Sönke Holling bildet jedes Jahr einen Herdsman aus, obwohl dieser den Betrieb nach Ablauf der Trainee-Zeit wieder verlässt. Ein äußerst durchdachtes Konzept!
Malte Hagenah klettert durch den Personenschlupf im Fressgitter auf den Laufgang und läuft zielgerichtet auf den kleinen Bretterverschlag am Rande des Kuhstalls zu. Er öffnet die Tür, greift sich einen Strick, steckt das Fieberthermometer in die Tasche und reicht die Dose mit dem Markierungsspray an Helena Buschsieweke weiter....
Sönke Holling bildet jedes Jahr einen Herdsman aus, obwohl dieser den Betrieb nach Ablauf der Trainee-Zeit wieder verlässt. Ein äußerst durchdachtes Konzept!
Malte Hagenah klettert durch den Personenschlupf im Fressgitter auf den Laufgang und läuft zielgerichtet auf den kleinen Bretterverschlag am Rande des Kuhstalls zu. Er öffnet die Tür, greift sich einen Strick, steckt das Fieberthermometer in die Tasche und reicht die Dose mit dem Markierungsspray an Helena Buschsieweke weiter. Auf dem Klemmbrett steckt die Liste mit den Kühen, welche die beiden in der Gruppe kontrollieren wollen. Nummer 301 liegt in der Liegebox, Nummer 56 ist nicht so begeistert. Gemeinsam treiben die beiden die Schwarzbunte in die Box und binden den Strick hinten um die Boxenbügel, um sie zu fixieren. Malte erklärt noch einmal, worauf es bei der Kontrolle ankommt. Betriebsleiter Sönke Holling läuft über den Futtertisch und macht auf Höhe der beiden kurz Halt.
Helena ist Auszubildende im dritten Lehrjahr auf dem Hof Holling. Malte hingegen hat die Ausbildung bereits hinter sich. Doch auch er arbeitet nur ein Jahr auf dem Betrieb – als Herdsman-Trainee. „Als Betriebsleiter mit 300 Kühen brauche ich einen leitenden Angestellten an meiner Seite“, ist Sönke Holling überzeugt. „Aus dem Ausbildungssystem gibt es zu wenig Führungskräfte, es fehlen Kenntnisse zu Kommunikation und Mitarbeiterführung. Da habe ich entschieden, mir meine Fachkräfte selber auszubilden.“ Der mittelgroße Mann mit den kurz geschorenen Haaren und dem Dreitagebart mag Menschen, das spürt man. Offen blickt er in die Runde und unterstreicht seine Aussagen mit ruhigen Handbewegungen.
Jedes Jahr stellt Sönke Holling drei Ausbildungsplätze in der Landwirtschaft bereit. Zudem können gelernte Landwirte bereits seit fünf Jahren ein einjähriges Trainee-Programm als Herdsman bei ihm absolvieren. Der Herdsman, die rechte Hand des Herdenmanagers, kümmert sich gemeinsam mit Melkern, Fütterern oder Azubis um die praktische Betreuung der Herde. Ein Herdenmanager ist für Steuerung und Controlling zuständig, erklärt Holling.
Leitende Angestellte ausbilden
Auf dem Hof Holling beginnt der Tag des Herdsman mit der Frischmelkerkontrolle und einer kurzen Unterredung mit dem Chef: Ist in der Nachtschicht etwas Besonderes vorgefallen? Funktionieren die Behandlungen oder ist eine Kuh auffällig? Um acht Uhr gibt es Frühstück. Hier wird der Tag besprochen: Herdsman Malte sagt, was ansteht und wie viele Azubis er für welche Aufgaben benötigt. Am Vormittag folgen Tätigkeiten wie Trockensubstanz kontrollieren, Gruppenwechsel, Klauenpflege, Besamungen oder Trächtigkeitsuntersuchungen nach Wochenplan. Nach einer Mittagsstunde beginnt um 13.00 Uhr das Nachmittagsmelken. Hier ist der Herdsman als Springer eingeteilt und dient als Ansprechpartner. Um 17.30 Uhr ist Feierabend.
Anders als ein Auszubildender ist der Herdsman ein leitender Angestellter und muss neben den eigenen Tätigkeiten auch die des zugehörigen Azubis verantworten. Malte erhält alle Benchmarketing-Ergebnisse des Betriebs auf sein Handy und begleitet Sönke Holling auch auf Tagesveranstaltungen und Fortbildungen. „Ich gebe Anweisungen – die Entscheidungen trifft der Herdsman“, stellt Sönke Holling klar. Kranke Kühe z.B. behandelt der Herdsman entsprechend dem Standardverfahren, das der Hoftierarzt festgelegt hat. Erst, wenn keine Besserung eintritt, wird der Chef in die Entscheidungen einbezogen.
Den Betrieb durchstrukturieren
Wie wichtig gut durchdachte Abläufe sind, hat Holling am eigenen Leib erfahren: „Zwischen 150 und 250 Kühen war ich ein schlechter Milchbauer, das konnte so nicht weitergehen. Mithilfe meiner Tierärzte habe ich dann etwas verändert, neue Strukturen geschaffen.“ Diese Strukturen und Routinen nützten heute nicht nur ihm, sondern auch seinen Mitarbeitern, die wüssten dadurch genau, was zu tun ist.
2017 hat der in Schleswig-Holstein angesiedelte Betrieb mit heute 300 Kühen erstmals 12.100kg Milch abgeliefert. Das führt Holling neben der strukturierten Arbeitsweise vor allem auf die Fütterung zurück. Einmal pro Monat findet mit seiner Tierarztpraxis ein Herdencheck statt, bei dem neben Leistungsdaten und Tiergesundheitskennzahlen auch Futtertisch und Silos kontrolliert werden. Die Trockenmasse des Futters überwacht er wöchentlich. Sind die Kühe gesund, versucht er, die Grenzen noch ein Stückchen weiter auszureizen. Die Ställe sollen den Kühen mit Tiefboxen, Laufhof und Belüftung viel Komfort und Platz bieten. Um mehr Milch pro Kuhplatz zu erzeugen, bemüht er sich, Kühe rasch tragend zu bekommen oder frühzeitig die Diagnose „zuchtuntauglich“ zu vergeben, um Platz für eine neue Färse zu schaffen.
Die Kühe werden dreimal täglich gemolken. Neben den Azubis und dem Herdsman erledigen dies drei bis vier Melker.
Azubis: Fütterung in Eigenregie
Doch nicht nur die Herdsman sollen lernen, eigenverantwortlich Entscheidungen zu treffen, auch die Azubis leitet Sönke Holling zum selbstständigen Arbeiten an. „Die Azubis machen die Fütterung komplett in Eigenregie. Sobald ich eingeplant werde, verlassen sie sich auf mich und die Eigenständigkeit bricht zusammen“, ist Sönke Holling überzeugt. Die Ration hängt ausgedruckt im Radlader, der Betriebsleiter kontrolliert lediglich drei Dinge:
- Misch- und Verteilgenauigkeit, Futterreste (Ziel: 5 bis 10%),
- Zeitbedarf für die einzelnen Tätigkeiten,
- Hygiene am Silo.
- Misch- und Verteilgenauigkeit, Futterreste (Ziel: 5 bis 10%),
- Zeitbedarf für die einzelnen Tätigkeiten,
- Hygiene am Silo.
„Ob die rechts- oder linksrum fahren, ist mir egal. Hauptsache, das Ergebnis stimmt“, so Holling. „Der Betrieb profitiert davon enorm! Ein Azubi hat zum Beispiel Vormischungen eingeführt.“ Ein anderer Azubi-Jahrgang machte sich die Mühe, gegen Nacherwärmung nach jedem Siloabdecken große Treckerreifen an der Anschnittfläche abzulegen. „Eine Heidenarbeit, aber sehr erfolgreich. Und es war ihre Idee – sie haben das ein Jahr lang durchgezogen. Hätte ich das ‚angeordnet‘, hätte das im Leben nicht so gut funktioniert!“ Dass ihre Ideen wirklich angenommen werden, motiviert die jungen Leute.
Holling schaut in den Melkstand, wo Malte gerade dem Melker dabei hilft, eine Reihe Kühe anzusetzen. Danach überlegen sie gemeinsam, ob es sinnvoll sein könnte, die Melkreihenfolge der Gruppen zu ändern. Denn Neuerungen einzuführen, das heißt auch, die Mitarbeiter mitzunehmen. Als Betriebsleiter sei man dadurch nie schuld, wenn sich etwas als Nachteil herausstellt, lacht Sönke verschmitzt. „Bei uns gilt: ‚Wir‘ schaffen 12.100 Liter, aber auch: ‚Wir‘ haben leider ein Tier verloren.“
Die Lehrlinge arbeiten im Schichtsystem und wechseln sich mit den Tätigkeiten ab: zwei Wochen Füttern, eine Woche Melken oder Außenwirtschaft, eine Woche Stalldienst (Geburten betreuen, Kühe versorgen, letzte Stallrunde abends um 22.00 Uhr).
Fortbildung inklusive
Der Trainee nimmt zusätzlich an der Herdsman-Fortbildung der Tierarztpraxis Agroprax teil, welche Theorie- und Praxiseinheiten verbinden. „Wenn er in einer solchen Woche donnerstagmorgens zurück in den Betrieb kommen, ist er hochmotiviert und möchte das Gelernte sofort umsetzen, was in der Regel auch geschieht. Alles andere wäre fürchterlich demotivierend!“
Warum aber investiert Holling Kursgebühren von rund 3.700 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer, Unterkunft und Reisekosten in einen Mitarbeiter, der ihn nach einem Jahr wieder verlässt? „Ganz einfach: Wenn ich mit ihm ‚fertig‘ bin, ist er mir als Angestellter zu teuer“, kommt es wie aus der Pistole geschossen. „Während des Jahres behalte ich einen kleinen Teil des Lohns für Fortbildung und Unterkunft ein. Zum anderen habe ich aber auch einen hochmotivierten Mitarbeiter für dieses Jahr.“ Er biete den jungen Leuten sehr viel Input, dafür bekomme der Betrieb aber auch eine Menge zurück.
„Bei mir lernen alle sofort Besamen. Und obwohl natürlich auch mal eine Kuh nicht tragend wird, habe ich während des restlichen Jahres nie einen Notstand an qualifizierten Leuten. Und wenn sie gehen, können sie es wirklich“, sagt der Betriebsleiter und lehnt sich zurück. Dass er neben all dem persönlichen Einsatz so auch seine 300 Kühe recht kostengünstig versorgen kann, ist ein weiterer positiver Nebeneffekt.
Auf die jungen Leute eingehen
Spannend findet er, dass mit jungen Menschen kein Jahr wie das andere sei. Seit Beginn seines Trainee-Ausbildungsprogramms hat Sönke Holling immer wieder nachjustiert. Während in einem Jahr der Trainee nicht so gut mit Tieren konnte, aber als leitender Angestellter super geeignet war, musste Holling seine Aufgaben anders gestalten als für den Trainee im Jahr darauf: „Der hat dann eben mehr in Richtung Elektronik und Controlling gemacht. Ein anderer Trainee hingegen kannte jede Kuh, musste aber zum Beispiel das Thema Dokumentation erlernen. Ich gestalte den Job jedes Jahr so, dass der Mitarbeiter sich wohlfühlt.“
Dieses Prinzip setzt Holling aber auch bei seinen übrigen Mitarbeitern ein: Er hat eine Zusatzqualifikation zur Werkerausbildung absolviert. Seit zehn Jahren arbeitet bei ihm ein Melker, der als Ungelernter angefangen hatte. Holling kann auf einen treuen Mitarbeiter zurückgreifen, kümmert sich im Gegenzug aber auch um „Komplizierteres“ in dessen Leben wie eine kaputte Waschmaschine. Dieser Mann war noch nie weit gereist. „Zum 10-jährigen Dienstjubiläum bin ich mit ihm dann drei Tage nach Mallorca geflogen. Wir haben nahe dem Ballermann gewohnt, zusammen getrunken, viel geredet. Er war so dankbar!“ Mit den Azubis gehe er nach der Ernte zum Dank für ihren Einsatz Kartfahren.
Problem: Die „Marke“ etablieren
„Juli und August sind wichtige und intensive Monate für mich“, sagt Sönke Holling, „Denn da arbeite ich vier neue Mitarbeiter ein!“ Meist versucht er, einige der alten Azubis noch eine Woche weiter zu beschäftigen, um ihre Nachfolger einzuarbeiten. Auf der anderen Seite tue ein harter Schnitt aber auch einmal gut, um alte Marotten loszuwerden.
Ein wenig schade findet er, dass es trotz des durchdachten Konzepts schwierig ist, die Herdsman-Stelle frühzeitig zu besetzen. „Viele Azubis denken erst in den letzten zwei Monaten des Lehrjahres über die Zeit nach der Ausbildung nach. Und obwohl ich mir einen guten Ruf als Ausbilder erarbeitet habe, bis 2022 mit Azubis ausgebucht bin, muss ich den Berufsschullehrern das Trainee-Konzept jedes Jahr wieder neu erklären. Nachhaltig eine ‚Marke‘ aufzubauen, ist ein zähes Geschäft“, sagt Sönke Holling und schüttelt unzufrieden mit dem Kopf.
Zudem würde er es begrüßen, wenn auch unter seinen Berufskollegen eine wertschätzende Kultur entstehen würde: Zum einen könnten die Betriebsleiter Herdsman und Herdenmanager ab und zu „tauschen“, um den Angestellten Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten. Zum anderen sei so etwas wie eine Ablösesumme für ausgebildete Herdsman noch nicht etabliert. „Für meine Frau Heike und mich ist die Ausbildung eine Leidenschaft. Die jungen Leute essen mit uns am Tisch, wir nehmen sie überall mit hin, verzichten freiwillig auf sehr viel Privatleben. Das ist in Ordnung! Dennoch würde ich mir manchmal etwas Entgegenkommen wünschen“, meint Holling.
Der aktuelle Herdsman, Malte, hat die Stellenanzeige in Facebook gefunden. Ein Azubi von Sönke hatte die Anzeige geteilt. „Das ist genau das, was ich machen möchte!“ Kurzerhand rief er an, schaute sich den Betrieb an und bekam die Zusage. Auch Sönke Holling grinst jetzt wieder: „Alle reden immer von Neuseeland – dabei würden Leute aus Bayern oder Baden-Württemberg hier oben sicherlich auch die eine oder andere ‚Grenzerfahrung‘ machen können!“
Christine Stöcker-Gamigliano