Das Immunsystem hat überall seine Finger „drin“, bei gesunden wie bei kranken Milchkühen. Einfluss auf das Immunsystem nehmen lässt sich auf vielfältige Art und Weise. Ein Überblick.
Warum erkranken Kühe so oft im geburtsnahen Zeitraum oder während der ersten...
Das Immunsystem hat überall seine Finger „drin“, bei gesunden wie bei kranken Milchkühen. Einfluss auf das Immunsystem nehmen lässt sich auf vielfältige Art und Weise. Ein Überblick.
Warum erkranken Kühe so oft im geburtsnahen Zeitraum oder während der ersten Laktationswochen? Neuere wissenschaftliche Erkenntnisse deuten darauf hin, dass bei fast allen Kühen zum Zeitpunkt der Abkalbung die Immunabwehr herabgesetzt ist (Immunsuppression). Denn der Übergang von der Trächtigkeit zur Laktation (Transition) ist charakterisiert durch eine Vielzahl physiologischer und umweltbedingter Veränderungen, die der Organismus bewältigen muss! Dazu zählen u.a. die vielfältigen hormonellen Umstellungen, die Geburt des Kalbes sowie der drastisch zunehmende Nährstoffbedarf infolge der einsetzenden Milchbildung. Hinzu kommt oftmals noch weiterer Stress durch die Umstellung in eine andere Gruppe und das Melken.
Eine ausgeprägte negative Energiebilanz zu Laktationsbeginn verstärkt diese Immunsuppression noch, ebenso wie Entzündungen. Treffen diese Faktoren zusammen, werden die Kühe anfälliger für Erkrankungen wie Metritis, Nachgeburtsverhaltung oder Mastitis. Diese wiederum wirken sich negativ auf die Fruchtbarkeit aus. Fruchtbarkeitsstörungen fußen daher oft auf einer geringen Immunität während der Transitphase.
Immunsystem geht in die Knie
Warum während der Transitperiode bei Kühen das Immunsystem des Öfteren „in die Knie geht“ (die Funktion der neutrophilen Granulozyten ist geschwächt, siehe Seite 41) ist noch weitgehend unklar. Es scheint, dass die einsetzende Laktation eine wichtige Rolle spielt. Die Kuh muss plötzlich von einer anabolen auf eine katabole Stoffwechsellage umschalten. Viele Kühe bekommen dieses Umschalten anscheinend nicht so ohne Weiteres hin. Für diese Hypothese spricht u.a., dass Kühe mit einem starken Körpermasseverlust zu Laktationsbeginn (hohe BHBA- bzw. NEFA-Konzentration), eine geringere Immunabwehr aufzeigen. Kühe mit einem starken BCS-Verlust erkranken häufiger und intensiver an Stoffwechselentgleisungen (z.B. Ketose) und an klinischen Infektionen (u.a. Metritis). Fehlt dem Organismus deutlich Energie, sind oft Labmagenverlagerungen und ovarielle Dysfunktionen zu beobachten.
Hohe Konzentrationen von NEFAs und Ketonkörpern (BHBA) im Blut lassen die Immunzellen nicht richtig arbeiten; die schnelle Antwort der Immunzellen auf pathogene Signale wird verzögert. Die Funktion der weißen Blutzellen ist nicht selten um 25 bis 40% vermindert. Dadurch wird letztlich Metritis oder Mastitis der Weg geebnet. Aber auch Milchfieber sorgt für eine Herabsetzung der Immunabwehr. Denn adäquate Mengen an ionisiertem Kalzium im Blut sind erforderlich, um die Funktion der Muskulatur aufrechtzuerhalten (es drohen Nachgeburtsverhaltungen).
Entzündung oft Ursache des Übels
Zudem bereiten Entzündungen einer Vielzahl an Erkrankungen den Weg bzw. sie gehen mit entzündlichen Vorgängen einher. Eine Entzündung ist eigentlich ein komplexer Prozess zum Schutz des Organismus gegen Infektionen. Während eine leichte Entzündung nützlich ist, führt dagegen eine schwere Entzündung zu bleibenden Gewebeschäden und damit in der Folge zu einem Leistungsverlust. Der Entzündungsvorgang selbst besteht aus einer Serie von Abläufen, die auch als Entzündungskaskade bezeichnet wird. Bei Kühen gerät diese Entzündungskaskade gerne außer Kontrolle. Eine entscheidende Rolle bei der Entstehung von Gesundheitsproblemen in der Frühlaktation scheinen damit Entzündungsprozesse zu spielen, die während der Transitphase auftreten.
Eine Entzündung entsteht, wenn das Gewebe eines Organs geschädigt wird, u.a. durch Bakterien, Viren, Pilze, Parasiten. Immunzellen spüren in solchen Fällen Erreger oder Signale traumatisierter Zellen auf. Sie sorgen u.a. dafür, dass sich bei einer Verletzung die kleinen Blutgefäße (Adern) erweitern, sodass mehr Blut zu der verletzten Stelle fließen kann (darum ist die entzündete Stelle rot und wärmer). Gleichzeitig tritt Flüssigkeit aus dem Blut durch die Gefäßwand in das umliegende Gewebe (verursacht eine Schwellung). Die weißen Blutkörperchen (Leukozyten) im Blut nehmen den Schaden wahr und wandern durch die Gefäßwand zum zerstörten Gewebebereich. Dort räumen sie zerstörte Gewebezellen weg und töten Bakterien, Viren oder Pilze (fressen sie auf). Bei einer Entzündung werden zudem Zytokine wie z.B. Interleukin-1, Interleukin-6, Interferon-γ, TNF-α freigesetzt (Akute-Phase-Reaktion). Die Zytokine gelangen mit der Blutzirkulation in die Leber, wo sie die Leberzellen zur Produktion von etwa 30 verschiedenen Akute-Phase-Proteinen anregen. Diese speziellen Proteine fördern wiederum die Wundheilungsprozesse und reduzieren das Ausmaß der Gewebeschädigung. Allerdings kann der Leberstoffwechsel dadurch enorm belastet werden, sodass andere Aufgaben der Leber, wie z.B. der Abbau toxischer Substanzen, nur noch unvollständig ausgeführt wird. Kühe mit hohen Entzündungswerten geben nachweislich nicht nur während der ersten Laktationstage deutlich weniger Milch (bis zu 20%; Übersicht 1), über die gesamte Laktation hinweg fällt die Milchleistung deutlich geringer aus (-1.000 kg Milch über 305 Tage). Zudem ist oftmals auch die Fruchtbarkeit beeinträchtigt (-19% Konzeptionsrate).
Kuh unterstützen
Offensichtlich zeigen aber auch gesunde Milchkühe nach dem Abkalben eine Akute-Phase-Reaktion. Deshalb sollte die Kuh in dieser kritischen Phase jegliche Form der Unterstützung erhalten, damit ihr ohnehin schon geschwächtes Immunsystem nicht noch weiter „belastet“ wird. Den im Umfeld der Kuh lebenden Erregern muss der Zugang in den Organismus Milchkuh erschwert werden! Bildlich gesprochen sollte ein Schutzwall um die Kuh herum errichtet werden!
Dazu gehört in erster Linie, dass die Milchkuh während der sensiblen Transitphase entsprechend ihres Bedarfs mit Nährstoffen versorgt wird. Wie bereits aufgeführt, beeinflussen Immunsuppression und negative Energiebilanz einander. Bei einer negativen Energiebilanz steht dem Immunsystem weniger Energie zu Verfügung. Deshalb sollte die Trockenmasse-Aufnahme (TM) während der Transitphase möglichst hoch gehalten werden! Die Trockenmasseaufnahme der Transitkuh hat weit größeren Einfluss auf das Immunsystem als die Zugabe von „Spezialfuttern“ (u.a. Mineralstoffe und Vitamine). Daten von der Versuchsherde in Iden belegen, dass das Futteraufnahmevermögen in der Vorbereitungsphase ausgeschöpft werden muss. Eine zu hohe Versorgung mit Futterenergie gibt es in diesem Zeitraum nicht. In den letzten Wochen vor der Kalbung sollten mittlere Trockenmasseaufnahmen von 13 bis 14 kg erreicht werden, in der letzten Woche mehr als 12 kg. Liegen die Trockenmasseaufnahmen unter diesen Werten, sind die Ursachen dafür zu suchen und abzustellen. Kühe mit geringen Futteraufnahmen vor der Kalbung sind „Risikotiere“, sie sollten im geburtsnahen Zeitraum beobachtet und bei Bedarf behandelt werden.
Vitamin E gegen Stress
Neuesten Forschungsergebnissen zufolge lässt sich eine bessere Immunität aber auch erfüttern. So lassen sich z.B. durch eine Absenkung des Stärkegehaltes (wenig schnelle Stärke) in der Ration der Frischlaktierer anhaltende systemische Entzündungen vermeiden bzw. deren Auswirkungen minimieren.
Oxidativer Stress, der ebenfalls das Entstehen entzündlicher Prozesse begünstigt, lässt sich u.a. durch die Fütterung von Antioxidantien (z.B. mindestens 1.000 mg Vitamin E pro Kuh und Tag) reduzieren. Antioxidantien (z.B. Loxidan) schützen die Nährstoffe und Fettsäuren vor aggressiven Sauerstoffradikalen, indem sie die Geschwindigkeit der Oxidationsprozesse soweit verlangsamen, dass Sauerstoffradikale (ROS) zu keinem Zeitpunkt gehäuft auftreten können. Sie fangen diese direkt ab oder inaktivieren die ROS.
Hefe und Traubentrester
Auch bestimmte Hefeprodukte können helfen, Entzündungsprozesse abzuschwächen und das Immunsystem zu stabilisieren. So gelang kürzlich der Nachweis, dass Hefe nach einer Impfung die Anzahl der Antikörper und die Freisetzung von Immunglobulin A (IgA) erhöhte.
Auch polyphenolhaltige Futtermittel (z.B. Traubentrester) können eine solche entzündungshemmende Wirkung erzielen. In einem an der Versuchsanstalt Neumühle durchgeführten Fütterungsversuch wurden 28 Holstein-Kühe in zwei Gruppen (Versuch und Kontrolle) eingeteilt. Der Versuchsration wurden pro Kuh 170 g (1% der TM) des phytogenen Zusatzfutters beigefügt. Ergebnisse: Die Trockenmasse-Aufnahme beider Gruppen war gleich. Kühe aus der Trestergruppe produzierten jedoch täglich 3,6 kg mehr Milch und mehr Milchprotein. Der Leberfettgehalt (-40%) und Cholesterolgehalt (-21%) der Versuchsgruppe waren deutlich reduziert, damit bestand ein insgesamt geringeres Risiko der Ausbildung einer Fettleber. Die Werte des hormonellen Regulators FGF21 (-62%) waren reduziert. FGF21 agiert bei Entzündungen oder wenn sich der Stoffwechsel an einen Energiemangel anpassen muss. Das kann als Verminderung von Stress für die Leber angesehen werden (Übersicht 4).
Spezialfuttermittel
Erst seit Kurzem sind Nahrungsergänzungsmittel mit immunmodulatorischer Potenz verfügbar. Eine nachweislich sehr positive Wirkung verspricht der Einsatz von OmniGen AF (Übersicht 4). Das Spezialfutter verspricht eine antibakterielle Wirkung zu entfalten bzw. die Funktion der Leukozyten zu verstärken. Eine Studie, in der die Daten von 787 Milchkuhherden aus den USA und Kanada ausgewertet wurden, berichtet, dass sich auf 73% der Betriebe durch die Zufütterung von OmniGen AF der Zellgehalt verringerte. Es scheint, dass sich durch die Fütterung der Mikronährstoffe die Eutergesundheit verbessern lässt. Weitere Studien gelangen zu ähnlichen Ergebnissen (Übers. 5).
Die Wirksamkeit solcher Nahrungsergänzungsmittel mit immunmodulatorischer Potenz (u.a. OmniGen AF, Vi-COR , NutriTek, DiaMune Se) beruht auf ihrer epigenetischen Wirkung. Vereinfacht ausgedrückt verändern diese Futtermittel die Genfunktion, indem sie die Informationsweitergabe der in der Zelle abgespeicherten Informationen an ihre Tochterzellen unterbinden.
Impfen gegen Mastitis
Dem Überschießen von Entzündungsreaktionen lässt sich mithilfe von nichtsteroidalen Entzündungshemmern (NSAIDs) begegnen. Unter NSAID wird eine ganze Gruppe von Wirkstoffen zusammengefasst, die alle gegen Entzündung, Fieber und Schmerzen wirken. Die Therapie mit einem lang wirksamen Entzündungshemmer (z.B. Meloxicam, Dinalgen, Romefen, Rifen) kann den Heilungserfolg unterstützen.
Daneben gibt es aber noch einige weitere Hilfsmittel, mit deren Hilfe sich das Immunsystem der Frischkalber stärken lässt. Seit Kurzem ist ein Präparat mit dem Wirkstoff Pegbovigrastim verfügbar (Imrestor). Dieser soll die Zahl der Neutrophilen Granulozyten (Immunzellen) um ein Vielfaches erhöhen, das Immunsystem in die Lage versetzen, sofort und intensiver auf eindringende Erreger reagieren zu können (Übersicht 3). Im Idealfall wird der Wirkstoff sieben Tage vor der Abkalbung und innerhalb 24 Stunden nach der Geburt subkutan injiziert (keine Wartezeit). In Zulassungsstudien ist eine Reduzierung der Mastitisrate um 28% in den ersten 30 Tagen nach der Abkalbung erreicht worden. Aus einer vor Kurzem publizierten Studie (17 Milchfarmen mit Holstein-Kühen in Mexiko) geht hervor, dass bei den rund 5.000 Kühen der Versuchsgruppe (Imrestor) die Mastitis-Inzidenz in den ersten 30 Laktationstagen um 25% gesenkt werden konnte. Des Weiteren konnte die Häufigkeit von Nachgeburtsverhalten um 4,1% verringert werden (der Unterschied zur Kontrollgruppe war jedoch nicht signifikant!). Allerdings traten in den ersten 21 Tagen nach der Abkalbung in der Versuchsgruppe 17,6% mehr Metritiden als in der Kontrollgruppe auf. Positive Effekte konnten hingegen in der Steigerung der Milchleistung gesehen werden.
Fazit
Die Grenzen zwischen dem angeborenen und dem erworbe-nen Immunsystem der Milchkuh verlaufen fließend. Das Immunsystem ist eng verflochten mit anderen physiologischen Mechanismen (z.B. dem Energiestoffwechsel). Die Immunantwort ist tier-, zelltyp- und erregerabhängig.
Aber auch wenn die exakten Mechanismen der Immunantwort bei Milchkühen noch weitgehend unklar sind, so ist doch bekannt, dass Kühe, deren Immunsystem nach der Kalbung nicht gleich in die Knie geht,
- in der Trockenperiode keinem Hitzestress ausgesetzt wurden;
- zur Kalbung nicht zu stark konditioniert (BCS ≤ 3,5) waren;
- in der Trockenperiode mit Antioxidantien versorgt wurden;
- die Kalzium-Konzentration im Serum bei rund 9 mg/dl lag;
- sich der BHBA- als auch NEFA-Gehalt in der Transitperiode bei max. 1,0 mmol einpendelte.G. Veauthier
- in der Trockenperiode keinem Hitzestress ausgesetzt wurden;
- zur Kalbung nicht zu stark konditioniert (BCS ≤ 3,5) waren;
- in der Trockenperiode mit Antioxidantien versorgt wurden;
- die Kalzium-Konzentration im Serum bei rund 9 mg/dl lag;
- sich der BHBA- als auch NEFA-Gehalt in der Transitperiode bei max. 1,0 mmol einpendelte.G. Veauthier