Kalziummangel im geburtsnahen Zeitraum ist eine weit verbreitete Stoffwechselerkrankung, die je nach Ausprägung lebensbedrohlich für die Kuh sein kann. Darüber hinaus begünstigt sie das Auftreten weiterer Stoffwechsel- und Infektionskrankheiten. Der Kalziumgehalt im Blutserum liegt bei ausgewachsenen Rindern in der Regel zwischen 2,0 und 2,5 mmol/l. Die Kalziumkonzentration erreicht ihren Tiefstwert 12 bis 24 Stunden nach der Geburt. Dies ist bedingt durch eine ungenügende Anpassung des Mineralstoffwechsels, an die vermehrten Kalziumverluste durch die Kolostrumproduktion im geburtsnahen Zeitraum. Kalziummangel erhöht das Risiko für Labmagenverlagerungen, Metritis und erhöht das Merzungsrisiko in der Frühlaktation.
Subklinische Mastitis ist kostenspielig
Hierbei ist die subklinische Form (Blutkalziumwerte 2 mmol/l) auf Betriebsebene kostspieliger als die klinische Form. Denn wenn in einer Herde mit 500 Tieren die klinische Milchfieberrate bei 2% liegt und dabei Kosten von 265 € pro Fall für Therapie, Leistungsabfall und vorzeitigen Abgang aus der Herde entstehen, so würden über ein Jahr 2.650 € an Kosten entstehen. Tritt dagegen der subklinische Kalziummangel in einer Herde mit einer Häufigkeit von 40% auf, und jeder Fall kostet den Landwirt 110 € (Milchausfall, Folgeerkrankungen), so lägen die Kosten in einem Jahr bei 22.000 €.
Wie ist die Situation auf deutschen Milchviehbetrieben?
Kompakt die Forschungsergebnisse:
| 41% der Frischabkalber hatten subklinisches, 7% klinisches Milchfieber.
| 9% der Betriebe fütterten saure Salze in der Vorbereiterration.
| Milchfieberkühe hatten 2,2 kg weniger Milch über die ersten drei MLPs.
| Tiere mit Kalziummangel hatten 44% erniedrigten Erstbesamungserfolg und ein fast 70% erhöhtes Abgangsrisiko in den ersten 60 Tagen.
| Jeder Betrieb braucht ein individuelles Konzept gegen Kalziummangel und dessen Folgen.
Kalziumversorgung in den Herden
Forschungsfrage: In einer Untersuchung der Tierklinik für Fortpflanzung, FU-Berlin, ist Dr. Peter Venjakob der Frage nachgegangen, wie stark die subklinische und die klinische Form von Milchfieber auf deutschen Milchkuhbetrieben verbreitet ist und inwieweit prophylaktische Maßnahmen ergriffen wurden, um dem Kalziummangel vorzubeugen. Darüber hinaus wurde untersucht, welchen Einfluss der Kalziummangel auf die Leistung, die Fruchtbarkeit und das Merzungsrisiko in der Folgelaktation hat.
Versuchsaufbau: Mithilfe von Tierarztpraxen wurden Serumproben von 1.709 Milchkühen aus 125 Betrieben gesammelt. Die Proben wurden im Zeitraum von 0 bis 48 Stunden nach der Kalbung bei Kühen gezogen und im Labor die Kalziumkonzentration bestimmt. Die Tierärzte dokumentierten zudem, ob die betroffenen Tiere klinische Symptome von Milchfieber (z.B. Festliegen) aufwiesen.
Die Kühe wurden dann in drei Kategorien eingeteilt:
1. normaler Kalziumgehalt (Ca ≥2,0 mmol/l)
2. subklinisches Milchfieber (Ca 2,0 mmol/l, ohne klinische Symptome)
3. Milchfieber (Ca 2,0 mmol/l und klinische Symptome).
Im Anschluss wurden die Betriebe basierend auf der Anzahl an hypokalzämischen Tieren in der Stichprobe ebenfalls in drei Kategorien eingeteilt: unverdächtig (≤2/12 Tieren), verdächtig (3–5/12 Tieren) und positiv (≥6/12 Tieren). In die statistische Auswertung wurden nur Betriebe mit aufgenommen, die mindestens 12 Serumproben geschickt hatten und den Untersuchern Einblick in Ihre Tiergesundheitskennzahlen gegeben hatten. Entsprechend wurden 1.380 Tiere von 115 Betrieben für die Analyse berücksichtigt.
Mehr als 7 % Milchfieberkühe
Versuchsergebnisse:
- Insgesamt zeigten 41% (561) der Kühe einen subklinischen Kalziummangel und 7% (99) Symptome von klinischem Milchfieber. Der Einfluss der Laktationsnummer war deutlich. Der Anteil der Tiere mit Kalziummangel war bei älteren Tieren höher.
- Die am weitesten verbreitete Prophylaxemaßnahme war die orale Verabreichung von Kalzium (z.B. als Bolus) nach der Geburt (35% der Betriebe).
- 9% der Betriebe fütterten saure Salze in der Vorbereiterration. Das Ansäuern der Vorbereiter führt nach der Kalbung dazu, dass Kalzium schneller aus den Knochen freigesetzt werden kann und erhöht die Resorption von Kalzium aus dem Darm.
- Die subkutane Injektion von Kalzium sowie die Injektion von Vitamin D3 eine Woche vor der Geburt spielten eine untergeordnete Rolle.
- Die meisten Betriebe (57%) hatten kein Prophylaxekonzept zur Vermeidung von Kalziummangel.
- Bei der Versorgung mit oralen Kalziumprodukten erhielten im Zeitraum nach der Geburt 14% der Tiere in der zweiten Laktation, 24% der Tiere in der dritten Laktation und 26% in der vierten oder höheren Laktation Kalzium oral.
- Von den 115 untersuchten Herden waren nach der oben genannten Einteilung 13 (11%) unverdächtig, 51 (44%) verdächtig und 52 (45%) positiv.
- Kühe mit Milchfieber hatten während der ersten drei MLPs im Mittel 2,2 kg/Tag weniger Milch. Mehrkalbskühe mit subklinischem MIlchfieber (Grenzwert 2,1 mmol/l) wiesen eine Tendenz auf 0,8 kg/Tag mehr Milch zu produzieren.
- Der Erstbesamungserfolg war deutlich reduziert bei Tieren mit Milchfieber (unabhängig davon, ob es klinisch oder subklinisch war, Grenzwert 1,9 mmol/l). Tiere mit einem Kalziumwert von unter 1,9 mmol/l hatten eine um 44% reduzierte Chance, bei der ersten Besamung tragend zu werden.
- Tiere mit einer Hypokalzämie (unabhängig von klinischen Symptomen, Grenzwert 1,8 mmol/l) hatten eine um 32% verminderte Chance, innerhalb von 150 Tagen tragen zu werden.
- Insgesamt erreichten 8,3% (115/1.380) der Tiere nicht den 60. Laktationstag. Tiere mit Hypokalzämie hatten ein um 69% erhöhtes Risiko, bis zum 60. Laktationstag gemerzt zu werden.
Prophylaxe ab der dritten Lakation
Fazit: Die Untersuchung zeigt, dass ein großer Teil der Milchkühe gefährdet ist, um die Geburt subklinisches oder klinisches Milchfieber zu entwickeln. Die systematische Vorbeugung bei Kühen ab der dritten Laktation gehört aber noch nicht zu den gut etablierten Routinen in den Herden. Strategische Prophylaxemaßnahmen sollten insbesondere für Mehrkalbskühe etabliert werden, um die Tiergesundheit und die Fruchtbarkeit nachhaltig zu verbessern.