Die Tendenz geht dahin, weniger „scharf“ auszumelken, vor allem, um das Zitzengewebe zu schonen.
Mehr Milch im Euter lassen, dafür die Zitzenkondition verbessern – das empfehlen heute einige Melkspezialisten. Genauer raten sie, die Abnahmeschwellen anzuheben, also das Melkzeug eher abzunehmen und weniger „scharf“ auszumelken.
Anstelle...
Die Tendenz geht dahin, weniger „scharf“ auszumelken, vor allem, um das Zitzengewebe zu schonen.
Mehr Milch im Euter lassen, dafür die Zitzenkondition verbessern – das empfehlen heute einige Melkspezialisten. Genauer raten sie, die Abnahmeschwellen anzuheben, also das Melkzeug eher abzunehmen und weniger „scharf“ auszumelken.
Anstelle einer Abnahmeschwelle, die bei einem Milchflussgrenzwert von 200 bis 250 g/min pro Euter schaltet, wird heute bei konventioneller Melktechnik zu Abnahmeschwellen von bis zu 400 g/min bei zwei und bis zu 700 g/min bei drei Melkungen geraten. Die Verzögerungszeit („Blinkzeit“), gemeint ist die Zeit, die nach Erreichen der Abnahmeschwelle noch weitergemolken wird, um abzusichern, dass sich der Milchfluss nicht wieder erhöht, wird zusätzlich verkürzt: Statt bis zu 20 Sekunden soll sie zwischen drei und zehn Sekunden liegen. Die damit erreichte kürzere Melkzeughaftzeit resultiert in einem schonenderen und gleichzeitig auch schnelleren Melken.
Schonender Melken
Schonender, weil Zitzen- und Eutergewebe durch eine kürzere Melkzeughaftzeit einfach weniger belastet werden. Das spielt besonders bei hochleistenden Kühen eine Rolle, da mehr Milch im Euter im Schnitt auch eine längere Melkzeughaftzeit bedeutet. Über den Richtwert für Milchfluss lässt sich das nachrechnen: Die ersten 10 kg Milch sollen in fünf Minuten ermolken werden, jedes weitere Kilogramm danach innerhalb von 12 Sekunden (0,2 Minuten) fließen. Zu langsam melkt eine Kuh, wenn ihre tatsächliche Melkdauer die berechnete übersteigt.
Wie schnell eine Belastung entsteht, verdeutlichte in diesem Zusammenhang schon das Ergebnis von Mein und Thompson (1993): Bei Kühen, die länger als sechs Minuten gemolken wurden (umgerechnet ca. 15 kg Einzelgemelk), konnte beobachtet werden, dass der Anteil an mäßig bis stark veränderten Zitzenkuppen nach dem Milchentzug doppelt so hoch war wie bei Kühen mit nur vier Minuten Melkzeit.
Eine regelmäßige mechanische Belastung an der Zitzenkuppe löst eine erhöhte Hornbildung (Hyperkeratose) aus. An den Zitzenkanalöffnungen kann diese die Melkbarkeit einschränken und das Risiko von Euterinfektionen steigern. Denn die vergrößerte Oberfläche der Hyperkeratosen bietet Mikroorganismen (auch Mastitiserregern) eine ideale Umgebung, die schlecht zu reinigen und zu desinfizieren ist.
Gerade beim konventionellen Melken
Neben hohen Milchleistungen greift das Argument des schonenderen Melkens vor allem bei konventionellen Melksystemen (einhäusiges Sammelstück). Denn für die Höhe der Abnahmeschwelle muss hier ein Kompromiss über alle vier Viertel sowie die gesamte Herde gefunden werden. Das Melkende lässt sich nur nach Gesamtmilchfluss bestimmen, es richtet sich also nach dem Milchfluss des langsamsten Viertels. Viertel, die eher leer sind, werden blindgemolken, also unnötig belastet.
Erschwerend kommt hinzu, dass Euterstruktur und Melkbarkeit von Kühen (sehr) individuell sind und damit auch ihre Milchflusskurven. Sogar viertelindividuell, z.B. wenn Viertel durch eine Strichverletzung oder Mastitis vorgeschädigt sind. Melksysteme, die eine viertelindividuelle Abnahme ermöglichen, z.B. alle automatischen Melksysteme (AMS) und MultiLactor (ohne Sammelstück), werden dem, eine korrekte Einstellung vorrausgesetzt, am ehesten gerecht.
Weitere melktechnikbezogene Gründe für eine höhere Abnahmeschwelle sind, wenn
- mit einem hohen Vakuum ( 42 kPa),
- einer kurzen D-Phase ( 150 Millisekunden)
- oder schweren Melkzeugen (2,5 bis 3 kg)
- mit einem hohen Vakuum ( 42 kPa),
- einer kurzen D-Phase ( 150 Millisekunden)
- oder schweren Melkzeugen (2,5 bis 3 kg)
gemolken wird. Denn diese belasten das Gewebe zusätzlich (Rasmussen et al., 2016). In modernen Melkständen mit tiefliegender Milchleitung kann normalerweise mit einem Vakuum 40 ± 2 kPa gemolken werden. Die Entlastungsphase (D-Phase, Zitzengummi gefaltet, Blut wird zurück ins Gewebe massiert) sollte über 150 Millisekunden betragen.
Schneller Melken
Das frühere Abnehmen des Melkzeugs kann auch die Gesamtmelkzeit verkürzen – muss aber nicht zwingend. Eine Erhöhung der Abnahmeschwelle von 200 g/min auf 400 g/min beim konventionellen Melken etwa, konnte in einem Versuch die Melkzeit/Kuh um 0,5 Minuten reduzieren (Mein et al., 2010).
Das ist auch für die Melkdauer am AMS interessant. Diese sollte, im Interesse einer guten Systemauslastung, im Schnitt zwischen 6,5 bis 7,5 Minuten pro Melkung (bei 10 bis 13 kg Milch) liegen.
Deutlich einflussreicher für ein zügiges Melken ist und bleibt allerdings ein hoher, stabiler Milchfluss. Und der lässt sich einzig und allein über eine korrekte, taktile (= über Berührung erfolgende) Vorstimulation erreichen: Drei satte Strahlen von Hand Vormelken, Zitzen reinigen, nach 60 Sekunden Melkzeug anhängen oder eher, wenn mit einem Stimulationstakt gemolken wird.
Problemlos für die Eutergesundheit?
Höhere Abnahmeschwellen können dazu führen, dass nach der Abnahme des Melkzeugs mehr loses Restgemelk im Euter verbleibt. Ein dadurch bedingter langfristig verringernder Effekt auf die Milchleistung ist jedoch bisher aus den aktuell zu diesem Thema erfolgten Studien nicht eindeutig bekannt.
Der Ausmelkgrad nach aktuellen Definitionen verschlechtert sich in der Umstellungsphase zu höheren Abnahmeschwellen. Als „leer“, also sehr gut ausgemolken, definiert ist bisher, wenn sich kurz nach Ende des Melkvorgangs nicht mehr als vier satte Strahlen Milch pro Viertel von Hand ausmelken lassen. In Mengen sind das ca. 100 bis 125 ml pro Euter. Als schlecht ausgemolken gilt, wenn über fünf satte Strahlen pro Viertel bzw. über 500 ml pro Euter nach der Melkzeugabnahme nachgemolken werden können (milchQplus, 2015).
Dieses nach Melkende verbleibende lose Restgemelk in der Zitzenzisterne, ängstigt viele Melker. Milch ist ein guter Nährboden für die Vermehrung von Mikroorganismen, also auch für mögliche Mastitiserreger. In einem bestimmten Rahmen und bei eutergesunden Kühen ist die Angst vor einem geringeren Ausmelkgrad allerdings offenbar unbegründet. Denn in Studien aus den Jahren 2002 bis 2016 konnte kein negativer Effekt von höheren Abnahmeschwellen bis zu 820 g/min und Euter auf die Eutergesundheit gezeigt werden. Die Mastitisinzidenz (Häufigkeit von Neuinfektionen) blieb in den Untersuchungen konstant. Es konnte dagegen eher beobachtet werden, dass mehr Mastitidien auftraten, wenn die Abnahmeschwelle bei nur 200 g/min lag.
In einer deutschen Studie (Cording, 2016) etwa, die auf Messungen in zwei Praxisbetrieben mit Holsteinkühen fußt, wurden Abnahmeschwellen von 250 g/min auf 350 g/min (2x Melken/Tag) und von 400 g/min auf 600 g/min (3x Melken) erhöht. Der Ausmelkgrad nach genannter Definition verschlechterte sich zwar, es konnte aber keine Vermehrung euterpathogener Mikroorganismen festgestellt werden. Die Zellzahlgrenze, die hier für eine Euterinfektion angenommen wurde, lag bei 200.000 Zellen/ml Milch und entspricht der Definition des National Mastitis Council.
Cording (2016) fasste folgendes Fazit zusammen:
- Eine Veränderung der Abnahmeschwelle führt zu einer Veränderung des Ausmelkgrades. Ein Zusammenhang des Ausmelkgrades mit dem Auftreten von Neuinfektionen konnte jedoch nicht festgestellt werden.
- Ein Anheben der Abnahmeschwelle kann sich dazu eignen, die Belastung des Zitzengewebes infolge einer kürzeren Melkzeughaftzeit zu reduzieren.
- Eine Erhöhung der nach dem Melken im Euter verbleibenden Menge an loser Restmilch, steigert nicht das Risiko für eine Euterentzündung („Vermehrung euterpathogener Erreger“) – wenn das Euter gesund ist.
- Eine Veränderung der Abnahmeschwelle führt zu einer Veränderung des Ausmelkgrades. Ein Zusammenhang des Ausmelkgrades mit dem Auftreten von Neuinfektionen konnte jedoch nicht festgestellt werden.
- Ein Anheben der Abnahmeschwelle kann sich dazu eignen, die Belastung des Zitzengewebes infolge einer kürzeren Melkzeughaftzeit zu reduzieren.
- Eine Erhöhung der nach dem Melken im Euter verbleibenden Menge an loser Restmilch, steigert nicht das Risiko für eine Euterentzündung („Vermehrung euterpathogener Erreger“) – wenn das Euter gesund ist.
Cording (2016) grenzte ein, dass weitere Untersuchungen nötig sind, um die Ergebnisse unter anderen Bedingungen (Melktechnik, Erregerspektrum, Kühe) zu prüfen!
Bei subklinisch euterkranken Kühen etwa kann es ganz anders aussehen: Clarke et al. (2008) konnten zeigen, dass wenn bereits eine Infektion vorliegt, sich die Eutergesundheit durch ein Anheben der Abnahmeschwelle eher verschlechtert.
Nicht einfach rumprobieren
Fazit: Soll die Höhe der Abnahmeschwelle einer bestehenden Melkanlage an die äußeren Grenzen der Empfehlungen angehoben werden, dann nur, wenn in der Herde keine akuten, von der Melktechnik unabhängigen Probleme in der Eutergesundheit vorliegen. Auf der sicheren Seite ist man bei Abnahmeschwellen von 300 bis 600 g/min. Außer einer kürzeren Melkzeit, wenn man zuvor noch mit einer Abnahmeschwelle von 200 g/min gemolken hat, kann hier nichts passieren.
Bevor die Abnahmeschwelle erhöht wird sowie eine gewisse Zeit danach, sind Zitzenkondition und Ausmelkgrad der Herde einzustufen. Ihr Milcherzeugerberater sollte Sie dabei begleiten, denn dieser ist geübt und objektiv. Nur so lässt sich im Nachhinein aussagekräftig beurteilen, ob das Anheben der Abnahmeschwelle in Ihrem Betrieb sinnvoll war.
Katrin Berkemeier