auf das Management der Kühe, sondern auch auf unsere Rolle als Arbeitgeber vorbereitet“, sagt Stefanie Stockert.
Mit 500 Kühen in Rente?
Die weiß lackierte Metalltür gleitet fast lautlos über die Führungsschiene hin und her. Leises Gemurmel. Noch ist nicht alles fertig auf der großen Stall-Baustelle. Gerade setzen zwei Monteure die letzten Türen ein, Lampen müssen noch im Stallbüro installiert werden. „Wir hatten uns eigentlich fest vorgenommen, erst in den Stall einzuziehen, wenn alles fertig ist. Doch das sind wir leider noch nicht, auch aufgrund von Bauverzögerungen oder dem Wetter“, erklärt Stefanie Stockert resigniert. „Da die neue Herde praktisch über Nacht einzieht, muss es auch so gehen.“
Den Stall vollzumachen und „die Milch ans Laufen bekommen“, sind für Stockerts jetzt wichtige Etappenziele. In den kommenden Jahren soll die Leistung gesteigert, optimiert und konsolidiert werden. Steffen Stockert meint lachend: „Mit wie vielen Kühen wir in Rente gehen oder ob noch andere Bereiche dazukommen, wissen wir noch nicht!“ B. Ostermann-Palz