Die Umwelt als Kuh wahrnehmen

Das LBZ Echem in Niedersachsen hat eine Brille entwickelt, die den Stall aus Sicht einer Kuh erlebbar macht. Der Perspektivenwechsel soll dabei helfen, Kühe besser zu verstehen und ihr Umfeld ihren Bedürfnissen angemessen einzurichten.

Leiter des Projektes Kuhbrille" Benito Weise vom Landwirtschaftlichen Bildungszentrum hat zusammen mit weiteren Experten eine spezielle Brille entwickelt, mit der sich die visuelle Wahrnehmung einer Kuh als Mensch nachempfinden lässt. Ziel ist es, durch das Erfahren der sehr unterschiedlichen Wahrnehmungsweise ein besseres Verständnis für die Bedürfnisse von Rindern an ihre Umwelt zu schaffen. Mit einem solchen Verständnis soll es leichter sein, Stressfaktoren im Stall, Melkstand oder am Klauenpflegestand zu erkennen und durch entsprechende Korrekturen abzuschalten bzw. den Stress durch ein angemessen rücksichtsvolles Verhalten seitens des Menschen im Umgang mit Rind oder Kuh abzumildern.
Vorerst soll die Brille für die Aus-und Fortbildung eingesetzt werden, später soll sie dann etwa in Tierarztpraxen und größeren Betrieben für neue Perspektiven sorgen. Einen ersten Eindruck gewinnen Sie im Video des NDR unter folgendem Link: "Virtual Reality: Das Leben aus Sicht einer Kuh"

Trüber sehen, dafür mit 330 Grad Blickfeld

Die Sehkraft einer Kuh beträgt nur etwa 30 Prozent der eines Menschen, dafür liegt das Sichtfeld bei 330 Grad. Unterschiede zwischen Hell und Dunkel nehmen die Wiederkäuer dabei wesentlich extremer wahr, ihre Augen brauchen länger, um sich neuen Lichtverhältnissen anzupassen. All das führt dazu, dass die Tiere einige Situationen als Stress wahrnehmen, die für den Menschen völlig unproblematisch erscheinen.
Diese Erfahrung beschreibt auch Sarah Apelt, die die Brille testet: Das ist ein sehr unsicheres Gefühl, sagt sie. Etwa als ich gerade durch die Tür gegangen bin, war der Übergang von hell und dunkel im Kontrast sehr stark." Da müsse man erst einen Augenblick stehen bleiben und sich orientieren. Der Blick sei sehr ungewohnt. Zwar könne sie weit nach hinten gucken, aber der Rand sei stark verschwommen. Auf genau diesen Effekt zielt Benito Weise ab. Das prägt sich ein. Wir hoffen eben dadurch zu erreichen, dass bestimmte, sehr stressige Situationen vermieden werden können."

Mehr Zeit für Ungewohntes einplanen

Projektleiter Weise erklärt, dass sich aus den Untersuchungen vor allem Konsequenzen für das Zeitmanagement ergeben haben. Wenn ich Ungewöhnliches vorhabe mit den Kühen, was nicht zu ihrem Tagesprogramm gehört, muss ich einfach mehr Zeit für solche Sachen einplanen." Dadurch könne der Stress für die Tiere wesentlich gemindert werden.
Problematische Bereiche sind vor allem Klauenpflegestand und das Melkzentrum, dort sind Kühe entweder abgesondert von ihren Herdenmitgliedern oder diesen unnatürlich nah. Das bedeutet Stress. Ein zu lautes und schnelles Verhalten von Mensch und Technik kann diesen verstärken. Brillen-Testerin Apelt beschreibt ihren Weg als Kuh durch den Gruppenmelkstand wie folgt: Das sind einfach sehr viele Eindrücke auf einmal."
Fazit: Man muss Kühen mehr Zeit geben, ganz besonders, wenn sie Dinge neu kennenlernen. Heißt für den Menschen in entsprechenden Arbeitsprozessen mehr Zeit einzuplanen. Gewährt man Rindern und Kühen Zeit und Ruhe, um mit Neuem und vielen Eindrücken zurecht zukommen, kann dass Stress für die Tiere schon ganz erheblich mindern. Und damit im Umkehrschluss in der Regel auch für den Menschen, der mit den Tieren arbeitet.
Das entspricht den Grundsätzen des Low Stress Stockmanship. Mehr dazu finden Sie u.a. unter dem folgenden Link: "Low Stress Stockmanship zahlt sich aus"
Quelle: NDR


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