Das Ende der Quote – der richtige Schritt in die Zukunft?

Das Rad, das nach dem Auslaufen der Milchquote gedreht werden muss, um das gleiche Unternehmensergebnis wie bisher zu erzielen, wird deutlich größer sein müssen. Zu dieser Einschätzung kamen vier Vertreter aus Wissenschaft, Molkerei und Kreditinstituten in Alsfeld in dieser Woche, die auf Einladung zweier AK Unternehmensführung referierten.

Das Quotenende nicht überschätzen

Gleich zu Beginn warnte Prof. Dr. Ludwig Theuvsen (Universität Göttingen), ein ausgewiesener Milchmarktexperte, der in den vergangenen Jahren des Öfteren die EU-Kommission beraten hatte, das historische Ereignis (Auslaufen der Quotenregelung am 31. März) zu überschätzen. Schließlich seien Milcherzeuger bereits seit Jahren faktisch schon an das Agieren in einem quotenfreien System adaptiert. Die wesentlich den Markt prägenden Faktoren seien schließlich bekannt, sie werden sich nach dem Ende des Milchquotensystems kaum verändern.
Allerdings, so prognostizierte der Experte, werde die Handelsmenge an Milch zunehmen. Aktuell wird etwa sieben bis neun Prozent des weltweiten Milchaufkommens gehandelt, künftig dürfte sich der Anteil (deutlich) erhöhen, weshalb sich die Märkte auch noch etwas volatiler präsentieren dürften. Hintergrund ist, dass bald 70 Prozent aller Asiaten in Großstädten leben werden, dadurch verändere sich das Ernährungsverhalten der Menschen von Grund auf.
Theuvsen warnte ausdrücklich vor einer Nachfolgeregelung des Milchquotensystems bzw. einer Regulierung durch die Hintertür (Beispiel Marktverantwortungsprogramm). Ohne die Abkopplung der EU vom Weltmilchmarkt sei dies bei einem Exportanteil von zehn Prozent (rund 1/3 der Milchmenge kommt allein aus Deutschland) wären derartige Programme nicht möglich. Das würde im Umkehrschluss bedeuten, dass zehn Prozent weniger Milch gemolken werden müssen („einfach unvorstellbar!“).
Für Europa prognostizierte der Göttinger Wissenschaftler eine weitere Wanderung der Milchproduktion in Richtung Gunstgebiete. Dennoch müsse dies nicht zwangsläufig zu einem „Ausbluten“ ganzer Standorte führen, denn die Flächenbindung der Milchproduktion lasse in einigen Regionen kaum noch einen Strukturwandel zu. Aber dennoch empfiehlt Theuvsen Milcherzeugern außerhalb von Gunststandorten, nach Lösungen zu suchen.
Wesentlich entscheidender als bislang werden das Liquiditätsmanagement und Risikomanagement im Unternehmen. Theuvsen rief die Milcherzeuger dazu auf, hier aktiver zu werden. So könnten Erzeugergemeinschaften beispielsweise einen Spezialisten einstellen, der einen Teil der Milch an den Börsen absichert. Denkbar wäre hier eine Umlage von 0,05 Cent pro Liter. Es könne nicht sein, dass das Risiko zu 100 Prozent bei den Erzeugern liege. Er empfahl den Produzenten, die Milchverarbeiter stärker in die Pflicht zu nehmen.

Am Wachstum führt kein Weg vorbei

Auf die Kehrseite des Milchquotensystems verwies Dr. Rüdiger Fuhrmann von der Nord LB. Laut dem Finanzfachmann sind seit der Einführung der Milchmengenregelung 1984 der Milchbranche rund 1,8 Mrd. Euro nur über die Quotenbörse entzogen worden. In etwa der gleiche Betrag dürfte nochmals „inoffiziell“ zu den Sofamelkern gewandert sein. „Mindestens drei Milliarden Euro fehlten und fehlten dadurch für Investitionen.“
Aber nicht nur wegen des absehbaren Versiegens des Kapitalabflusses werde von den Banken das Quotenende begrüßt, auch die Besicherung größerer Investitionsvorhaben falle den Kreditinstituten künftig leichter. „Wenn ein Unternehmer seine Milchquote über Nacht verkauft hat, verlor die Stallanlage plötzlich enorm an Wert“, so Fuhrmann. Das werde sich jetzt ändern.
Gleichzeitig warnte der Banker aber auch vor überzogener Euphorie. Milch sei immer noch ein Luxusgut. Im Fall einer weltweiten Rezession sei zu befürchten, dass der Milchverbrauch drastisch sinken werde, da die Ernährungsindustrie sofort auf Milch-Alternativen zurückgreifen werden (z.B. Analogkäse statt Käse auf Pizza, Pflanzenfett statt Butter im Speiseeis). Das habe der Crash in 2009 gezeigt.
Die Milcherzeuger rief Fuhrmann auf, nicht die Kostenseite aus den Augen zu verlieren und die Möglichkeiten der Betriebsentwicklung realistisch einzuschätzen. In den letzten Jahren hätten sich die wichtigsten Produktionsfaktoren (u.a. Boden) schließlich deutlich verteuert. So hat in Hessen der Pachtzins bei Neuverpachtungen seit 2007 um satte 29 Prozent zugelegt. Im Gegenzug würden Kompensationsleistungen (Prämien) sinken.
Fuhrmann empfiehlt Milcherzeugern bis zu 1.200 Euro Umsatzdifferenzen pro Kuh und Jahr in den Kalkulationen einzupreisen. Die Kostenführerschaft alleine werde langfristig keine Wettbewerbsfähig mehr garantieren; entscheidend sei die Erhaltung der Liquidität auch in wirtschaftlich schlechten Zeiten (Vorplanung für drei Jahre, worst-case-Szenario).
Aber dennoch führt laut Fuhrmann am betrieblichen Wachstum kein Weg vorbei. Für Milcherzeuger bedeute diese Entwicklung jedoch eine große Umstellung, vom praktischen Handwerker hin zum Unternehmer (Controller). Diejenigen, die sich diesem Schritt verschließen bzw. diese Entwicklung ablehnen, werden die ersten sein, die aus der Produktion aussteigen werden, schätzt der Leiter des Agrar-Bankings der Nord LB.

Von der Herden- zur Personalführung

Den Wandel des Berufsfeldes Milcherzeuger stellte auch von der Deutschen Kreditbank AG (DKB), Berlin, in den Fokus seiner Ausführungen. „Wer 100 Kühe melkt, muss sich mit den Tieren auskennen, wer 500 Kühe melkt, muss mit Menschen können“, so Schünemann.
Das Wachstum in derartige Herdengrößen sei nach dem Auslaufen der Quotenregelung und unter den gegenwärtigen wirtschaftlichen Bedingungen grundsätzlich theoretisch künftig zwar einfacher möglich, praktisch nicht aber immer realisierbar. Voraussetzung für eine Finanzierung seien neben dem Eigenkapitalanteil (möglichst 55 Prozent) noch weitere Punkte:
  • Flächenausstattung / langfristige Pachtverträge
  • Unternehmerische Expertise der nachfolgenden Generation (Leistungserfahrung)
  • Top-Herdenmanagement

  • Flächenausstattung / langfristige Pachtverträge
  • Unternehmerische Expertise der nachfolgenden Generation (Leistungserfahrung)
  • Top-Herdenmanagement

Wer hier mit gute Zahlen und Argumenten überzeugen kann, dem werden auch die benötigten Kredite seitens der Finanzinstitute zugeteilt. Selbst größere Investitionsvorhaben (bis zu 500 Kühe; 3,5 Mio. €) seinen von solchen Unternehmen zu stemmen.

Das Ende der Quote schon vorweg genommen

Wie sich ein modernes Molkereiunternehmen auf die Zeit ab April 2015  einstellt, erläuterte Helmut Stuck von dem Hochwald Food.
Für die Zukunft sieht Stuck sein Unternehmen bestens aufgestellt, bedingt durch die Diversifizierung in der Produktion (sechs unterschiedliche Warengruppen) und den hohen Exportanteil von knapp 40 Prozent, sei Hochwald in der Lage, einen überdurchschnittlichen Milchpreis (+1,0 ct in 2014) auszuzahlen.
Aber dennoch warnte der Molkereimanager vor überzogenen Erwartungen. Stuck verwies darauf, dass der sinkende Ölpreis in vielen Ländern außerhalb der EU die Kaufkraft verringere. „In Ländern, in denen 50 bis 80 Prozent des Haushaltseinkommens nur für Lebensmittel ausgebracht werden, könnten die fallenden Notierungen auf dem Rohölmarkt zu einer Substitution von Milchprodukten führen. Sein Unternehmen denke deshalb auch – im Gegensatz zu vielen anderen Molkereigenossenschaften – verstärkt vom Markt her und nicht mehr vom Rohstoff. Derzeit verarbeitet Hochwald 2,3 Mrd. Liter Milch (vertraglich gebunden). Man sei durchaus auch in der Lage, auch weitere Milchmengen aufzunehmen und zu veredeln – wie viel Milch konkret,  werde letztlich von den Absatzmöglichkeiten bestimmt.
Stuck rechnet nicht mehr mit einem größeren Anstieg der Rohstoffmenge. Viele Produzenten hätten das Ende der Quotenregelung bereits vorweggenommen. Am Niederrhein haben beispielsweise Milchmengen in 2014, um rund zehn Prozent zugelegt. In der Eifel lag die Steigerung bei fünf Prozent. In Hessen sei – trotz der hohen Auszahlungspreise in 2014 – hingegen eine Stagnation des Milchaufkommens zu beobachten.
Milcherzeugern riet Stuck, sich stärker als bisher auf schwankende Milchpreise einzustellen. Um die Erzeugern vor allzu drastischen Preisschwankungen zu bewahren, will Hochwald im Frühjahr sich gemeinsam die eignen Erzeugern mit dem Thema Absicherung an den Rohstoffbörsen vertraut machen. Hier bestehe noch viel Aufklärungsbedarf. „Hätte ich im letzten Jahr eine Preisabsicherung auf 38 Cent angeboten, hätten mich alle für verrückt erklärt“, so Stuck, „heute wäre so manch einer froh, er hätte solch einen Kontrakt.“

Fazit: Profis gesucht

Die Anforderungen an den Unternehmer werden sich wandeln. Ein zukunftsorientierter Milcherzeuger wird künftig weniger als Arbeitskraft im Produktionsprozess und mehr als Controller und Optimierer tätig sein müssen.
Von der Neuausrichtung des Milchmarktes nach dem Auslaufen des Quotensystems werden voraussichtlich vor allem die leistungsstarken und (finanziell) gut aufgestellten Unternehmen profitieren. Sie werden in der Lage sein zu wachsen und auch künftig Skaleneffekte zu nutzen.