EU-Kommission: "Wir haben die Milchkrise unterschätzt!"

Die Europäische Kommission hat die Milchmarktkrise unterschätzt. Das hat der Vizegeneraldirektor in der Generaldirektion für Landwirtschaft, Joost Korte, bei einer Anhörung in Brüssel eingeräumt. Derweil ist im EU-Parlament ein Streit darüber entbrannt, ob die EU wieder Milchquoten einführen soll.

Die Behörde habe einen Preisverfall auf den europäischen Agrarmärkten in diesem Ausmaß nicht erwartet, führte Korte auf einer Anhörung des Landwirtschaftsausschusses des Europaparlaments unter dem Titel „Neue außergewöhnliche Marktmaßnahmen zur Begrenzung der Milchproduktion“ kürzlich aus. In dem Zusammenhang stellte der EU-Bürokrat auch klar, dass die Milchwirtschaft in der EU nicht nur das einhellig begrüßte Ende der Quote zu verkraften habe, sondern auch das Importverbot Russlands, auf das zuvor ein Viertel der EU-Milchexporte entfallen sei. Gleichzeitig erklärte er, dass die europäische Landwirtschaft den größten Anteil am aktuellen Milchüberangebot auf dem Weltmarkt habe.

EU-Parlamentarier uneins über Wiedereinführung der Milchquote

Die Mehrheit der Europaabgeordneten äußerte indess Zweifel daran, dass der von der EU-Kommission eingeschlagene Kurs den Abwärtstrend bei den Milchpreisen stoppen kann. Brüssel müsse schnell weitere und grundlegendere Maßnahmen einleiten, um die Milchproduktion zu deckeln, so die wesentliche Forderung in der Brüsseler Plenardebatte. Es gelte, den Milchpreis wieder auf ein für die Landwirte überlebensfähiges Niveau zu bringen. Beklagt wurde auch die Marktmacht des Handels und dessen Einschränkung gefordert. Einhellig betont wurde, dass die Milchkrise ein europäisches Problem sei und europäische Lösungen erfordere. Während einige Abgeordnete betonten, an der Marktorientierung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) festzuhalten, die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe,  durch Innovationen und besseres Management zu erhöhen, bedauerten andere das Ende der Milchquote. Einige Parlamentarier können sich denn auch mit einer Wiedereinführung einer Mengenbegrenzung anfreunden.

Befristete Erzeugerquoten?

So vertrat u.a. der Vizevorsitzende der Arbeitsgruppe für Milch und Milchprodukte beim EU-Ausschuss ländliche Genossenschaften (COGECA), Tommaso Mario Abrate, die Auffassung, dass die Quote den Bauern in der Vergangenheit „sehr geholfen“ habe. Zur Bewältigung der aktuellen Krise könnte es sinnvoll sein, wenn etwa Genossenschaften zeitlich befristet „Erzeugerquoten“ aufstellten, so der Italiener. Auch Isabel Vilalba von der Europäischen Koordination Via Campesina (ECVC) forderte dagegen eine verpflichtende Mengenreduzierung, bei der es aber gleichfalls einen finanziellen Ausgleich für die Erzeuger geben müsse. Der belgische Sozialdemokrat Marc Tarabella sieht ebenfalls in einem „Zurück zur Quote“ die „einzig gangbare Lösung“. Der Agrarsprecher der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer, der Nordire James Nicholson, nannte die anhaltende Ausweitung der Milchproduktion Europa „beängstigend“. Er plädierte dafür, die Milchmarkbeobachtungstelle zu stärken, um schneller auf dramatische Entwicklungen reagieren zu könne. Um die Überproduktion in den Griff zu bekommen, sei es im Hinblick auf die geplanten und derzeit verhandelten Freihandelsabkommen geboten, ein „Moratorium“ zu verhängen, sagte Nicholson.
Der agrarpolitische Sprecher der Grünen/EFA-Fraktion im Europaparlament, Martin Häusling, betonte ebenfalls die Notwendigkeit eines EU-weit einheitlichen Vorgehens, um die Michmenge zu reduzieren. „Das wollen sie vermeiden“, warf er Hogan vor und nannte die immer wieder ins Gespräch gebrachten Hilfsprogramme auf Kreditbasis wenig hilfreich. Die Bauern bräuchten nicht neue Verbindlichkeiten, und ohnehin gäben ihnen viele Banken schon heute keine Kredite mehr. „Wir brauchen eine radikale Kehrtwende in der Milchpolitik“, so Häusling. Nicht nur in dem der Landwirtschaft nachgelagerten Bereich des Handels, sondern auch im vorgelagerten herrschten wettbewerbsrechtlich bedenkliche Zustände. Statt mit Dumpingpreisen den Weltmarkt zu fluten, sollte sich die Milchwirtschaft auf den europäischen Markt konzentrieren und auf Qualitätsprodukte setzen. „Ohne Lösung beißen nicht nur die Kühe, sondern auch die Bauern ins Gras“, sagte der Grünen-Politiker.
Die SPD-Europaabgeordnete Maria Noichl hält „einen strukturellen Wandel des Milchmarktes“ für erforderlich. Es sei ein Fehler gewesen, das Ende der Milchquote mit keinen zusätzlichen Marktregeln zu begleiten, ohne flankierende Maßnahmen zu beschließen. Noichl warnte, ohne eine Reduzierung der Milchmenge werde sich der Strukturwandel nicht aufhalten lassen. Die Reduzierung müsse jedoch auf EU-Ebene koordiniert werden, forderte die SPD-Politikerin.
Der CDU-Europaabgeordnete Dr. Peter Jahr äußerte ebenfalls die Ansicht, dass dringend ein Ansatz für die Mengenreduzierung im Milchsektor entwickelt werden müsse. Einen langen Diskussionsprozess könne sich die Gemeinschaft nicht mehr erlauben. Gerade in den Mitgliedstaaten, die für die Überproduktion verantwortlich seien, wie unter anderem Irland, die Niederlande, Dänemark, Deutschland und Frankreich, seien alle Akteure - Erzeuger, Molkereien sowie die Lieferketten - gleichermaßen aufgefordert, besser zusammenzuarbeiten, um den existenzbedrohenden Preisverfall entgegenzuwirken. Wir haben keine Zeit, um auf eine verpflichtende europäische Lösung, die der Zustimmung aller Mitgliedstaaten bedarf, aus Brüssel zu warten“, erklärte Jahr.

Generaldirektion Landwirtschaft und Bauernverbände pochen auf freien Markt

Derweil betonte Prof. Hans Hoogeveen, der Generaldirektor für Landwirtschaft im niederländischen Wirtschaftsministerium und derzeit auch Repräsentant der bis Ende Juni laufenden EU-Ratspräsidentschaft, dass die Krise kein Grund dafür sein dürfe, die Marktorientierung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) aufzugeben und etwa wieder zu einer Quotenregelung zurückzukehren. Immer noch geprüft werde, ob die Förderung von Exportkrediten ein geeignetes und auch im Blick auf die Grundsätze der Welthandelsorganisation (WTO) erlaubtes Instrument sein könnte. Kritisch gegenüber Forderungen nach einer neuen Marktregulierung oder einem Zurück zum Quotensystem zeigte sich auch Mansel Raymond, der Vorsitzende für Milch und Milchprodukte beim EU-Ausschuss der Bauernverbände (COPA). Der Walliser warnte, dies würde vor allem für junge Landwirte „sehr teuer“ werden. Ähnlich sieht es auch Agrarkommissar Hogan. Ein Rückgang zu einem Quotensystem sei im Rahmen der bestehenden GAP nicht möglich.
Quelle: AgE