Trockensteller in der öffentlichen Kritik

Die Forderung nach Reduktion und Kontrolle der beim Milchvieh eingesetzten Antibiotika wird laut. Nicht die Wartezeit auf Milch sondern das Resistenzrisiko für den Menschen soll die Wahl des Medikaments bestimmen.

Pressemitteilung von Germanwatch und der Gesellschaft für Ganzheitliche Tiermedizin (GGTM) berichtet die Tagesschau über den Einsatz von Antibiotika im Kuhstall und warnt vor dem davon ausgehenden Risiko für den Menschen: Nach Geflügel- und Schweinemästern geraten jetzt auch Milchviehhalter in den Fokus. Germanwatch fordert, Milchkühe deutlich seltener mit Antibiotika zu behandeln als bisher üblich. Der Bericht der Organisation Reserveantibiotika in der Milcherzeugung in Deutschland wurde wenige Tage vor Beginn der Internationalen Grünen Woche" in Berlin vorgestellt.
Antibiotisches Trockenstellen in der Kritik
Rund 80 Prozent der Milchkühe in Deutschland erhalten Antibiotika vor der Geburt des jeweils nächsten Kalbes, jede zehnte Behandlung erfolgt mit sogenannten Reserveantibiotika. Diese Größenordnung – sie ergibt sich aus Zahlen des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) – ist nach Einschätzung von Germanwatch besorgniserregend. Ein steigender Einsatz von Reserveantibiotika im Kuhstall erhöht die Gefahr, dass sich bei Kühen gegen diese “letzten Mittel” resistente Keime entwickeln, die dann auch auf Menschen übertragen werden können. Bereits heute sterben in Deutschland mehr als 15.000 Menschen pro Jahr, weil Antibiotika bei ihnen nicht mehr wirken.
“Kühe erhalten in Deutschland nach unserer Recherche 1,5 bis 3,3 Mal pro Jahr Antibiotika. Das sind besorgniserregende Werte, die wachrütteln sollten”, sagt Reinhild Benning, Agrarexpertin von Germanwatch. Bauern und Tierärzte bestätigen die Berichte über einen steigenden Einsatz von Reserveantibiotika im Milchviehsektor.
Wartezeit auf Milch soll die Wahl des Antibiotikums nicht beeinflussen
Benning fordert deshalb mehr Anstrengungen, um auch in Milchviehhaltungen den Einsatz von Reserveantibiotika zu senken. Sie weist darauf hin, dass der Einsatz dieser besonders wichtigen Medikamente auch ökonomischen Vorteile haben kann. Denn die eingesetzten Reserveantibiotika werden schneller abgebaut. Die Milch darf also trotz Medikamenteneinsatz früher wieder verkauft werden. Bei anderen Antibiotika sind längere Wartezeiten vorgeschrieben, um Rückstände in der Milch zu verhindern. Der Deutsche Bauernverband geht auf Nachfrage des NDR davon aus, dass Antibiotika - auch Reserveantibiotika - nur dann eingesetzt würden, wenn es für die Gesundheit der Tiere notwendig ist. Eine geringere Wartezeit bis zum möglichen Milchverkauf sei aus Verbandssicht kein hinreichender Grund.
Reduktion des Antibiotikaeinsatzes durch Nachhaltigkeit und Prävention
Trockensteller

Foto: Vet-Consult (Bildquelle: Elite Magazin)

Dr. Andreas Striezel, Nutztierexperte der GGTM, kritisiert: “Das Bundeslandwirtschaftsministerium hat seit Monaten versäumt, wirkungsvolle Maßnahmen gegen den zu hohen und zum Teil steigenden Einsatz von Reserveantibiotika zu ergreifen.” Das bisherige Erfassungssystem in der Antibiotika-Datenbank sei nicht ausreichend, da die Meldungen über Antibiotikaeinsätze unvollständig seien und Milchkühe sowie viele andere Tiergruppen nicht erfasst würden. Striezel fordert neben einer verbesserten Antibiotikaerfassung auch wirksame Kontrollen der Tiergesundheit, damit die Einschränkung von Antibiotika nicht zu Lasten der Lebensqualität der Tiere gehe. “Nur fünf Prozent der Tierarztpraxen verschreiben 80 Prozent der Antibiotika. Wer Antibiotikabehandlungen reduzieren möchte, muss einen Wettbewerb schaffen unter Tierärzten um nachhaltige und präventive Konzepte zur Gesunderhaltung von Kühen und allen anderen Tieren“, so Striezel.
Verpflichtende Antibiogramme und Preisgestaltung auf dem Prüfstand
Das Bundeslandwirtschaftsministerium erklärt gegenüber dem NDR, dass antibiotische Wirkstoffe bei Tieren soweit wie möglich reduziert“ werden sollten. Agrarminister Christian Schmidt (CSU) plant, die Anwendung von Reserveantibiotika restriktiver" zu gestalten. Ein Eckpunktepapier hierzu“ liege derzeit beteiligten Kreisen" zur Stellungnahme vor. Tierärzte sollen demnach zum Beispiel verpflichtet werden, in bestimmten Fällen ein sogenanntes Antibiogramm zu erstellen, also zu testen gegen welche Antibiotika die Erreger resistent sind.
Außerdem prüft das Ministerium, ob eine neue Regelung für Medikamentenrabatte sinnvoll sei. In Bezug auf die Preisgestaltung" würden deshalb Vorbereitungen" für ein fachliches Gutachten getroffen. In der Vergangenheit wurde oft kritisiert, dass Pharmaunternehmen Tierärzten bei der Abgabe großer Mengen Antibiotika Rabatte gewähren und dadurch den Einsatz fördern.
Moderne Ställe könnten Erkrankungen verhindern
Auf Anfrage des NDR sieht der Fachtierarzt für Milchhygiene und Epidemiologie der Hochschule Hannover, Volker Krömker, durchaus „Einsparpotential“ beim Antibiotikaeinsatz in der Milchviehhaltung. In den Wochen vor der Kälbergeburt sollen nicht immer automatisch alle Kühe mit Antibiotika behandelt werden. Es sollten geschickt" nur die Kühe ausgewählt werden, bei denen eine Antibiotikatherapie wirklich sinnvoll sei, so Krömker.
Der effektivste Weg sei aber natürlich, Neuerkrankungen von Milchkühen zu verhindern, so der Veterinärmediziner, durch verbesserte Haltungsbedingungen in modernen Ställen. Doch die dafür nötigen Investitionen sind nach Ansicht des Experten durch die niedrigen Milchpreise wieder weiter in die Ferne" gerückt.
Quellen: www.tagesschau.de, Gesellschaft für Ganzheitliche Tiermedizin (GGTM), Germanwatch