Wie nachhaltig ist die Milchproduktion?

Um dieser Frage im Raum Niedersachsen nachzugehen, hat die Landesvereinigung der Milchwirtschaft Niedersachsen e. V. (LVN) 2011 das Projekt „Nachhaltige Milcherzeugung in Niedersachsen“ gestartet und gemeinsam mit dem Thünen-Institut für Betriebswirtschaft und der Agentur Land und Markt eine Umfrage mit 750 Milcherzeuger durchgeführt. Montag wurden die Ergebnisse der Studie veröffentlicht.

Mitten im Stall-Stübchen über den Melkrobotern und den 135 Milchkühen der Familie Ina und Fred Arkenberg in Wunstorf (Bildergalerie unten) wurde gestern (06.10.) die Studie über den derzeitigen Stand der Nachhaltigkeit in der niedersächsischen Milcherzeugung veröffentlicht, die auf den Befragungsergebnissen von 750 Milchviehhaltern basiert. Sie ist die erste breit angelegte Analyse dieser Art und eine Reaktion auf das zunehmende Interesse der Verbraucher an einer ressourcenschonenden Produktion von Lebensmitteln. 
Die Ergebnisse wurden gemeinsam mit der Darstellung der verschiedenen Facetten von Nachhaltigkeit anschaulich in einer Broschüre zusammengefasst. Diese wird in den nächsten Wochen an die niedersächsischen Milcherzeuger verschickt und soll künftig auch an Verbraucher gerichtet sein.
„Wir möchten vermitteln, dass eine am Prinzip der Nachhaltigkeit orientierte Milcherzeugung viel mehr als nur Umweltfreundlichkeit bedeutet“, erklärt Jan Heusmann, Vorsitzender der LVN und selbst Milcherzeuger. „Es geht darum, ökologische, tierethische, soziale und auch ökonomische Aspekte möglichst gleichermaßen zu berücksichtigten. Für die Landwirtsfamilien ist das durchaus ein Nachhaltigkeitsspagat.“

Bestandsaufnahme in der Praxis

Um Antworten auf die Frage zu finden, wie nachhaltig eigentlich die Milchproduktion in Nord-West-Deutschland ist, musste zunächst der Stand der Dinge ermittelt werden.

Dafür wurde von einer Arbeitsgruppe ein 18-seitiger Fragebogen entwickelt, der über 50 Indikatoren zu den vier Nachhaltigkeits-Faktoren Ökologie, Tierethik, Ökonomie und Soziales behandelte (Übersicht 1). Verteilt wurde er an alle Milcherzeugerbetriebe, deren QM-Milch-Status in 2013 ermittelt wurde. Insgesamt haben 750 Produzenten teilgenommen (6,6 % aller in Niedersachsen gemeldeten Milchviehhaltungen). Durch die Vorgehensweise sollte weitgehend sichergestellt werden, dass sich bezüglich Standort und Betriebsgröße eine möglichst repräsentative Stichprobe für die insgesamt über 10.000 Milcherzeugerbetriebe in Niedersachsen aus den Teilnehmer ergab.
Es gibt nicht „den“ Milchviehbetrieb
Das sich Nachhaltigkeit nicht für alle Betriebe verallgemeinern lässt, war schnell klar und wurde durch die Ergebnisse der Umfrage bestätigt. Es wurde deutlich, dass es „den“ klassischen niedersächsischen Milchviehbetrieb nicht gibt. Die Ergebnisse variierten zwischen den Betrieben teilweise deutlich und zeigten neben den Leistungen auch das Verbesserungspotential der Betriebe auf.
Frau Prof. Dr. Hiltrud Nieberg vom Thünen-Institut fasste es als einen dynamischen Prozess zusammen, in dem sich die Betriebe bereits befänden. Viele der berücksichtigten Aspekte der Nachhaltigkeit würden auf den befragten Milchviehbetrieben schon in unterschiedlichen Maßen umgesetzt, manche müssen erst noch anerkannt werden. Alles in allem müssen die Betriebe sensibilisiert werden und sich langsam bezüglich der Nachhaltigkeit weiterentwickeln.

Ergebnisse zeigen Verbesserungspotential auf

Beispiele dafür, dass bereits die meisten Nachhaltigkeit in ihrem Betrieb berücksichtigen, zeigen etwa die Ergebnisse bezüglich der Erzeugung und Nutzung regenerativer Energien oder bezüglich der Haltungsform der Kühe. Von den an der Befragung beteiligten Betrieben erzeugt fast jeder Zweite (46 %) regenerative Energien. Andere beteiligen sich an externen Anlagen (Übersicht 2).
2 Fast jeder Milchviehbetrieb erzeugt regenerative Energien oder beteiligt sich an der Erzeugung.

2 Fast jeder Milchviehbetrieb erzeugt regenerative Energien oder beteiligt sich an der Erzeugung. Quelle: Bericht „Status-quo-Analyse ausgewählter Nachhaltigkeitsaspekte der Milcherzeugung in Niedersachsen“, Thünen-Institut, 2014 (Bildquelle: Elite Magazin)

Nahe zu Standard ist laut der Befragung die Haltung der melkenden Kühe in Boxenlaufställen (91 %). Das allein ist noch nicht unbedingt nachhaltig. Hier gilt es die Bedingungen im Stall optimal auszugestalten: Belegung, Art und Zustand der Liegeboxen und Bodengestaltung – Stichwort Kuhkomfort. Bei der Frage nach der Art der Liegeboxe stellte sich heraus, dass vor allem Betriebe mit mehr als 60 Kühen die, bei richtiger Pflege, für den Liegekomfort der Kühe vorteilhafteren Tiefboxen nutzen. Bei den Betrieben mit weniger als 60 Kühen dominieren hingegen die weniger arbeitsintensiven Hochboxen (Übersicht 3).
3 Art der Boxen in den Boxenlaufställen der befragten Betriebe, differenziert nach Herdengrößen (n = 728 Stallgebäude).

3 Art der Boxen in den Boxenlaufställen der befragten Betriebe, differenziert nach Herdengrößen (n = 728 Stallgebäude). Quelle: Bericht „Status-quo-Analyse ausgewählter Nachhaltigkeitsaspekte der Milcherzeugung in Niedersachsen“, Thünen-Institut, 2014 (Bildquelle: Elite Magazin)

Positiv aber noch mit Verbesserungspotential bewertet wurde auch das Ergebnis, dass 77 % der Betriebe regelmäßige Klauenpflege (zweimal pro Jahr) durchführen, die restlichen 23 % erklärten dass sie diese nur bei Bedarf durchführten. Die Lebenstagsleistung der abgegangenen Kühe lag in den befragten Betrieben im Durchschnitt bei 14 kg. Etwa in einem Viertel der Betriebe erreichten die Abgangskühe mehr als die angestrebten 15 kg Milch pro Lebenstag, 40 % der Betriebe lagen hier unter 13 kg – also auch hier besteht noch Verbesserungspotenzial im Sinne einer effektiven Nutzung.
Als Beispiel für einen Bereich in dem noch ein erhebliches Verbesserungspotential besteht, wurde die Art der Gülleausbringung genannt. Hier nutzen 86 % der befragten Betriebe noch bodenferne Verfahren auf 65 % der Acker- und 73 % der Grünlandflächen. Die emissions- und damit verlustärmeren bodennahen bzw. Injektions-Verfahren werden dagegen nur von 39 % bzw. 9 % genutzt.
Alle Ergebnisse der Studie und detaillierte Erläuterungen finden Sie in dem Bericht „Status-quo-Analyseausgewählter Nachhaltigkeitsaspekte der Milcherzeugung in Niedersachsen“ vom Thünen-Institut. 

Zukunftseinschätzung – 50 % sagen ja

Als Antwort auf die Frage, wer in 10 Jahren noch Milch produzieren wird, kam heraus, dass insgesamt die Hälfte aller Befragten sich auch zukünftig als festen Bestandteil der niedersächsischen Milcherzeugung sieht. In der gesonderten Auswertung der derzeitigen Betriebe mit Anbindehaltung sagten hingegen nur 16 % auf jeden Fall Ja und 31 % klar Nein (Übersicht 4).
4 Einschätzung der befragten Betriebsleiter, ob sie in 10 Jahren noch Milch in ihrem Betrieb produzieren (n = 735, Anteil der Betriebe)

4 Einschätzung der befragten Betriebsleiter, ob sie in 10 Jahren noch Milch in ihrem Betrieb produzieren (n = 735, Anteil der Betriebe). Quelle: Bericht „Status-quo-Analyse ausgewählter Nachhaltigkeitsaspekte der Milcherzeugung in Niedersachsen“, Thünen-Institut, 2014 (Bildquelle: Elite Magazin)

Diskussionsstoff und Zieldefinitionen
Die Ergebnisse der Befragung haben einen ersten Überblick geschaffen und bieten nun reichlich Diskussionsmaterial. Die Arbeitsgruppe wird nun versuchen Zielwerte und -größen zu bestimmten Aspekten der Nachhaltigkeit zu definieren und zu formulieren. Auch muss überlegt werden, wie weiter mit dem Thema umgegangen werden soll und wie Lösungsansätze in die Praxis etabliert werden können.
Um auch über Niedersachsen hinaus für das Thema zu sensibilisieren, soll der Fragebogen  bald auch in anderen Bundesländern, wie Schleswig-Holstein und Bayern, sowie durch einzelne Molkereien eingesetzt werden.